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Christdemokraten aller Länder

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Die „Internationale der Christdemokraten” solle eine Antwort auf das Vordringen der sozialistischen und der kommunistischen Bewegungen sein, kündigte CDU-Generalsekretär Heiner Geißler dieser Tage an, als er von einem Treffen mit Italiens Mariano Rumor zurückkehrte. Sie solle eine freiheitliche und soziale Alternative in einer Epoche umwälzender Veränderungen, in der Zeit einer Krise in der Welternährung und der Energieversorgung, der Desintegration und der militärischen Spannungen bieten. Sie solle „Personalismus und Partnerschaft” gegen „Kollektivismus und Klassenkampf1 stellen. Sie wolle aber auch den „Kapitalismus ohne soziale Bindung” überwinden helfen.

Das Programm klingt einleuchtend, die Bemühungen sind logisch angesichts der weltumspannenden Netze, die sowohl der autoritäre Marxismus Moskauer Prägung wie der demokratische Sozialismus zur Sicherungihrer Positionen unterhalten und aus werten. Wer sich jenen entgegenstellen will, wäre selbst schuld, versuchte er nicht ähnliche Wege internationaler Z usammenarbeit.

Nur - solche Zusammenarbeit, wenn auch nicht in jedem Fall effektiv, gibt es, seit nach dem letzten Krieg Christdemokraten mehrerer Länder begannen, mit ihren Gesinnungsgenossen in anderen Staaten Kontakt aufzunehmen. Aus der NEI, der „nou- velle equipe internationale” der Nachkriegszeit, wurde die UECD, die Union europäischer Christdemokraten, auf die Zusammenarbeit der Schwesterparteien Westeuropas beschränkt. In Lateinamerika gibt es die ODCA, die wiederum mit der UECD bereits seit einiger Zeit in der CDWU, der Christlich-Demokratischen Weltunion, zusammenarbeitet. „Weltpräsident” ist Mariano Rumor, Sitz der CDWU ist Rom. Ihre Aktivität ist, zugegeben, umstritten.

Dann gibt es seit dem Frühjahr die „Europäische Volkspartei”, ihr Vorsitzender ist der belgische Ministerpräsident Leo Tindemans. Ihr gehören nicht nur die CD-Parteien der Europäischen Gemeinschaften an, auf die die EVP zugeschnitten ist, sondern mit Sonderstatus auch die ÖVP, die ja - da Österreich nicht EG-Mitglied ist -nicht Vollmitglied sein kann. Schließlich laufen seit einiger Zeit Versuche, auch die konservativen Parteien und Gruppierungen mit den christlich- demokratischen in der „Europäischen Demokratischen Union” zu gemeinsamem Vorgehen zu gewinnen. Hier- ist Franz Josef Strauß der aktivste Proponent, nur bisher ohne durchschlagenden Erfolg, da sich vor allem die italienischen, belgischen und niederländischen Christdemokraten mit Händen und Füßen gegen eine Zusammenarbeit mit französischen Gaullisten, englischen und skandinavischen Konservativen wehren.

Auf Grund dieser Lage mußte die Meldung aus Bonn auf Verwunderung stoßen. Die Süddeutsche Zeitung meinte, die CDU suche in Italien Rük- kendeckung gegen die Sammlungsbemühungen der CSU, jeder Schritt der DC in Richtung auf den „historischen Kompromiß” mit den Kommunisten müsse dann automatisch zum Konflikt zwischen CDU und CSU über die Grenzen der Zusammenarbeit führen. Auch der Rheinische Merkur fragte, wieso Geißler nichts gegen das Zusammengehen von Christdemokraten und Kommunisten in Italien gesagt habe. Wer aber gegen gemeinsame Programme von Christdemokraten und Kommunisten nichts einzuwenden hat, habe auch wenig Legitimation, auf Bündnisse zwischen Sozialisten und Kommunisten einzuprügeln.

Völlig verwirrend wurde die Lage schließlich, als das italienische DC- Organ „Popolo” nach einer Kontroverse mit dem sozialistischen „Avanti” feststellte, bei den Gesprächen zwischen der CDU-Delegation und ihren italienischen Kameraden sei keine Rede von einer neuen Weltunion gewesen, da beide Parteien die Verpflichtung hätten, die bestehenden europäischen oder mondialen Zusammenschlüsse zu fördern. Die Teilnehmer an Geißlers Pressekonferenz müßten sich verhört haben …

Schließlich besänftigte UECD-Prä- sident und CDWU-Vizepräsident Kai Uwe von Hasseil, die Weltunion bedürfe der Stärkung, auch durch einen zugkräftigeren Titel - selbst wenn die Bezeichnung „Internationale” Ressentiments wecken sollte. Und die Formel „Kapitalismus ohne soziale Bindungen” sei nur der Versuch, den Begriff „freie soziale Marktwirtschaft” für südamerikanische Vorstellungen zu adaptieren.

Also nur eine hochsommerliche Fieberblase auf der Lippe der christdemokratischen Europapolitik? Nicht mehr wert, als Loch Ness im Chronikteil, gut genug, um über ein paar Tage für Stoff zu sorgen? Mag sein, daß der konkrete Fall nicht mehr hergibt.

Vielleicht sollte diese Fieberblase aber doch Anstoß zum Nachdenken geben, um so mehr, als fast zur gleichen Zeit die Bischöfe der europäischen Länder in einer gemeinsamen Erklärung die große Verantwortung der Christen für die Gestaltung des Lebens auf unserm Kontinent betonten. Das Christentum sei eine der Kräfte, die Europas Geschichte, seine Entwicklung und Kultur gestaltet haben, hieß es dort. Die Europäer hätten erkannt, daß sie nicht nur Verwalter ihrer Vergangenheit sind, sondern Gestalter einer gemeinsamen Zukunft. Daß sie gemeinsam mit den Menschen anderer Kontinente an der Entwicklung der Welt und an der geistigen und moralischen Zukunft der Menschheit mitwirken.

Je eher sie sich zusammenschließen, um so eher können sie Spannungen auch in andern Teilen der Welt überwinden helfen, betonten die Bischöfe weiter. Wer Gegensätze überwindet und sich anschickt, mit andern zusammenzuarbeiten, dient dem Frieden. Das Mühen um eine Einigung Europas ist Friedenswerk. „Daß dabei jeder Bevormundung entsagt, die Gleichberechtigung der Länder gewahrt und die geschichtlich gewachsene Eigenständigkeit der Nationen respektiert werden muß, versteht sich von selbst.”

Dieser Appell richtet sich an alle Europäer angesichts der im nächsten Jahr bevorstehenden Direktwahlen ins Europa-Parlament. Wer sollte sich aber mehr angesprochen fühlen, als jene Politiker, die das Bekenntnis zur christlichen Tradition im Parteinamen führen oder wenigstens in den Parteiprogrammen betonen? „Die christliche Tradition gehört ganz wesentlich zu Europa”, fahren die Bischöfe fort.

Ob Weltunion oder europäische, ob Demokratische Union und selbst EVP - die Zusammenarbeit der Christdemokraten über die Grenzen hinaus fand bisher immer dort ihr Ende, wo dem einen der andere zu „links”, dem andern der eine zu „rechts” war. Nicht nur Italiener und Holländer, sondern auch so mancher CDU-Politiker stieß sich daran, daß die Gaullisten ihre Tradition auf die gloire eines großen Präsidenten bauten, die englischen Konservativen vom klassenlosen Staat eine andere Vorstellung haben als linke Sozialrevolutionäre, ganz abgesehen von ihrer Skepsis gegenüber Franz Josef Strauß’ CSU und ihrer Ablehnung der deutschen Ostpolitik. Und auf der konservativen Seite stellt man die Stacheln auf, wenn „linke” Parteifreunde mehr Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten wünschen (ohne sich an deren Annäherung an noch weiter links stehende Gruppen zu stoßen). Das gemeinsame Christliche geht dabei unter.

Der Europa-Appell der Bischöfe wurde in diesen Seiten in seiner Tragweite mit der „Heiligen Allianz” von 1815 verglichen - wobei der Autor sicher nicht die durch diese bewirkte Festschreibung des Status quo gemeint hat. Aber auch damals mußten die Mächte über so manchen eigenen Schatten springen, um zu gemeinsamem Vorgehen zu gelangen. Für Europa, vielleicht für die Welt, sicherlich aber für die Ziele der Christdemokraten „aller Länder” (und Schattierungen) wäre es gut, wenn ihre Politiker sich dieser Parallele bewußt wären.

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