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Christen im Konkurrenzkampf

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Michail Gorbatschow hat sich als Präsident der nicht mehr existierenden Sowjetunion verabschiedet. Der für alle Kirchen gemeinsame atheistische Feind „Sowjetstaat" existiert nicht mehr. Die Kirchen in den neu entstandenen Staaten mit nationalistischen Tendenzen stehen vor einer neuen Situation.

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Michail Gorbatschow hat sich als Präsident der nicht mehr existierenden Sowjetunion verabschiedet. Der für alle Kirchen gemeinsame atheistische Feind „Sowjetstaat" existiert nicht mehr. Die Kirchen in den neu entstandenen Staaten mit nationalistischen Tendenzen stehen vor einer neuen Situation.

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Das Moskauer Patriarchat will auch nach dem Zerfall der UdSSR religiöses und jurisdiktionelles Zentrum für die selbständig werdenden Staaten bleiben. Das betonte der russisch-orthodoxe Metropolit Irinej aus München in einem Gespräch mit der FURCHE. Die Ukraine sei jedoch nicht davon betroffen. In der Ukraine gibt es nun zwei orthodoxe Kirchen: die mit dem Moskauer Patriarchat verbundene unter Leitung des Metropoliten Fila-ret von Kiew und die autokephale Kirche, die offiziell seit der Revolution existiert, von Stalin aber schwer verfolgt worden war. Die Führungsspitze der autokephalen Kirche war bisher in Kanada, ist jetzt aber in die Ukraine zurückgekehrt.

Metropolit Irinej glaubt, daß sich auch die ukrainisch-orthodoxe Kirche unter Filaret bald als autokephale Kirche erklären könnte, womit es dann in der Ukraine zwei autokephale orthodoxe Kirchen gebe. Wünschenswert wäre es - so Irinej -, wenn sich die beiden Kirchen vereinigten.

Der Metropolit beklagt das Verhältnis zu den Lateinern und Unierten in der Ukraine, das nach seinen Worten „sehr schwer, traurig und unglücklich in jeder Beziehung" ist. Die Ernennung von drei katholischen Bischöfen im Jurisdiktionsgebiet des Moskauer Patriarchats bezeichnet Irinej als „unfreundliche Geste seitens Roms". „Wir können das kanonisch und ekklesiologisch in der Form nicht akzeptieren." Ein weiteres Problem stellt für ihn auch die Prose-lytenmacherei durch die Katholiken dar.

Er persönlich - so Metropolit Irinej - anerkenne das Recht der Unierten in

der Ukraine auf eine eigene Tätigkeit, auf eine eigene kirchliche Verwaltung. MitGewaltmaßnahmen, wie sie in Zusammenhang mit Kirchenbesetzungen und bei der Lösung von Eigentumsfragen angewendet worden seien, könne er sich nicht einverstanden erklären.

Schwierige Ökumene

Die ökumenische Situation ist nach den Worten Irinejs durch den politischen Zerfall der Sowjetunion nicht schwieriger geworden. „Soweit Ökumene ein Ziel christlichen Glaubens ist, darf auch die jetzige Situation dafür kein Hindernis sein. Hindemisse gab und gibt es auf dogmatisch-kanonischem Gebiet - so wie früher. Da ist die Situation vor und nach der Perestrojka ähnlich."

„Jetzt ist es allein Sache der russischen Orthodoxie zu beweisen, daß sie die Kirche Christi schlechthin ist." Das bedeute nicht, daß man die römisch-katholische Kirche oder Sekten nicht zur Kenntnis nehme oder man ihnen die Existenzberechtigung abspreche. „Konkurrenz darf es aber nur bis zu einem gewissen Grad geben", betont der Metropolit, „weil alles andere dem Christentum ab-

träglich wäre.

Für den griechisch-katholischen Pfarrer von St. Barbara in Wien, Alexander Ostheim-Dzerowicz, hat der Zerfall der Sowjetunion keinen direkten Einfluß auf die Existenz „sei-

ner" Kirche in der Westukraine. Er ist der Meinung, daß dadurch Arbeit und Ausbreitung der Kirche sogar erleichtert würden.

Offizielle staatliche Stellen in der selbständigen Ukraine, so Ostheim-Dzerowicz zur FURCHE, beurteilen die ukrainisch-katholische Kirche äußerst positiv und stufen ihre Bedeutung - obwohl mit 3,1 Millionen gegenüber den potentiellen 48 Millionen Orthodoxen in der Ukraine relativ klein - sehr hoch ein.

70 Jahre russifiziert

Schwer tun wird sich seiner Meinung nach das Moskauer Patriarchat in der Ukraine: .Jetzt nennen sie sich ukrainisch-orthodoxe Kirche, obwohl dort noch immer wenig ukrainisch gesprochen wird. Wenn man 70 Jahre im Namen Moskaus russifiziert hat, dann läßt sich aus einer Umbenennung noch keine neue Einstellung ableiten. Und diese orthodoxe Kirche Moskauer Jurisdiktion wird es sehr schwer haben. Sie wird es auch mit der ukrainisch autokephalen Kirche zu tun bekommen, die momentan ebenfalls in den aufgewühlten Wassern Gali-ziens ihre Schäfchen ins Trockene bringen will."

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