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Christen und Juden

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Ein Streit um des Himmels willen (Mischpat Haschamajim) ist immer heilsam! Dieser aus der jüdischen Tradition stammende Gedanke * sollte Leitsatz jeder christlich-jüdischen Begegnung sein.

Es ist für mich als Jude ein aufregendes Erlebnis, mein Judentum von einem wohlwollenden anderen dargelegt zu bekommen! Ich werde dabei mit manchem Unbeachteten und Unbekannten konfrontiert, und unbewußte Vorurteile gegen das Gedanken- und Glaubensgut des Christentums fallen dabei ab.

Das Zweite Vatikanische Konzil hat in dem Dokument „Nostra Ae-tate“ (No. 4) das Judentum von „Gottesmord“ freigesprochen, im . Sinne des Apostel Paulus die Verwerfung Israels als nicht existent erklärt und mit dem alten Vorurteil, daß das Judentum der negative Beweis für Golgatha sei, endgültig aufgeräumt.

Daher steht nun für jeden Katholiken fest, was das Judentum nicht ist. Was es aber ist, darüber herrschen Unkenntnis und Unsicherheit!

Clemens Thoma SVD, Professor an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Luzern, hat erstmalig versucht, eine umfassende theologische Beurteilung des Judentums vorzulegen. Mit großer Akribie, mit einem enormen Fachwissen und einer außergewöhnlichen Belesenheit, aber vor allem mit Verständnis und Einfühlungsgabe, hat Thoma diesen Versuch gewagt. Meiner Meinung nach ist ein großer Wurf geglückt.

Schon das Vorwort des einzigartigen jüdischen Gelehrten aus Jerusalem, Professor David Flusser, ist besonders beachtenswert. Flusser bietet, obgleich er nur von „Denkanstößen“ spricht, einen gewichtigen und erwünschten Beitrag zum Verständnis des Christen für das Judentum. Originell und zugleich herausfordernd liest sich dieser tiefschichtige jüdische Beitrag.

Unter Heranziehung eines ungeheuren Quellenmaterials hat Thoma das Judentum systematisch darzulegen versucht und dabei die Vorgeschichte und die Anfänge des Christentums miteingeflochten. Besonders erwähnenswert erscheinen mir die Kapitel „Die pseudepi-graphische Literatur“, „Jesus in seiher jüdischen Heimat“ und

schließlich „Nebeneinander und Füreinander“.

Thoma, der Wissenschaftler im Priestergewand, hat in einer seiner Schriften den christlich-jüdischen Dialog eine „einsame Gratwanderung“ genannt. Das will heißen, daß nur eine ausgewogene Bilanz den Standpunkt beider Partner, der Juden und der Christen, gewährleisten kann. Thoma, der selber heute eine Säule des Dialogs wurde, weiß sehr wohl, daß das Judentum mit seiner Frage an den Menschen, und nicht nach Gott, eigentlich keine Theologie im christlichen Sinne kennt.

Ebenso sei mir der Einwurf gestattet, daß die Aussage Thomas in § 128, „das Vaterunser dürfte in seinen Kernsätzen auf Jesus zurückgehen (Lks. ll-2b-4)“ die ehrende Aussage eines gläubigen Christen ist. Auf Grund jüdischer Quellen wäre dem; entgegenzuhalten, daß wohl die Formulierung des Vaterunser genuin Jesuanisch ist, jedoch die Kernsätze altes jüdisches Gedanken- und Glaubensgut darstellen.

Diese erstmalig vorliegende „Theologie“ des Judentums schließt eine Lücke. Es wäre eine rege Diskussion zu wünschen, die der Sache nur dienlich sein könnte. Optimistisch und kühn behaupte ich, daß mit der „christlichen Theologie des Judentums“ ein epochemachendes Opus vorliegt. Von nun an gelten keine Ausreden der Verzerrung und Verkennung mehr. Mit diesem Buch steht jetzt jedem Christen das geistige Rüstzeug zur Verfügung, um das Judentum auf Grund der dargebotenen Quellen objektiv kennenzulernen.

Aus meiner jüdischen Sicht möchte ich zum Werke Thomas sagen, daß es bei aller Festigkeit und Standhaftigkeit im christlichen Glaubensgut ein erstaunliches Einfühlungsvermögen und Verständnis für die Geisteshaltung des Judentums beweist und dazu beitragen wird, das Wissen und die Kenntnis um das „unbekannte Judentum“ entscheidend aufzuhellen und den Abbau der vielen Vorurteile aus Unkenntnis und Unwissen zu erleichtern.

CHRISTLICHE THEOLOGIE DES JUDENTUMS. Von Clemens Thoma (Pattloch-Verlag Aschaffenburg, öS 92,—).

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