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Choral mit falschen Tönen

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Kriminelle Taten der Stasi-Führungsoffiziere in Ostdeutschland bleiben nach wie vor im dunkeln. Die Medien schießen sich auf die Zuträger ein. Jetzt sind die Kirchen dran.

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Kriminelle Taten der Stasi-Führungsoffiziere in Ostdeutschland bleiben nach wie vor im dunkeln. Die Medien schießen sich auf die Zuträger ein. Jetzt sind die Kirchen dran.

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Ist Ihnen bekannt, daß Ihr Pater Ubald 13 Jahre lang Stasi-Mitarbeiter war?" hielt Heribert Schwan von der ARD am 16. Mai 1993 den Kirchgängern im sorbischen Wallfahrtsort Rosenthal das Mikrophon vor die Nase. Schwan hatte versucht, den Gottesdienst zum Johann-Nepo-muk-Fest mitzuschneiden. Zisterzienserpater Ubald Kansy hatte ein Interview verweigert. Nun versuchte Schwan auf diese Weise, Material für einen weiteren Beitrag über die Verwicklungen der katholischen Kirche der DDR mit dem Staatssicherheitsdienst zusammenzubekommen.

Am 24. April hatte Schwan erstmals zugeschlagen: „Sündenfall -wie ein Sohn der Kirche seine Mitarbeiter an die Stasi verriet", behauptete er, mit „Dokumenten der Berliner Gauck-Behörde" belegen zu können. Am 9. Juli stieß Schwan „ARD-exklusiv" nach: „Verräter im schwarzen Rock" sollten hier „überführt" werden, nicht nur - wie in einem Beitrag - Prälat Günter Hanisch, Dompropst in Leipzig, der einst von seinem Bischof offiziell beauftragt war, notwendige Kontakte zu den Staatsbehörden aufrechtzuerhalten. Da standen auch der frühere Beauftragte der Berliner Bischofskonferenz, Prälat Paul Dis-semond, dessen Nachfolger in dieser Funktion, Prälat Josef Michelfeit, der frühere Caritasdirektor Norbert Kaczmarek und der Ordensobere der Zisterzienser in der DDR, Pater Ubald Kansy, am Pranger.

Es wimmelte von Vorverurteilungen wie „Verrat, Verräter, Doppelleben, kirchliches Geheimwissen, großes Maß an Freiwilligkeit der Stasi gegenüber, Bruch des Beichtgeheimnisses" und anderes mehr. Unterlegt mit Gottesdienstausschnitten und Orgelchorälen „0 Haupt voll Blut und Wunden".

Die Antwort der Kirche erfolgte umgehend. Kardinal Joachim Meisner, bis 1987 Bischof von Berlin, dann als Erzbischof nach Köln versetzt, stellte sich in einer eidesstattlichen Erklärung hinter seinen ehemaligen Beauftragten Michelfeit. Bischof Joachim Wanke von Erfurt legte in einer Erklärung die Hintergründe und Umstände der Kontakte zwischen Kirche und Behörden klar.

Gerichtliche Klagen gegen die ARD und gegen „Unbekannt" sollen nun das Bild in der Öffentlichkeit wieder zurechtrücken, aber auch feststellen, wieso Schwan an Unterlagen herankam, die nach dem Gesetz ausschließlich der Gauck-Behörde vorbehalten sind. Von Verfahren gegen die ehemaligen Führungsoffiziere wegen Erpressung, Nötigung, Urkundenfälschung und anderer strafrechtlicher Delikte hat man bisher nichts gehört.

Die Kirche ist aber selbst interessiert, fragliche Fälle aufzuklären. Das Bistum Berlin beantragte schon Ende März 1993 - vor Schwans erster Sendung - die „Regelüberprüfung" der leitenden Mitarbeiter. 68

Namen umfaßte die Liste der Re-troffenen, Anfang August lagen die ersten 43 Einzelberichte vor - ohne jeden Hinweis auf Stasi-Kontakte.

Nach dem „Fall Stolpe" - der brandenburgische Ministerpräsident war übrigens diesen Mittwoch anläßlich des Tages der Deutschen Einheit in Österreich - soll nun der „Fall Hanisch & confratres" dazu dienen, die Kirche ins schiefe Licht zu setzen - und wenn das in Ostdeutschland gelingt, wird ja wohl auch im Westen etwas hängenbleiben. Nach der evangelischen Kirche ist nun die katholische an der Reihe.

Die spezielle Situation der katholischen Kirche in der DDR erlaubte es ihren Bischöfen - zum Unterschied zu den Führern der evangelischen Kirchen (siehe Seite 15) —, sich im Kontakt mit den ungeliebten staatlichen Instanzen bedeckt zu halten und ihre Beauftragten verhandeln zu lassen. Das war mehr an Zurückhaltung, als die Spitzenpolitiker der westlichen Staaten in den Jahren vor der Wende autoritären Regimen gegenüber aufbringen wollten. Politische Journalisten müßten das wissen, wenn sie die Vergangenheit aufarbeiten wollen.

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