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Christentum — ein explosiver Irrtum?

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Der Herausgeber des deutschen Nachrichtenmagazins .,Der Spiegel“, Rudolf Augstein, hat im C.-Bertelsmann-Verlag, München-Gütersloh-Wien, ein Buch veröffentlicht — „Jesus Menschensohn“. Der deutsche Jesuit Prof. Karl Rahner schrieb dazu eine Kritik, die wir hier auszugsweise wiedergeben.

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Der Herausgeber des deutschen Nachrichtenmagazins .,Der Spiegel“, Rudolf Augstein, hat im C.-Bertelsmann-Verlag, München-Gütersloh-Wien, ein Buch veröffentlicht — „Jesus Menschensohn“. Der deutsche Jesuit Prof. Karl Rahner schrieb dazu eine Kritik, die wir hier auszugsweise wiedergeben.

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Zu den Grundthesen dieses Buches gehört die Meinung, daß die christlichen Theologen aller Konfessionen zwar im Grunde genau wissen, daß das Christentum in seinem eigentlichen Kern nur ein kapitaler Irrtum ist, dies aber sich und anderen nicht eingestehen. Trotz dieser eigentlich unmöglichen Situation will ich versuchen, zu diesem Buch ein paar Bemerkungen zu machen.

Versuchen wir zunächst, in aller Kürze zu sagen, welches die Grundthese des Buches ist. Die ersten zehn Abschnitte beschäftigen sich mit Jesus von Nazareth. Im Grunde kommt dabei nur heraus, wir wüßten historisch über Jesus nichts oder nur Belangloses. Was wir von ihm wissen, habe jedenfalls schlechterdings nichts mit dem zu tun, was seine Jünger (allerdings sehr rasch nach seinem Tod!) aus ihm gemacht haben. Jesus sei ein „eschatologi-scher Querkopf“ (347), ein Wunderdoktor (320) gewesen, der sich „am Rande der Thora-Legalität“ (164) aufhielt, und sonst eigentlich nichts. Nicht einmal das gesellschaftskritische Engagement, das man an ihm heute preist, sei ihm zuzubilligen ...

Fazit: „Es führt... keine erkennbare Verbindung von irgendeinem historischen Verkündiger Jesus zu dem verkündigten Christus des Glaubens“ (362). Dieser ist eine „Kultlegende der ersten Christen“ (362) und sonst nichts ...

Wenn man sich dann allerdings fragt, was nach dieser Destruktion des Glaubens von zwei Jahrtausenden noch übrigbleibt, muß man sagen: sehr wenig ...

Was die Methodik des Buches angeht, so will mir zunächst einmal scheinen, daß Augstein immer stillschweigend als selbstverständlich und maßgebend ein höchst vulgäres Verständnis des Christentums voraussetzt, dieses attackiert und meint, das Christentum erledigt zu haben, wenn er teils mit Recht, teils auch noch einmal mit Unrecht dieses vulgäre Christentum „erledigt“ hat Natürlich kann man sagen, es komme Augstein entsprechend seiner schon charakterisierten Absicht gerade auf dieses vulgäre Christentum in Lehre und Praxis an, weil dieses die traurigen Wirkungen individuell und kollektiv gehabt habe, gegen die Augstein rebelliert. Natürlich kann auch ein solches Buch wie das Augsteins an die Kirche, die Kirchenmänner und die Religionslehrer in den Schulen die harte und dringliche Frage stellen, ob sie nicht zum guten Teil selbst an solchen massiven Vergröberungen und Mißverständnissen des wirklichen Christentums mitschuldig sind. Aber all das hätte Augstein nicht davon dispensieren dürfen, aufgeschlossen, behutsam und sogar liebevoll nach dem Christentum zu fragen, wie es sich in seiner wirklich echten und tiefen Lehre versteht und wie es in seinen großen Gestalten gelebt hat und lebt.

Davon aber kann bei Augstein nicht die Rede sein. Augstein sucht erbittert und bekümmert mit der Kirche abzurechnen, weil sie das Leiden in der Welt nicht vermindert hat, weil sie mit den jeweils Herrschenden paktiert hat, weil ihr die Erhaltung ihrer Macht wichtiger war als der Dienst am Menschen. Diese

Vorwürfe sind gewiß nicht neu, brauchen aber darum noch nicht als gänzlich unberechtigt abgelehnt zu werden. Aber gerade ein Augstein müßte von seinen Voraussetzungen her eigentlich mehr tolerantes Mitleid mit dieser Kirche haben, die aus Menschen besteht und eine erbärmliche Menschengeschichte auch nicht in ein Paradies verwandeln kann. Solch wohlwollendes Verständnis müßte Augstein vor allem auch darum haben, weil auch er ja keine Rezepte weiß, wie die Menschheit aus ihrer Misere herauskommen kann. Denn eigentlich fortschrittsgläubig ist ja Augstein auch nicht.

Aber bei Augstein fehlt dieses menschliche Wohlwollen der Kirche den Menschen gegenüber. Was gut an ihr war und ist, bleibt im Ganzen ausgeblendet. Daß diese Kirche selbst gelitten hat und noch immer leidet, daß sie verfolgt wurde und immer noch wird, daß sie in ihren Heiligen — nicht nur in den offiziell heilig Gesprochenen — ihre eigenen Mahner und schärfsten Kritiker hat, auf die sie zuweilen sogar gehört hat, an die man nach dem Selbstverständnis der Kirche gegen die Kirche selbst Berufung einlegen kann, daß der selbstlose Dienst an den Armen und Kranken, den Aussätzigen und Ausgestoßenen von der Kirche nicht nur organisiert, sondern auch praktiziert wurde, daß sie deutlicher und überzeugender von der Liebe und Gnade als von der Verdammnis spricht, das und vieles mehr bleibt bei Augstein ungesagt...

Augstein bietet, wie gesagt, ein riesiges Material an, um seine Grundthese zu beweisen. Aber dieses Material ist letztlich nur fleißig zusammengestoppelt, aber nicht wirklich kritisch gesichtet. Es muß hart und ehrlich die Frage gestellt werden, ob für ein solches Buch, auch wenn es sich an ein breites Publikum wenden will, die Methode angebracht ist, die man bei einem „Spiegel“-Artikel durchaus gelten lassen kann. In einem solchen Buch dürften wirkliche, genaue Auseinandersetzungen mit den theologischen Hauptwerken nicht fehlen. Das ganze Buch aber scheint mir eine Abfolge von Glossen zu willkürlich hintereinandergereihten Zitaten der verschiedensten Provenienz und Gewichtigkeit zu sein. So kommt es auch, daß alle Theologen unter das gleiche Verdikt fallen. Barth und Bultmann kommen beide gleich schlecht weg. Die jüngsten katholischen Exegeten, die uns älteren Theologen sehr progressiv vorkommen, wie etwa Blank, finden bei Augstein genauso wenig Gnade wie frühere Theologen. Es bleibt bei ihnen immer noch zuviel Christliches bei Jesus und überhaupt übrig. Das aber kann von vornherein bei Augstein nur verkehrt sein.

Es sei mir gestattet, in aller Ehrlichkeit auch noch etwas zum Sprachlichen bei Augstein zu sagen. Lassen wir es einmal gelten, daß das Buch im „Spiegel“-Stil geschrieben ist. Kalkulieren wir auch unbefangen ein, daß man ehrlich und hart seine Meinung sagen darf, auch wenn der Adressat darüber dann nicht besonders erfreut ist. Rechnen wir auch noch hinzu, daß ein solches Buch keine esoterische Sprache von Gelehrten reden darf. Aber die Sprache Augsteins ist von einer Respektlosigkeit und Schnoddrigkeit, die gegen ihn und seine Sache spricht...

Dann muß sich Herr Augstein sagen lassen, daß in seiner Polemik von jener Schonungsbereitschaft und Güte nichts zu merken ist, die er von Freud gelernt haben will, daß man sich fragen kann, ob jemand, der so von religiösen Phänomenen redet, jenes Verständnis für sie haben kann, das die fundamentale Voraussetzung für ein sachgerechtes Urteil bildet. Beispiele dieses Stils könnten zu Hunderten erbracht werden: Das Christentum ist eine Rakete mit dreistufigem Treibsatz, jede Stufe ein explosiver Irrtum (114), die

Trinität als Zahlenhokuspokus (106), dem Heiligen Geist wird nachgesagt, er sei ein schlechter Reporter (204), Die Engel umschweben wie stillstehende Hubschrauber den Gekreuzigten (226). Jahwe, der alte Donnerer, hat immer noch genug Kräfte, das Weib von der offiziellen Thronliste fernzuhalten, freilich um den Preis, daß er selbst in Gestalt seines Heiligen Geistes weibliche Attribute mitübernehmen und einer Menschenfrau beiwohnen mußte (382). Der Heilige Geist konnte nur durch einen parlamentarischen Trick zur dritten Gottheit aufrücken (125) und so weiter... Beweist eine solche Sprache nicht doch einen tief sitzenden theologischen Unernst, der von vornherein schon weiß, was vom Christentum zu halten ist, bevor er anfängt, diese Meinung durch eine Lawine theologischer Halbgelehrsamkeit zu „belegen“?

Füllt dieses Buch eine Lücke? Aber es wird gewiß Leser finden, die nur zu „gläubig“ sich in der Allergie gegen ein kirchlich-institutionelles Christentum auch in dessen Grundsubstanz bestätigt fühlen, in einer Allergie, die sie zur Lektüre dieses Buches schon mitbringen.

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