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Chinesischsowjetische Metamorphose

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Seinerzeit bedrohte ein scheinbar disziplinierter kommunistischer Block, die Moskau-Pe- king-Achse, die Welt. Kommt nach Gorbatschows Peking-Visite Frieden und Zusammenarbeit für ein Drittel der Menschheit?

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Seinerzeit bedrohte ein scheinbar disziplinierter kommunistischer Block, die Moskau-Pe- king-Achse, die Welt. Kommt nach Gorbatschows Peking-Visite Frieden und Zusammenarbeit für ein Drittel der Menschheit?

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Ein Gespenst ging um die Welt - das Gespenst eines straff disziplinierten, auf den Führer ausgerichteten monolithischen Blocks des Weltkommunismus, dessen Grenzen vom Neusiedlersee bis zur Beringstraße und vom Polarkreis bis in Äquatomähe reichten. Eswürdeein unbesiegbares Imperium werden, vor dem die Imperialisten und Kapitalisten, aber auch die Renegaten und Revisionisten erzittern sollten (siehe FURCHE 20/ 1989,Seite 1).

So könnte man die Einleitung des Kommunistischen Manifests von Marx und Engels abwandeln, wenn man die weltpolitische Landkarte des Jahres 1949 nach dem Sieg der chinesischen Revolution betrachtet. Nim, das Gespenst hatte eine Lebensdauer von genau zehn Jahren. Im Jahre 1959 löste es sich, wie alle Gespenster letztlich, in nichts auf. Das ist die historische Bedeutung des großen Schismas zwischen Moskau und Peking, dessen Folgen und Auswirkungen weder durch den Handschlag zwischen Michail Gorbatschow und Deng Xiaoping aus der Welt zu schaffen sind noch durch die Beteuerung beider Politiker, die Vergangenheit vergessen zu wollen. Was nicht möglich ist, weil die sowjetisch-chinesische Welt eine andere geworden ist, weil es kein Zurück zur großen Allianz geben kann, weil der Monolith Weltkommunismus zur führerlosen Farce geworden ist.

Was bleibt, ist mehr als war; die Normalisierung der Beziehungen zwischen zwei Nachbarstaaten, die immerhin fast ein Drittel der Menschheit umfassen, ein Verhältnis der Gleichberechtigung, wie es vordem nicht vorhanden war, ein Klima der friedlichen Zusammenarbeit, das seine positiven Auswirkungen auf die gesamte Weltszene haben muß.

Es wird oft übersehen, daß der sowjetisch-chinesische Konflikt nicht erst 1959 begonnen hat und nicht am Zusammenstoß der Persönlichkeiten Nikita Chruschtschows und Mao Zedongs entzündet wurde. Stalin konnte das große, ferne China nicht einfach unter die Kontrolle des Komintemapparates bringen, wie die kleinen westeuropäischen kommunistischen Parteien.

* Spätestens seit der Tsunyi-Kon-

ferenz während des Langen Marsches (1935) hatte Mao die Führung übernommen und den sowjetischen Einfluß zurückgedrängt. Stalinrächte sich, indem er bis zuletzt auf Tschiangkaischek setzte.

Nach Kriegsende scheute sich die UdSSR nicht, die von den Japanern errichteten großindustriellen Anlagen in der Mandschurei abzumontieren und mit nach Hause zu nehmen. Stalin betrachtete die chinesischen Kommunisten als liberale Abweichler, Molotow beruhigte amerikanische Diplomaten mit dem Hinweis, daß Maos Leute nur Agrarreformer seien.

Maos Versuche, den Marxismus -

immerhin das Gedankengut zweier deutscher Kleinbürger und eines russischen Provinzlehrers des 19. Jahrhunderts - für ein Bauernland mit konfuzianischer Tradition zu adaptieren, winden von Stalin mit Mißtrauen verfolgt. Er verlangte die Unterwerfung auch der chinesischen KP und die Anerkennung der sowjetischen Führungsrolle. Gerade dazu war China nicht bereit und versuchte, mit erratischen Manövern wie dem Großen Sprung und der Gründung der Volkskommunen seine Eigenständigkeit zu beweisen.

Doch hinter der immer dünner werdenden ideologischen Tünche vom Kampf gegen den Revisionismus und für die Reinheit der Lehre des Mar- xismus-Leninis- mus-Maoismus ging es in Wahrheit um handfeste nationale Interessen Chinas, um Unabhängigkeit, nationale Würde, vor allem aber um die Abwehr der Einkreisung.

Die Passivität der Sowjetunion im Koreakrieg - während China

Blutopfer brachte -, der Abzug der sowjetischen Experten mit den katastrophalen Folgen für die Wirtschaft waren aus chinesischer Sicht Versuche der “Sozialimperialisten“, China in die Knie zu zwingen. Das Alarmzeichen der Invasion in die CSSR führte zum Entschluß Maos, den Ring der Supermächte um China zu sprengen. Mit der “Bombe“ des Nixon-Besuches vor 17 Jahren spielte Peking selbst die chinesische Karte aus und veränderte die weltpolitische Szene.

Die vietnamesische Invasion Kambodschas, zuletzt die sowjetische Aktion in Afghanistan trugen nicht dazu bei, China zu beruhigen. Doch viel mehr als jede politische und militärische Entspannungsgeste trugen die innenpolitischen Reformen in beiden Staaten zur Normalisierung bei.

Daß Millionen Chinesen mit Gorbatschow - dem Chef der früher gefürchteten Hegemonialmacht - als Symbol für Freiheit und Demokratie demonstrieren, gehört zu den wahren Wundem dieser Maitage in Peking.

Das ist das Fundament, auf dem sich für diebeiden kommunistischen Großmächte eine Zukunft bauen läßt. Denn ohne dieses gibt es für sie überhaupt keine Zukunft.

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