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Clowns und Apostel
Uber den clownigen Re-Islamisie-rungsscherzen eines Gaddafi, der neuestens im Namen des Koran das Geld abzuschaffen versucht oder dem Comeback des Gesichtsschleiers in Gestalt dunkler Tücher oder schwarzer Gesichtsmasken, deren Trägerinnen die arabischen Großstadtstraßen in eine Art permanenten Fasching gestürzt haben, sind die Bemühungen um echte islamische Erneuerung fast in Vergessenheit, wenn nicht überhaupt in Verruf geraten.
War der gesamte arabische Nationalismus und Sozialismus zwischen 1920 und 1970 durch einen gewissen Liberalismus und durch den Wunsch gekennzeichnet, sich mit der westlichen Kultur zu identifizieren und es ihr gleichzutun, so versucht sich die gegenwärtige Re-Islamisierung auf die alte Tradition allein zu stützen.
Doch gibt es neben beiden Richtungen, von denen die erste in Vorderasien und Afrika mehr Unheil angerichtet als Fortschritt gestiftet hat, während sich die Folgen des weltweit konzipierten Islamisierungsrummels noch gar nicht abschätzen lassen, und das nicht nur auf dem ölsektor, eine kritische dritte Position: Sie will die islamische Tradition ebenso ehren wie sie durch selbständiges Weiterdenken in Frage stellen.
Starre Einheit
Diese Kräfte bemühen sich im Rahmen einer zusammenwachsenden Welt der Völker, Glauben und Kulturen um Modernisierung und Anpassung, ohne jedoch den ererbten islamischen Kulturboden zu verlassen. In diesem Zusammenhang spielen moderne mystische Gruppen und Bruderschaften - vor allem in Marokko und Ägypten - eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Diese Ansichten finden sich natürlich nicht in den Staatskanzleien Saudi-Arabiens oder Libyens, stehen nicht am Lehrplan der in Medina wie Tripolis zur Ausbildung fanatischer Glaubensboten aus Ländern mit islamischer Minderheit oder rein nichtmuslimischer Bevölkerung geschaffenen Hochschulen - mit Volksschulniveau. Dort ist die starre Einheit von Religion, Staat („Din wa Daula“) und Wissenschaften richtungweisend, wobei die Religion in der Theorie, der Staat in der Praxis das einzige Um und Auf darstellt.
Die kritischen islamischen- Reformer hatten in ihren Reihen nur einen einzigen großen Politiker aufzuweisen, den ihnen nun auch der Tod genommen hat: Algeriens Staatschef Hawari Boumediene, vor Beginn des Freiheitskampfes Theologe am Kairoer Al-Azhar, wo er sich auch seine geistlichen Namen „Hawari - Apostel“ und „Abu Midian“ (daraus ma-grebinisch-französisiert Boumediene) zugelegt hatte.
Permanente Revolution
Für ihn war der Islam eine Religion permanenter Revolution gegen Geistesstarre und Nichtstun, eine Religion der Vernunft, des Kampfes gegen Diskriminierung und Klassenunterschiede, Diktatur und Korruption, das Beispiel einer Gemeinde der Gläubigen, das zeitlose Modell für Kollektivismus und Sozialismus.
Von Algerien, Iran und Indonesien abgesehen huldigen jedoch heute die politische, wissenschaftliche und geistige Führungsschicht, auch die, die in westlichen Ländern studiert hat, der Großteil der Studentenschaft und natürlich Landbevölkerung samt städtischem Bürgertum der konservativ-rückschrittlichen Re-Islamisierung saudiarabischer Prägung.
Diese Entwicklung steht in Zusammenhang mit dem Wiederfinden eines einheitlichen Religions- und Geschichtsbildes, welches neues Selbstbewußtsein und politische Stabilität in den arabischen und islamischen Ländern hervorrufen soll. Da der Islam alle Lebensbereiche umfassen und den Primat über alle Wissenschaften - nicht nur die Geisteswissenschaften, sondern auch die Technologie - ausüben will, wird jede Kritik des kosmo-theologischen Weltbildes ebenso unterdrückt wie eine „objektive Geschichtskritik“.
Nicht minder einseitig ist die von Libyen propagierte linksislamische Form desselben totalitären Denkens und staatspolitischen Handelns. Bleibt die Re-Islamisierungs-Ideolo-gie der Saudis noch immer ungeschrieben und in kein System gebracht, so hat Muamar al-Gaddafi immerhin schon einige Teile seines „Grünen Buchs“ in Raten vorgelegt, jener Schrift, die in der Zukunft Tho-ra, Evangelium und Koran ersetzen soll.
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