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Christliche Poesie — heute

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Eine beispielhafte Anthologie: Sie bietet ein Kompendium der zeitgenössischen Ausdrucksformen in der Lyrik und zugleich die Auseinandersetzung mit der immer wiederkehrenden Menschheitsfrage nach Gott und nach seinem Verhältnis zu den Geschöpfen: „Dein Licht verbrennt mich zum Schattenriß" (Marianne Gruber).

Bei der Umkreisung der Zentralfrage („Vielleicht ist nicht entscheidend, wie wir leben, sondern was wir leben", schreibt Michael Zielonka) wird jeder Leser den ihm gemäßen Zugang zur christlichen Dichtung von heute finden. Diese Reichhaltigkeit von Stilrichtungen ist ein Ergebnis umsichtiger Auswahl: die Anthologie — hervorgegangen aus dem Lyrik-Preisausschreiben der FURCHE und des Verlages Sty-ria, Graz — umspannt mehrere Generationen. Der älteste Autor ist an die Siebzig, der jüngste knapp über zwanzig. Von den vierzig Lyrikern sind zehn Priester oder theologisch gebildete Akademiker, unter ihnen Autoren, die den Lesern der FURCHE bereits seit langem bekannt sind, wie etwa der des bedeutenden Missionars in Japan, Thomas Immoos. Zu dieser Gruppe zählen auch Markus Jaroschka und Michael Zielonka, dessen reiche Erfahrung als Seelsorger, vor allem bei Jugendlichen, sich in den einfachen und eindringlichen Formulierungen niederschlägt.

Weit gespannt ist der geographische Bogen der Herkunftsländer. Michael Bartoszeklebt in der DDR, Renald J. Blank in Brasilien, Hermann Wischnat stammt aus Osnabrück — um nur einige Beispiele zu nennen. Ebenso vielfältig sind die beruflichen Standorte der Autoren. Da kommen neben hochverdienten Publizisten (u. a. Ilse Leitenberger) und bekannten Schriftstellern (u. a. Jutta Schütting) auch Musiker, Sozialhelfer, Pädagogen und Hausfrauen zu Wort.

Nicht alle Autoren freilich nehmen die religiöse Bindung so ernst wie Rudolf Weilhartner in seinem „Jonas" oder Peter Paul Wiplinger in seinen Gebetstexten. Und nicht immer fördern konkre-tistische Sprachexerzitien einen spirituellen Inhalt zu Tage wie: „Bin nicht verworfen, bin dein Entwurf" (Susanne Krähe, BRD), und Beat Rink (Schweiz) kommt nach sechs Zeilen serieller Veränderung der Wörter Glaube und Zweifel zu folgender Formulierung: „Ich habe geglaubt ohne Dich/Ich will zweifeln mit Dir".

Das künstlerische Talent findet hier auch dann seinen Platz, wenn es im Dunkel des Advents verharrt und die Erhellung verweigert: „Gestürzte Seelen \— es kommt kein Simon von Kyrene." Beglückender allerdings, wenn der gleichaltrige Georg Bydlinski (geb. 1956) beides vereinigt: Hohe Begabung und persönliche Glaubenserfahrung. „Schatten — Licht - Du Gott bist beides."

Ein wesentlicher Beitrag des Buches ist der einführende Essay des bekannten Literaturwissenschaftlers Paul Konrad Kurz. Dank der systematischen Form der Darlegung wird uns bewußt, vor welchen Schwierigkeiten der Dichter, aber auch der Juror steht. In einer Zeit der Sprachinflation, der Sprachskepsis — wie soll man da mit Hilfe von Wörtern den Glauben zum Ausdruck bringen? Die überzeugende religiöse Praxis entfaltet sich im Tun. Und auch Gebet kann Tat sein. Dem Wort kommt dabei eine begleitende Funktion zu. So wie Lieder ohne Worte ein romantischer Manierismus sind, so fehlt dem religiösen Wort ohne Tat seine bessere Hälfte. Doch ihretwegen sei auch immer wieder das Wort gewagt.

HELLER KANN KEIN HIMMEL SEIN. Ausgewählte Gedichte aus dem Wettbewerb für christliche Literatur. Vorwort von Paul Konrad Kurz. Verlag Styria, Graz - Wien - Köln 1984.144 Seiten, geb., öS 148,-.

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