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Christen unter Druck

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Papst Johannes Paul II. hat jüngst die Patriarchen und Vorsitzenden der Bischofskonferenzen des Nahen und Mittleren Ostens zu einer Sondersitzung in den Vatikan gerufen. Der Papst tritt für Frieden und Gerechtigkeit in dieser Region ein und macht sich Sorgen über die Zukunft der christlichen Minderheiten in diesen Ländern.

Wer sind diese Minderheiten? Oft wird oberflächlich „Araber” mit „Moslem” gleichgesetzt, aber das widerspricht der Realität, denn viele Araber sind Christen. Schon aus den Briefen des Apostels Paulus geht hervor, daß unter den ersten, die das Evangelium hörten, die Bevölkerung dieser Länder war. Abgesehen vom Islam, der sich ab dem 7. Jahrhundert ausbreitete, ist es im Lauf der Zeit aufgrund dogmatischer Kontroversen und nationaler und politischer Rivalitäten zu Kirchenspaltungen gekommen. Heute gibt es etwa 60 verschiedene christliche Kirchen.

Die zahlenmäßig stärkste unter den vier großen Kirchenfamilien in Nahost sind die nicht-chalcedoni-schen Kirchen, welche die Beschlüsse des Konzils von Chalcedon (451) ablehnen. Dazu gehören vor allem die Kopten in Ägypten.

Die zweite wichtige Gruppe ist mit Rom verbunden, hat aber ein eigenes Kirchenrecht und eigene Riten: die orientalisch-katholischen Kirchen. Dazu zählen die Maroni-ten sowie die chaldäisch- und die melkitiseh-katholisehe Kirche.

Als dritte ist die Orthodoxe Kirche, die den Patriarchen von Konstantinopel als ihr Ehrenoberhaupt anerkennt und seit der Kirchenspaltung von 1054 von Rom getrennt ist, zu erwähnen, als letztes die wenigen Mitglieder von Kirchen, die seit der Reformation entstanden sind.

Wieviele Christen es in dieser Region gibt, ist schwer präzise zu sagen. Manche Staaten verkleinern die Zahlen, um ihre christliche Minderheit zu bagatellisieren. Die Kirchen selbst neigen in ihrem Überlebenskampf dazu, höhere Zahlen zu nennen (und dabei ihre Gläubigen im Ausland einzubezie-hen). Ungefähr ist mit 10 bis 14 Millionen Christen im Nahen Osten zu rechnen.

Es gibt in fast allen Orient-Staaten Kirchen. Der ungefähre Anteil der Christen an der Bevölkerung einzelner Länder: Ägypten 14 Prozent, Jordanien 6,5 Prozent, Libanon 47 Prozent, Syrien 10 Prozent, Irak 8 Prozent, Israel und besetzte Gebiete 2 Prozent. Es steht fest, daß viele Christen, auch aufgrund der bewaffneten Konflikte, emigriert sind.

Die Integration ist unterschiedlich. Meist sind die Christen sehr gebildet, manchmal - etwa im Irak - bekleiden sie hohe Posten in Staat und Wirtschaft. Außer in Saudiarabien, wo dies verboten ist, dürfen Christen ihren religiösen Kult praktizieren. Aber ihre Lage ist oft schwierig und unsicher. Christen werden diskriminiert und stehen dort unter zunehmendem Druck, wo sich der Islam radikalisiert. Besorgniserregend ist vor allem die Situation der Kopten in Ägypten.

Der Klerus im Nahen Osten nahm im Golfkonflikt nicht überall die gleiche Position ein, er hat aber eine gemeinsame Sorge: die Auswirkungen des Krieges auf die Beziehungen zu den moslemischen Brüdern. „Man muß Angst haben, daß nach Saddam Hussein, der -trotz allem - den Christen liberal und tolerant gegenübersteht, in Bagdad Fundamentalisten an die Macht kommen”, erklärte Patriarch Raphael Bidawid von Babylon (Irak) in Rom. Michel Sabbah, der Patriarch von Jerusalem, verlangt für die nahöstlichen Kirchen mehr Freiraum zu direkten Gesprächen mit den arabischen Moslems, da diese die „Weltkirche” oft mit dem „Westen” gleichsetzen: „Wir sind Araber, wir haben unseren Brüdern etwas zu sagen.”

Es ist klar, daß die Situation für die Christen, vor allem die palästinensischen Christen, unsicher und unangenehm, bisweilen unerträglich ist. Stellungnahmen der Geistlichkeit klingen manchmal wie Regierungserklärungen. Sie werden als „Pflichtübungen” empfunden, um die Gläubigen zu schützen und als Kirchen zu überleben. Der Weg zwischen Widerstand - mit der Gefahr der Repression - und Kompromiß ist nicht leicht zu finden.

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