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Christ und Sexualität: Eine „Gesprächshilfe“

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Zu den kritischen Fragen einer zeitnahen Seelsorge gehören immer wieder die Probleme der Sexualität. Die Pastoralkommission Österreichs hat nun eine „Gesprächshilfe, besonders für den Dialog mit jungen Menschen“ ausgearbeitet, aus dem wir im folgenden Auszüge bringen. Verständnis und Respekt für Gewissensentscheidungen kennzeichnen diese Gedanken ebenso wie Grundsatztreue und Besinnung auf das Heil des ganzen Menschen. Die FURCHE setzt damit eine Serie von Beiträgen zum Thema „Kirche auf dem Weg in die Zukunft“ fort.

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Zu den kritischen Fragen einer zeitnahen Seelsorge gehören immer wieder die Probleme der Sexualität. Die Pastoralkommission Österreichs hat nun eine „Gesprächshilfe, besonders für den Dialog mit jungen Menschen“ ausgearbeitet, aus dem wir im folgenden Auszüge bringen. Verständnis und Respekt für Gewissensentscheidungen kennzeichnen diese Gedanken ebenso wie Grundsatztreue und Besinnung auf das Heil des ganzen Menschen. Die FURCHE setzt damit eine Serie von Beiträgen zum Thema „Kirche auf dem Weg in die Zukunft“ fort.

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Das Evangelium bringt kein geschlossenes ethisches System, von dem mühelos jede beliebige konkrete Handlungsweise als richtig oder falsch abgeleitet werden könnte. Es legt aber einen alles entscheidenden Maßstab an menschliches Leben und Handeln an, der immer wieder zur Entscheidung herausfordert: „Euch soll es zuerst um Sein Reich und Seine Gerechtigkeit gehen.“ (Mt 6, 33a).

Von diesem Maßstab her können alle Lebenswirklichkeiten tiefgreifende Veränderungen erfahren.

Wenn die Kirche zur christlichen Gestaltung der Sexualität Orientierungen gibt, läßt sie sich davon leiten, daß Jesus mit seiner Botschaft das umfassende Heil des Menschen verkündet hat: Sexualität soll demnach zugunsten des Heiles des einzelnen Menschen wie des Heiles des Nächsten gelebt, sie soll in Zärtlichkeit, Liebe, Freude und Respekt mitgeteilt werden. Solches Handeln des Christen erfordert Kreativität und Initiative, unterliegt aber genausowenig der subjektiven Beliebigkeit wie christliches Handeln überhaupt.

Im Zusammenhang mit der christlichen Verkündigung und pastoralen Sorge um die Menschen sind in Fragen der Sexualität einige Zielsetzungen von besonderer Bedeutung. Dazu gehören insbesondere die Achtung vor der Person des anderen, vor seiner Würde. Dazu gehört weiters die Hoffnung auf Grund der unbedingten Treue Gottes, die uns Mut zum Leben und Mut, auch schwere

Konflikte zu bewältigen, geben kann. Besonders bedeutend ist die Offenheit für den Anspruch Gottes und für Anrede und Not des Nächsten. Zu betonen sind schließlich die Fähigkeit, Selbstsucht und Verfehlte Eigenliebe zu überwinden und die Fähigkeit zur selbständigen Entscheidung in wichtigen Fragen auf der Grundlage eines gebildeten Gewissens.

Dementsprechend muß christliche Verkündigung klar als Fehlhaltung und Mißstand bezeichnen, was gegen die personale Würde des Menschen, gegen den personalen und auf den Mitmenschęn bezogenen Charakter der Sexualität gerichtet ist, wie wahllose Sexualkontakte, Produktion und Verbreitung von Pornographie, Verführung zur Homosexualität, Verharmlosung und Propagierung der Ehescheidung. Pastorales Bemühen der Kirche hat sich allerdings die Frage zu stellen, wo letztlich die Ursachen individueller und gesellschaftlicher Mißstände liegen, Vorurteile und Diskriminierungen abzubauen und dort helfend bereitzustehen, wo menschliche Not auftritt.

Christen sind aufgerufen, nie den konkreten Menschen zu verurteilen. Selbst angesichts schädlichen Verhaltens ist der traditionelle Grundsatz „Die Sünde hassen und den Sünder lieben“ zu beachten.

Die Ehe als Sakrament, als wirksames Zeichen des Heils, meint das gesamte gemeinsame Leben der beiden Ehepartner, ohne zeitliche Begrenzung. Die eheliche Treue ist wie alle Haltungen der Liebe vor allem ein engagiertes Füreinander und Miteinander: alle Kräfte sollen eingesetzt werden. Treue findet sich nicht mit aufkommender Langeweile ab, nicht mit Unverständnis, nicht mit Fehlentwicklungen.

Wer heiratet, hat noch ungeahnte Entfaltungsmöglichkeiten offen; gerade die beginnende Gemeinsamkeit steht an einem Anfang. Die beiden Ehepartner stehen vor der Tatsache, vor der Chance und vor dem Risiko, diese - auch sexuelle - Gemeinschaft in einem lebenslangen Prozeß immer weiter zu entfalten: in Freude, Glück und Lust, aber auch in Krisen, deren Bewältigung weiterführt. Einander bei dieser letztlich nie abgeschlossenen Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen - durch Zärtlichkeit, Herausforderung und Geduld -, ist eine ständige Aufgabe.

Eltembildung vor und während der Ehe kann dazu beitragen, daß Kinder in der entscheidenden Phase der ersten Lebensjahre wie auch später eine unbefangene Grundeinstellung zur Sexualität erfahren können. Daher sind alle Christen gehalten, die Voraussetzungen für solche gelungene Erziehung zu schaffen. In diesem Zusammenhang ist auch eine verantwortete Familienplanung zu unterstützen. Allerdings wird Abtreibung aus der grundlegenden Achtung der Christen vor menschlichem Leben niemals als Methode der Empfängnisregelung gelten können.

Von Jesus Christus her hat die frei gewählte Ehelosigkeit um der Gottesherrschaft willen als Entscheidung für eine ungeteilte Nachfolge Jesu in der Kirche einen besonderen Stellenwert. Eine solche Ehelosigkeit ist eine Lebensform, die alle Kräfte des Menschen beansprucht und so auch eine gelungene Integration der Sexualität in die gesamte Persönlichkeit zum Ziel hat.

Keinesfalls kann es sich dabei um eine Ablehnung der Geschlechtlichkeit des Menschen handeln. Der zur Ehelosigkeit Berufene - als kirchlicher Amtsträger, als Mitglied einer (Ordens-)Gemeinschaft, als einzeln Lebender - setzt durch seine Berufung und Entscheidung und durch seine Lebenspraxis ein bedeutendes Zeichen dafür, ’wieviel Gott an den Menschen liegt.

Viele Menschen leben ehelos, ohne sich dazu frei entschieden zu haben, sei es auf Grund äußerer und oft tragischer Umstände, die eine mögliche und gewünschte Eheschließung verhindert haben, sei es nach einer gescheiterten Ehe oder als Witwe(r). Jede dieser Situationen kann besondere Schwierigkeiten mit sich bringen, birgt aber jeweils gleichzeitig bedeutende Möglichkei-

ten für eine sinnvolle Lebensgestaltung.

Der Unverheiratete soll in der christlichen Gemeinde als gleichwertiges Mitglied geschätzt werden, leben und sich geschätzt wissen. Auch er oder sie ist eingeladen, sich zum vielfältigen Dienst in der Gemeinde und an den Menschen zur Verfügung zu stellen.

Mit der Situation jener Frauen und Männer, die zwar in einer partnerschaftlichen Verbindung mit einem anderen Menschen Zusammenleben, aber aus grundsätzlichen Bedenken eine Ehe ablehnen oder aus anderen Gründen nicht heiraten, wird sich pastorale Tätigkeit immer wieder auseinandersetzen müssen.

Der Verkündigung stellt sich die Aufgabe, den eigentlichen Sinngehalt der christlichen Ehe deutlich zu machen, das Wesen der Sakramente aufzuzeigen, aber auch, sich mit dem Mißtrauen gegenüber Institutionen im allgemeinen zu befassen. Die Schwierigkeiten, die sich im konkreten Fall stellen, sind ernst zu nehmen.

Junge Menschen sollen mit ihrer Gesamtpersönlichkeit auch ihre Geschlechtlichkeit als Frau oder Mann entfalten, um so zu einem erfüllten Leben in Ehe und Familie oder in Ehelosigkeit fähig zu sein; sie sollen all jene Unterstützung erfahren, die sie angesichts ihrer konkreten persönlichen Situation notwendig brauchen.

Im allgemeinen ist zu bedenken, daß unsere heutige Gesellschaft kirchliche Vorstellungen und Normen gerade auch im Bereich der Sexualität nicht in jeder Hinsicht abstützt. Früher oder später kommt je-

der junge Mensch mit anderen „Angeboten“ der Lebensgestaltung in Berührung (maximales sexuelles Glück als oberster Wert, Ehe auf Probe, Ehe ohne Trauschein usw.).

In dieser für junge Menschen letztlich verwirrenden Situation ist es notwendig, in Offenheit und Verständnis christliches Leben aus dem Glauben in seiner heilenden Kraft darzustellen. Pastorales Handeln kann darauf vertrauen, daß im Grunde Solidarität möglich ist zwischen jungen Menschen, die ihre Ideale nicht aufgeben wollen, und erwachsenen Christen, die vertrauensvolle Begleitung anbieten.

Die weitverbreitete Behauptung,

daß sexuelle Enthaltsamkeit grundsätzlich schädlich sei, kann sich auf keine gesicherten psychologischen Erkenntnisse berufen. Christliche Verkündigung sucht vielmehr jungen Menschen verständlich zu machen, daß es vom Evangelium her eine prinzipiell andere Orientierung gibt.

Christlicher Glaube nimmt den Menschen auch in seiner Leiblichkeit vollkommen ernst; was der Mensch körperlich ausdrückt, ist nicht von seiner inneren Einstellung, auch nicht von seiner gesamten Persönlichkeit, von seinen Lebenszielen, Hoffnungen und Ängsten zu trennen. Volle geschlechtliche Hingabe, so- ferne sie überhaupt aufrichtige Liebe ausdrückt, erhält dann ihre Sinnfülle, wenn die Liebe der beiden Partner auch als öffentliches Stehen zum anderen und als bewußter Vollzug christlichen Lebens in der Gemeinde durch die liturgische Feier dokumentiert ist.

Wer Jugendliche in ihrer Persönlichkeitsbildung verantwortlich und solidarisch begleitet, ist auch gehalten, den jungen Menschen nicht-zielführende Entwicklungen und Entwicklungspha- sen bewußt zu machen. Die bei vielen jungen Menschen phasenweise auf-

tretende Masturbation etwa entspricht sicher nicht den Zielsetzungen geglückter Geschlechtlichkeit.

Freundschaften zwischen Mädchen und Burschen Schließen heute oft schon die volle geschlechtliche Begegnung mit ein. Gerade in dieser Frage entstehen immer wieder Mißverständnisse und schwierige Konflikte.

Zunächst soll klar unterschieden werden zwischen wahllosen sexuellen „Kontakten“ und zwischen Freundschaften, die auf die Ehe hingeordnet sind: Zum ersten Fall soll nicht verschwiegen werden, daß derartiges Verhalten weder dem einzelnen noch der Gemeinschaft dient,

sondern im Gegenteil eine dynamische Entwicklung blockiert und letztlich den jeweiligen „Partner“ zur Selbstbestätigung und Selbstbefriedigung mißbraucht.

Auch jene mehr oder minder dauerhaften Freundschaften, die volle Sexualität einschließen und oft auf die Ehe hingeordnet sind, können nicht einfach gutgeheißen werden. Die Zielsetzungen einer christlichen Lebenspraxis fordern eine letzte Einheit menschlichen Handelns sowohl im Privatraum wie auch vor der Gemeinschaft. Entspricht das Verhalten junger Menschen nicht dieser Zielsetzung, soll offen mit ihnen darüber gesprochen werden. Solche Paare sollen aber auf Grund ihrer Praxis weder in eine kirchliche Außenseiterrolle manövriert noch zur Eheschließung gedrängt werden …

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