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Christliches Nein zu Privilegien

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Als Kardinal König 1976 als erster römischer Prälat die rumänische Orthodoxie besuchte und damit den Dialog zwischen der katholischen und der rumänischen Kirche aufnahm und im Jahr darauf der damalige Patriarch Ju-stinian die Kirche in Österreich besuchte, war eine Tür geöffnet worden, die noch kurz vorher für diejenigen, die aus Rom daran anklopften, versperrt gewesen war.

Ausdem leichter herzustellenden Dialog der beiden „Nationalkirchen” von Rumänien und Osterreich entstanden ökumenische Beziehungen, welche die Hindernisse auf dem Weg von Rom nach Bukarest und von Bukarest nach Rom zwar nicht gänzlich wegräumten, aber doch den Weg passierbar machten. Seitdem vergeht kaum ein Jahr, in dem nicht ein prominenter rumänischer Kirchenführer als Gast des Wiener Kardinals und der Stiftung „Pro Oriente” Österreich besucht.

Mit dem Metropoliten Nestor von Oltenien, Erzbischof von Craiova, der Ende Mai 1980 in Wien weilte, ist der bedeutendste Theologe unter den rumänischen Hierarchen nach Wien gekommen. Im Wiener Schottenstift hielt er einen vielbeachteten Vortrag über

„Unser Recht auf Leben im Lichte der Heiligen Schrift und der Kirchenväter”.

Er leitete darin das ursprüngliche und vollständige Recht eines jeden Menschen auf Dasein aus der Gottes-ebenbildlichkeitdesSchöpferberichtsab und konkretisiert dieses Lebensrecht an Hand der Bergpredigt und der Paulus-und Petrus-Briefe als ein Recht auf Freiheit, auf Gleichheit und auf Gerechtigkeitsbedingungen.

Wörtlich führte der Gastredner aus: „Das einzig gültige Kriterium zur Differenzierung der Gehälter, zur Verleihung von Auszeichnungen sowie bei der Rangbeförderung soll das der Bedeutung und des durch Fähigkeiten und durch Arbeit erworbene Verdienste sein. Die Anwendung ohne willkürliche Diskriminierung des Grundsatzes der Gleichheit verwirklicht die Gemeinschaft von Interessen, stärkt die Gesellschaft, fördert die Solidarität.”

Die moralische Lehre des Christentums halte die Gerechtigkeit für ein Grundrecht des Menschen, aber auch für eine Tugend. „Die soziale Ungleichheit, der Entzug der Freiheit, eine ungerechte Gesetzgebung, die Privilegien Für die Machthaber vorsah und die Unterdrückten ihrer elementaren Grundrechte beraubte, zeigten sich manchmal in der widerrechtlichsten Weise durch das Recht auf Leben und Tod der Mächtigen den Ohnmächtigen gegenüber.” Ähnliches gelte auch für das Leben zwischen den Völkern, wo ein starkes über ein schwaches Volk manchmal bis zu dessen Beseitigung verfügt habe.

Auf dieser Grundlage kann der Metropolit an Hand von Beispielen aus den griechischen Kirchenvätern schließlich zu einer positiven Wertung heutiger internationaler Verträge, die dieses Lebensrecht schützen sollen, etwa das UN-Abkommen über die Vorbeugung und Bekämpfung des Völkermordes und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, beide aus dem Jahr 1948.

Der Vortrag des Metropoliten war ein Zeugnis für die biblisch und patrolo-gisch grundgelegte Soziallehre der rumänischen Kirche, die sich in ihrem Ansatz und ihrer Systematik sowie in ihren Folgerungen daraus wohl mit der Soziallehre der Katholischen Kirche vergleichen läßt.

Der Autor ist Generalsekretär des Stiftungsfonds „Pro Oriente”.

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