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Christliche Abmagerungskur

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Die Lage der katholischen Kirche im arabischen Westen, dem Maghreb, und speziell in Libyen und Tunesien, hat sich in den letzten drei Jahren wegen des wiedererwachenden islamischen Fanatismus, aber auch durch fortschreitende Verweltlichung abrupt verschlechtert. Es scheint sich dabei jedoch um eine im Großen heilsame Krise zu handeln. Was den im Maghreb lebenden Katholiken jetzt von Gaddafi und Bourguiba genommen wurde, sind hauptsächlich ihr äußerlicher kirchlicher Prachtaufwand und ein sozialer Status, der mehr mit dem italienischen und französischen Katholizismus als mit christlichem Geist zu tun hatte.

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Die Lage der katholischen Kirche im arabischen Westen, dem Maghreb, und speziell in Libyen und Tunesien, hat sich in den letzten drei Jahren wegen des wiedererwachenden islamischen Fanatismus, aber auch durch fortschreitende Verweltlichung abrupt verschlechtert. Es scheint sich dabei jedoch um eine im Großen heilsame Krise zu handeln. Was den im Maghreb lebenden Katholiken jetzt von Gaddafi und Bourguiba genommen wurde, sind hauptsächlich ihr äußerlicher kirchlicher Prachtaufwand und ein sozialer Status, der mehr mit dem italienischen und französischen Katholizismus als mit christlichem Geist zu tun hatte.

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In Libyen kam es 1970 bei der Vertreibung des Klerus zu Ausschreitungen, die im Zeitalter des christlich-islamischen Dialogs mit aller Schärfe verurteilt werden müssen: Der Altarraum der Kathedrale von Tripolis wurde als Stall und öffentliche Bedürfnisanstalt geschändet. Heute dient sie als Gamal-Abd-el-Nasser-Moschee, doch finden in ihr nur selten islamische Gottesdienste statt. Vielmehr wird die neugotische Fassade der Kirche-Moschee als Plakatwand für die Kinoreklamen von Tripolis verwendet.

Manche Diplomaten in der libyschen Hauptstadt, die nur die Wirtschaftsinteressen ihrer Länder im Auge haben, versuchen diesen libyschen „Kirchensturm“ zu rechtfertigen: Es handle sich nur um „Entkolonialisierung“. Das mag für die kirchlichen Prunkbauten der italienischen Herrschaft von 1912 bis 1943 zutreffen. Wenn sich aber in der Kirche „Maria de Angelis“ im Herzen der Altstadt, deren rote Kuppel schon iange vor der Ankunft der Italiener aus dem Gewirr der Gassen ragte, die Geheime Staatspolizei Gaddafis eingenistet hat, sc gibt es dafür keine Entschuldigung.

Aber der Islam ist eben — wie auch das Christentum — noch kein einiger und einheitlicher Faktor. Kann man in Ägypten ökumenisch und irenisch den Dogmatikern und Mystikern von Al-Azhar begegnen, so hat die Kirche in Libyen eben'mit den Nachfahren der sengenden und brennenden Korsaren, Kinderräuber und Slavenschacherer von Tripolis, Benghazi und Mursuk zu tun. Schon im 8. Jahrhundert waren Libyen und Tunesien das Zentrum der fanatischen Chawaridj-Sekte. Heute sind die Strenge und Intoleranz des hier weitverbreiteten Sanussi-Ordens für die christenfeindlichen Ausschreitungen mitverantwortlich.

Der Ordensgründer Sidi Muhammad Ben Ali al-Sanussi wurde 1791 in Algerien in einem Berberzeltdorf geboren. Bis 1828 studierte er in seiner Heimat und in Marokko islamische Theologie. Dabei wurde er in die Mystik des nordwestafrikanischen Quadiria-Ordens eingeführt, anschließend lernte er im marokkanischen Fez die Tidjania-Bruder-schaft kennen. Die Idee einer eigenen Ordensgründung reifte dann auf der Pilgerfahrt nach Mekka. Die „Heilige Stadt“ des Islam war zu tri ~ii<ii sufiajj jta&te nbüii .•&#187;mm&#171;&#187;

dieser Zeit überhaupt das Zentrum einer monastischen Erneuerungstoe-wegung. Neben Sidi Muhammad wirkte hier der Marokkaner Ahmad Ben Idris al-Fasi, der zum Gründer der Quadiria-Idrisia im Jemen wurde. Ebenfalls in Mekka entstanden die Tertiär-Bruderschaften Raschi-dia und Amirgania, die sich dann in Algerien und dem Sudan weit verbreiten konnten.

In Libyen fand der Sanussi-Orden, der schon 1884 mehr als 100 Klöster umfaßte, bei der konservativ-unduldsamen Bevölkerung einen fruchtbaren Nährboden. Sein Fanatismus verstärkte sich noch, als er hier bald mit dem nicht gerade stubenreinen Christentum der italienischen Siedler und später mit Mussolinis Faschismus konfrontiert wurde, der sich in Libyen ganz als „katholische“ Macht aufspielte. Das bodenständige Christentum der kirchlichen Frühzeit war ja in der Cyrenaika schon im 7., in Tripolitanien im 10./11. Jahrhundert ausgestorben. Seit damals waren die Christen in Libyen nur noch als ausländische Eroberer in Erscheinung getreten. Einzige Ausnahme die beiden Missionare Padre Carlo da Genova und Padre Severino da Salesia, die 1710 in Tripolis eintrafen und durch Jahre bei den Stämmen der libyschen Sahara das Evangelium predigten. Alle Christen, die sonst von den Johanni-ter-Ma'.tesern über die Spanier bis zu den Italienern den Fuß auf libyschen Boden setzten, kamen als landfremde Feudalherren oder Kolonialisten, was der katholischen Kirche in den Augen der ohnedies fanatischen Libyer vermehrten Ballast auflegte. Als sich schließlich italienische Kirchen im Gefolge der Armee und Parteifunktionäre des „Du-ce“ zu erheben begannen, und die treuen Muslims in die Konzentrationslager der Syrtensteppe wanderten, wurde der Haß gesät, den Libyens Katholiken jetzt seit 1970 zu spüren bekommen.

Anders, aber nicht einfacher liegen die Probleme der Kirche in Tunesien, obwohl dieses eben erst diplomatische Beziehungen zum Heiligen Stuhl aufgenommen hat. Auch hier macht sich der Einfluß des libyschen Rigorismus schon bemerkbar. Allerdings nur in jenen Kreisen, die sich eine Bindung an den Islam bewahrt haben. Christen wird das Betreten der „Großen Moschee“ in der Medina von Tunis auf einmal verweigert, und die „Heilige Stadt“ Kairouan ist auf dem besten Wege, wieder eine für Andersgläubige verbotene Stätte wie zu Karl Mays Zeiten zu werden. Etwas leichter ist es mit den Ordensheiligtümern, wie etwa der Awia (Kloster) Sidi Bu Said an der Tuniser Bannmeile. Wer hier den Konvent betreten, das Grab des Heiligen verehren oder freitags am liturgischen Tanz der Schwersternschaft, der „Barbia“, teilnehmen will, hat vorher ein Examen in islamischer Mystik und Hagiologie (Heiligenkunde) zu bestehen, das auch ein interessierter Christ meistern kann, ohne seinem Glauben untreu zu werden.

Drinnen in der Stadt sind die meisten Heiligengräber jedoch in Kaffeehäuser umgewandelt, wie etwa das berühmte „Cafe Marabet“ in der Altstadt. Noch hat die Kirche hier in erster Linie mit dem tunesischen Laizismus und nicht so sehr mit der fanatisch-islamischen Renaissance zu kämpfen: Die Kathedrale von Karthago ist nicht in eine Moschee verwandelt worden, sondern steht den Touristen, die in Badehosen und Bikini mal schnell vom Strand heraufkommen, als staatliches Museum offen. Liest man über ihren Säulen die hier vor hundert Jahren eingemeißelten stolzen Worte von der Auferstehung der altafrikanischen Kirche im französisch gewordenen Nordafrika, so weiß man nicht recht, ob man traurig sein oder sich nicht doch über das rasche Verschwinden eines solchen Hurrah-Christentums freuen soll. Denn zu einer Auferstehung des „glücklichen Afrika“, wie es andere christliche Schriftsteller nannten, wird nicht der Geist des französischen Kolonialkatholizismus, sondern eher der der Märtyrerinnen Felicitas und Perpetua notwendig sein, deren schlichte Kapelle in den Ruinen des römischen Theaters allerdings nur mehr unter den Steinwürfen der Berberkinder besucht werden kann.

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