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Chormusik von Bruckner

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Zum Ausklang des Brucknerjahres lud der österreichische Sängerbund in den Großen Musikvereinssaal zu einer Matinee mit Werken des Meisters für den geistlichen und weltlichen Chorgesang. Umrahmt von zwei Orgelwerken markieren das „Pange lingua“ in phrygischer und das „Os justi“ in lydischer beziehungsweise mixolydischer Kirchentonart die Ursprünge brucknerischer Kirchenmusik. Mit dem Streich- quintett und dem Männerchor „Abendzauber“ wird die Zukunft der Musik in Richtung des Impressionismus anvisiert, und mit dem „Virga Jesse“ und „Christus factus est“ die romantische Gegenwart verkündet. — Dem Kammerchor St. Othmar unter der Leitung von Erwin G. Ortner, fiel mit der Ausführung der sechs geistlichen Chorwerke der „bessere“ Teil zum Gelingen des zeitlich „so weit“ auseinanderliegenden Programmes zu. Er bestätigte durch vorzügliche Interpretation, daß Bruckners „Ökumene“ des kirchlichen Raumes nicht bedarf und sich für alle seiner Musik aufgeschlossenen Menschen anbietet. „Aus seiner Themenbildung allein läßt sich seine innere Sicherheit, die Gebärde seiner Religion ablesen. Sie stehen da: unerschütterlich, zwei felsfremd. Unmodisch empfangen, bleiben die Themen unabnützbar.“ (Ernst Decsey.) Die Motetten wurden in diesem Stil intonationssicher, mit ruhigem Atem und klugem, dynamischem Aufbau dargeboten. — Der Wiener Männergesangsverein hatte seinen Gästen gegenüber einen schwierigeren Stand, gab aber mit Hermann Furthmoser an der Spitze sein Bestes dort, wo der Komponist den gängigen Liedertafelstil mit dem ihm eigenen Personalstil überspielt und Konventionelles zeitlos werden läßt: in „Um Mitternacht“ und „Abendzauber“.

Das Zusammentreffen des Linzer Diözesanbischofs Franz Joseph Rudigier mit dem provisorischen Stiftsorganisten Anton Bruckner anläßlich der Benedizierung des neugewählten Propstes .von St. Florian Friedrich Theophil Mayer am 14. September 1854 sollte für die Kirchenmusik von nachhaltiger Bedeutung werden, denn der spätere Gönner hörte bei dem von ihm zelebrierten Hochamt des Organisten erstes großangelegtes Werk, die Missa solemnis in b-Moll. Für die Feier der Einweihung der Votivkapelle des neuen Domes war der ehrende Auftrag des Bischofs an seinen Domorganisten fast selbstverständlich, eine der Feierlichkeit würdige Festmesse zu komponieren. Der Tag der Aufführung wurde eine Stemstunde der Kirchenmusik, die Messe in e-Moll sollte die Trivialitäten des Biedermeiers „sühnen“, alle

Versuche der cäcilianischen Reformbewegung turmhoch überragen und liturgisches Wort mit künstlerischem Pathos in seltener Einheit zusammenschließen. Der Wiener Madrigalchor, eine Bläsergruppe der Niederösterreichischen Tonkünstler, unter Leitung Xaver Mayers waren am Abend des Nationalfeiertages in der Piaristenkirche bemüht, das äußerst schwierige Werk in einer beachtlichen Leistung zu bewältigen. Zu schnelle Tempi schienen mir freilich den ekstatischen Ausbrüchen der Ordinariumsgesänge öfter den Glanz mediterraner Luzidität zu nehmen. Die Bläser wirkten stellenweise inhomogen, im Benediktus entschädigte dafür die Wärme .einer hervorragend geführten Oboe. — Doch blieb der Grundcharakter der Messe unüberhörbar: „Ihre Farbe ist das Weiß des Altares, ihr Leuchten ist das des frühen Morgens, ihr einziger Schmuck ist die Reinheit des Stils“. (Kurt Singer)

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