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Christ sein in Wien

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„Ist das Symposion eingeschlafen?“ - so hört man manchmal fragen. Nein, es ist nicht eingeschlafen, sondern sehr wach. Aber es macht da und dort - frei nach Lenin - „drei Schritte vor und zwei zurück“. Denn wie sollte es dieser Initiative anders ergehen als ähnlichen Bemühungen, die sich im Rahmen des massiven und kranken Leibes einer Stadt wie Wien bewegen. Sie leben sozusagen im Spannungsfeld zwischen Resignation und Vitalität - und das Pflänzchen „Hoffnung“ ist immer wieder dem herben Wind der Gleichgültigkeit, des „ohne mich“ einer Stadt ausgesetzt, die ein gebrochenes Verhältnis zu sich selber hat.

Gleichzeitig lebt dieses Pflänzchen von der ungebrochenen Kraft jener, die im Evangelium eine Basis sehen, auf der es möglich ist - auch in der Kirche von Wien - ein Modell der Zusammenarbeit aufzubauen, gemeinsam Einsicht in die Versäumnisse zu gewinnen, die gutgemacht werden müssen, und Klarheit über die gemeinsamen Ziele, Ubereinstimmung in den Wegen pastoraler Praxis zu erreichen.

Ein großes Ziel, dem eine relativ kleine Gruppe von Priestern und Laien - in Übereinkunft und Absprache mit den zuständigen kirchlichen Autoritäten und in Zusammenarbeit mit den vielen Christen dieser Stadt, die sich um deren Zukunft Gedanken machen - näherrücken will.

Wien ist eine Stadt mit christlicher Vergangenheit. Sind wir uns deren christlicher Zukunft ebenso gewiß? -Hier stößt das Evangelium auf eine besondere Mentalität, hier hat es besondere Schwierigkeiten, besondere Chancen.

Mehr als jeder vierte Österreicher lebt in Wien; jeder fünfte österreichische Katholik lebt in jenem Teil der Erzdiözese Wien, der das Vikariat Wien-Stadt ausmacht. 8000 Wiener verlassen jährlich die katholische Kirche. Unsere Pfarren sind zu groß. Wir haben immer weniger Priester.

Wir brauchen ein Konzept für die Seelsorge des nächsten Jahrzehnts -ein Konzept, das die Antwort des Evangeliums auf die Fragen und Probleme der Menschen dieser Stadt deutlich macht. Wir brauchen mehr Ubereinstimmung der Seelsorgepra-

xis mit den Gegebenheiten dieser Stadt (können wir weiterhin den Schwerpunkt des Gemeindelebens am Wochenende setzen wollen, wenn mehr als 300.000 Wiener am Freitagabend aus der Stadt flüchten, um am Montag morgen wiederzukommen?); mehr Ubereinstimmung der Praxis der verschiedenen Pfarren untereinander (kann es angehen, daß Kinder ein- und derselben Schulklasse völlig unterschiedliche Bedingungen der Erstkommunion- und Firmvorbereitung antreffen, je nachdem, zu welcher Pfarre sie gehören?). |

Diesen Fragen und Problemen zu Leibe zu rücken, ist Aufgabe des Symposions „Christ sein in der Großstadt Wien“.

Konzepten müssen jedoch Einsichten vorausgehen. Einsichten erfordern Studium, Bildung, ich möchte fast sagen: Spiritualität. Die Spiritualität dessen, der hinhört, der fragt, der nachdenkt und sich inspirieren läßt. Das ist denn auch bereits in umfangreichem Maße geschehen:

In einer Umfrage der Zeitschrift „Kirche in Wien“ wurde die Situation der Seelsorge erhoben. Daran haben sich die Wiener Pfarren stark beteiligt.

Das Bildungshaus Neuwaldegg führt eine Reihe von Veranstaltungen durch: Prominente Wiener aus Kultur, Politik, Wissenschaft und Kirche tragen zum Mosaikbild des heutigen Wien bei. Studientage zu Fragen der Großstadtpastoral dienen dem Erfahrungsaustausch, der Reflexion, der Konfrontation mit Fachleuten, dem gemeinsamen Gebet. Alles, was im kirchlichen Bereich Rang, Namen und Einfluß hat, wurde in verschiedenen Begegnungen über die Ziele des Symposiums informiert, zu einzelnen Problemen befragt und um die Mitarbeit gebeten.

Seit Herbst 1978 sind sieben „Fachgruppen“ an der Arbeit, einzelne Bereiche der Großstadtseelsorge zu durchdenken. Die Ergebnisse liegen zum größten Teil bereits vor. Es sind Versuche, die Dinge ehrlich beim Namen zu nennen und nach Lösungen zu suchen. Ein Hauptaugenmerk kommt dabei allen Bemühungen zu, die Kirche aus ihrem Gettodasein zu befreien, sie sozusa-

gen „zu Wien zu bekehren“, Ursachen der gegenseitigen Distanz zu analysieren und Wege, sie zu verringern, zu finden. Zum Teil sehr konkrete Vorschläge liegen vor; sie sollen nun an die Basis zurückgespielt werden: Sind sie realisierbar? Entsprechen sie den Vorstellungen derer, die an der Basis arbeiten? Treffen sie sozusagen die „Knoten“ des Wichtigen, Unabdingbaren, Nötigen?

Ein erster Höhepunkt des Symposions ist für den 15., 16. und 17. März 1979 geplant. Am 15. März, dem Fest des hl. Klemens Maria Hofbauer, werden in verschiedenen Kirchen Wiens Gottesdienste gehalten als Auftakt zu einer Großveranstaltung, die am 16. und 17. März in Lainz stattfinden wird: Neben Referaten von Univ.-Prof. Dr. Erich Bodzenta„ Univ.-Prof. Dr. Erika Weinzierl und Weihbischof Dr. Helmut Krätzl wird es eine Podiumsdiskussion und Arbeitskreise geben.

Die folgenden Wochen sollen dazu benützt werden, die Ergebnisse der Fachgruppenarbeit und die Anregungen der Referate, bzw. der Podiumsdiskussion auf möglichst breiter Basis im ganzen Vikariat Wien Stadt zu diskutieren und Schwerpunkte zu finden, die in ein Konzept für die achtziger Jahre einfließen sollen.

Eine zweite Veranstaltung des Symposions, die wahrscheinlich erst im Herbst 1979 stattfinden können wird, soll den Sprechern der einzelnen Pfarren Gelegenheit geben, ihre Ergebnisse einzubringen, so daß ein breiter, von allen gemeinsam erarbeiteter Konsens Zustandekommen kann. „Gemeindetage“ in den Pfarren haben dann die Aufgabe, dieses Konzept in den Gruppen, an der Basis bekanntzumachen, dafür zu motivieren, zu „gewinnen“ ...

Eine Utopie? - Ziele, die zu hoch gesteckt sind? - Drei Schritte vor und zwei zurück? - Ich glaube, daß die Kirche dieser Stadt einen Dienst zu erweisen hat, den sonst keiner leisten kann; einen entscheidenden Schritt, damit diese Stadt etwas menschlicher, etwas freundlicher, herzlicher, engagierter wird und ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt.

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