Churchill beschreibt Churchill
Ein Buch mit weltgeschichtlicher Relevanz.
Ein Buch mit weltgeschichtlicher Relevanz.
Nur wer sich für britische Geschichte der Barockzeit habilitiert hätte und ein kriegsgeschichtlicher Spezialist wäre, könnte mit kritischen Maßstäben die Einzelheiten der monumentalen Biographie des 1. Herzogs von Marlborough besprechen. Dem Rezensenten kommt eine andere Aufgabe zu, nämlich zu erklären, warum dieses Buch übersetzt werden mußte, warum sein Gegenstand für die Weltgeschichte wichtig ist. Schicken wir gleich voraus, daß die Übersetzung im allgemeinen zu loben ist. Freilich, auf S. 11/658 liegt der Herzog auf einer „Couch“ — erst der heutige Snobismus hat diesen Ausdruck in deutschen Landen eingebürgert; unseren Ahnen genügte ein Ruhebett... Und die Pest der Übersetzungen — Unkenntnis der Realien, Gebrauch des Wörterbuchs — meldet sich auch hier: „The Empire“ wird durchwegs als „das Kaiserreich“ übersetzt, wo unsere Ahnen durch tausend Jahre einfach „das Reich“ sagten ... Nun denn, warum ist Marlboroughs Leben für die Weltgeschichte hochbedeutsam?
Er hat wesentlich zu einer Wende in dem großen Kampf beigetragen, der im 16. und 17. Jahrhundert das Abendland erfüllte, in dem Kampf zwischen Königsmacht und Adelsmacht. Gleichzeitig mit diesem Klassenkampf des Adels verlief der Kampf zwischen Reformation und Gegenreformation, und zwar so, daß meistens die katholische Partei die monarchistische, die Adelspartei die evangelische war. Das war zumal in Österreich so, wo die katholische Monarchie gesiegt hat. Es war auch In Großbritannien so, wo dagegen der — auf verschiedene Art — protestantische Adel siegte. Dieser Umstand aber wirkte wesentlich auf das Geschichtsbild von Monarchie und parlamentarischer Aristokratie ein, als nachher die öffentliche Meinung des Abendlandes weithin von englischem Denken beherrscht wurde. Die unterliegende englische Monarchie berief sich nämlich auf die Legitimität — und mit Recht, da ja der siegende Reichstag einen König hingerichtet, seinen Sohn verjagt hatte.
Die siegreiche Partei fühlte sich dagegen als die Partei der Zukunft und gewöhnte sich allmählich daran, sich zur Idee der Revolution zu bekennen — zur Idee der bewußten Abschaffung des angestammten Rechts. Aber diese Entwicklung war durchaus nicht eindeutig. Die unvordenklich alte, im Volk tief eingewurzelte Vorstellung vom „guten alten Recht“ wirkte auch bei der siegreichen Partei, bei den Anhängern der Ständemacht, noch lange. Es ist bemerkenswert — und lange nicht bekannt genug —, wie lange und wie nachdrücklich die Väter der amerikanischen Revolution nicht von revolutionären Grundsätzen aus, sondern von Vorstellungen mittelalterlichen Fehderechts aus argumentierten; sie erklärten König Georg III. für einen Tyrannen — und somit für zu Recht abgesetzt —, weil er die angestammten englischen Rechte seiner amerikanischen Untertanen verletzt habe.
Auch ist diese Auffassung nicht einfach von der Hand zu weisen. Denn wo die Monarchie siegte, in Österreich, in Frankreich, in Rußland ..., da war es eben die Monarchie, welche sich über angestammte Rechte (der Stände) hinwegsetzte, und die Stände beriefen sich auf die geschichtliche Legitimität und Tradition. Man denke an das Verfahren Kaiser Josefs mit den Kronen von Ungarn und Böhmen. Dies war also der große weltgeschichtliche Konflikt, in dem Churchill, nachmals Herzog von Marlborough, im entscheidenden Augenblick zugunsten der protestantischen Parlamentarier gegen den katholischen König eingriff.
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