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Digital In Arbeit

Computer statt Lehrer?

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Nach dem Sturm der ersten Begeisterung haben sich die Wogen nun wieder geglättet: Glaubten noch vor einigen Jahren manche Unterrichtstechnologen, den Lehrer durch einen Computer oder durch einfachere Lehrmaschinen ersetzen zu können, so zielen die laufenden Bestrebungen darauf ab, Lehrer und Schüler durch Lehrmaschinen und durch computergesteuerte Lehr-, Test- und Beratungseinrichtungen in der Individualisierung und. Effektivie-rung des Unterrichts, trotz wachsender Schülerzahlen, zu unterstützen.

Freilich stimmt diese, für den reinen Unterrichtstechnologen (der hoffentlich nie die Schulszene allein beherrschen möge!) pessimistische Behauptung nur unter der Voraussetzung, Bildung und keine bloßen Fertigkeiten vermitteln zu wollen. Die Lehrautomaten beruhen auf den Strukturen und grundsätzlichen Methoden der progammierten Instruktion. Werden diese — bereits sehr lange bekannten und praktizierten — Strukturen für alle Bereiche der Bildung verabsolutiert, bleibt nur noch wenig Spielraum für die Kreativität und Phantasie der Schüler, da bei Lehrprogrammen stets ein Kompromiß zwischen größtmöglicher Übersichtlichkeit und Knappheit der Darstellung einerseits und allen prinzipiell denkbaren Verhaltensweisen des Lernenden anderseits eingegangen werden muß.

Gliedert man den Unterricht in die Ebenen Faktenvermittlung — Verstehen — Anwendung — Entdeckung, können vor allem die ersten drei Bereiche durch den Einsatz von programmierter Instruktion und von Lehrgeräten übernommen oder zumindest unterstützt und damit entscheidend rationalisiert werden.

Wodurch zeichnet sich ein erfolgreicher Lehrer aus? Er versteht es, die Schüler das jeweilige Lehrziel schrittweise erreichen zu lassen; die Anzahl und Größe der „Fort“'- und „Rück“schritte (Wiederholungen) und den Schwierigkeitsgrad jedes Schrittes stimmt er möglichst individuell auf die Schüler ab. Was dem Lehrer dabei zur Verfügung steht, ist eine Unzahl von Instruktionsmaterialien (Lehrbücher, Dias, Filme, Lehrmittel) und ihnen zugeordnete Leistungsziele (Stufen). Die Aufgabe des Lehrers ist es nun, für jeden Schüler die optimalste (und während des Unterrichtsablaufes stets veränderbare) Erreichung und Abfolge von Leistungszielen und die dafür geeignetsten Instruktionsmaterialien (-medien) auszusuchen.

Diesem Vorgang liegt ein einfaches Schema zugrunde: Die Instruktionsmaterialien einer Lehreinheit (die durch das schrittweise Erarbeiten einzelner kleinerer Leistungsziele „verdaulich“ gemacht wird) werden etwa nach vier Gesichtspunkten geordnet („Instruktionsmittelmatrix“):

• zugeordnetes Leistungsziel

• Schwierigkeitsgrad (etwa in fünf Stufen);

• Ebene des Leistungszieles (Fakten, Verstehen, Anwendung, Entdeckung) ;

• mediale Art (Literatur, Tonband, Dia, Filme usw.).

Der Unterrichtsablauf (etwa für einen einzelnen Schüler) stellt sich dann als Abfolge solcher Instruktionsmaterialien dar. Bedenkt man aber die ständig wachsende Zahl der Materialien und der Schüler, so kann es einem Lehrer, selbst wenn er einen detaillierten Unterrichtsablaufplan nur für die ganze Klasse als Einheit aufstellen möchte, nicht mehr gelingen, alles zu berücksichtigen.

So ist es naheliegend, diese Aufgabe EDV-Anlagen zu übertragen. Eine Unterrichtsdatenbank speichert dabei die großen Unterrichtsablaufpläne, Instruktionsmittelmatrizen und Testaufgaben für die einzelnen Lehrziele. Eine Schülerdatenbank enthält die Schülerparameter, die individuell durchlaufenen Unterrichtsablaufpläne und die Testergebnisse. Auf Grund dieser immer aktuell gehaltenen Daten entwirft der Computer — treffender ist hier die Bezeichnung „Prozeßrechner“ — die Unterrichtsablaufpläne für die Schüler oder die Klassen. Dabei bleibt der Lehrer, vielleicht noch mehr als bisher, im Vordergrund: Es wird ihm jene Arbeit abgenommen, die er heute schon nicht mehr zur Gänze leisten kann, nämlich: Übersicht über alle Schüler und Instruktionsmaterialien zu haben. Bei einem solchen „Computer based Instruction (CBI) System“ bleibt der Lehrer auch optisch im Mittelpunkt: Der Computer ist ausschließlich ein Beratungsinstrument und ein erweitertes „Lehrergedächtnis“. Die Instruktionsmedien werden vom Lehrer präsentiert, der Lehrer erklärt, trägt vor, diskutiert.

Physikunterricht: Gespannt folgen die Schüler den Erläuterungen des Lehrers. Es wird gerade der Kernreaktor behandelt. Die Schüler wissen nämlich, daß sie schon in wenigen Minuten einen solchen Reaktor betreiben werden können.

Soeben hat der Lehrer die letzten Fragen der Schüler beantwortet, er schaltet in der Klasse die Monitoren der Hausfernsehanlage ein und ruft vom Rechenraum, dessen Bildschirm- und Fernschreiberterminals (Ein- und Ausgabestellen zur Computerbedienung) über einen Kleinrechner an die Zentraleinheit des Schulbezirkes angeschlossen sind, das Demonstrationsprogramm „Kernreaktor“ auf.

Auf den Fernsehmonitoren in der Klasse erscheint das Bild des „Reaktorcores“, die Schüler haben nun die Aufgabe, eine funktionierende Anordnung von Brennelementen und Bremsstäben zu finden und die Stellung der sehr vereinfachten Steuereinrichtung vorzugeben. Alle Angaben werden telephonisch den Operatoren des Rechenraumes, einigen Schülern der höheren Klassen, übermittelt. Zunächst einmal wird der simulierte Reaktor nicht kritisch und die Schüler sind erstaunt, daß es gar nicht so einfach ist, einen Reaktor in die Luft zu jagen. Mit großer Spannung wird noch einmal der vorhin durchgenommene Stoff durchdiskutiert, der Lehrer gibt einige Hilfen und nach ein paar weiteren Versuchen kann der Reaktor hochgefahren werden. Jetzt erscheint.auf den Fernsehschirmen das Bild der Reaktorwarte mit ihren Anzeigeinstrumenten: Temperatur, Kühlwasserdurchfluß, Neutronenfluß, Leistung. Endlich hat der Reaktor die Höchstleistung von 10 Megawatt erreicht.

Und jetzt beginnen die Schüler zu experimentieren, zunächst nur so drauf los, aber dem Lehrer gelingt es, sie dazu zu bringen, jedes Experiment zielgerichtet zu planen und ein Beobachtungsprotokoll anzufertigen. Dieses Beispiel ist bereits für viele tausende Schüler in den USA Wirklichkeit. Demonstrationsprogramme gibt es in Hülle und Fülle für alle Fächer, und zwar nicht nur für naturwissenschaftliche.

Es ist nun naheliegend, diese Demonstrationsprogramme „sich selbst“ kommentieren zu lassen und der Gedanke, kleine Tests für den Schüler einzubauen und auf Grund der Antworten den Computer den weiteren Weg der Demonstration auswählen zu lassen, ist nur noch eine logische Erweiterung. Bei diesem nächsten Schritt wird der Computer zu einer universellen Lehrmaschine. Und hier beginnt die Problematik: Können, abgesehen von der gesteigerten (aber möglicherweise nur kurzzeitig wirksamen) Lernmotivation durch den Einsatz des neuartigen Mediums „Computer“, tatsächlich die Möglichkeiten dieser „Computer assisted Instruction (CAI)“ zur Effektivierung des Lernens genützt werden? Ist es sinnvoll, durch einen derartigen Aufwand dem Schüler im wesentlichen oft nur das beim programmierten Lehrbuch notwendige Aufsuchen der Seiten mit dem nächsten Lernquant ersparen? Aber auch von der Technologie her ergeben sich große Probleme, wie etwa das des Speichems des Lehrstoffes, also oft einer Unmenge reinen Textes.

Am Endpunkt der Entwicklung könnte ein alle Schulen netzartig umfassendes CBI-Systam stehen, über das mittels Fernsehdraht oder Fernsehrichtfunk Instruktionsmaterialien, die nicht so häufig gebraucht werden und daher nicht in der Mediothek der Schule vorhanden sind, von einer Zentrale oder einzelnen spezialisierten Mediotheken abgerufen werden können. Der als Datenkozentrator an jeder Schule befindliche Kleinrechner steht darüber hinaus als Rechner für Fortran- oder Basic-Programme Schülern und Lehrern in den formal-und naturwissenschaftlichen Fächern zur Verfügung und er kann zur Durchführung von Computerdemonstration und von Computer assisted Instruction, aber auch zur Steuerung von Lehrmaschinen und Sprachlabors, und nicht zuletzt für Zwecke der Sehulverwaltung (Aufstellung etwa von Stundenplänen) eingesetzt werden.

Diese Entwicklungstendenz zum Computer als Beratungs- und Organisationshilfe, sozusagen zum allgegenwärtigen, verläßlichen Assistenten des Lehrers, erlaubt es, die im Titel gestellte Frage nur noch als eine rhetorische zu betrachten.

Erfahrungen auf diesem Gebiet wurden vor allem in den USA gesammelt, da es dort bereits viele Schulen mit einem eigenen Computer oder einem Timesharing-Anschluß gibt. Aber auch in der BRD beschäftigen sich verschiedene Forschungsinstitute mit diesem Thema. In Österreich werden im Forschungszentrum Seibersdorf technologische Grundlagen für diesen Bereich erarbeitet. In Anbetracht der finanziell zunehmend leichter werdenden Realisierbarkeit solcher Computeranwendungen in den Schulen ist damit zu rechnen, daß in etwa zehn Jahren in Österreich zumindest breite Schulversuche auf diesem Gebiet laufen werden. Wichtig ist, aus den Erfahrungen des Auslandes zu lernen und nicht dem Irrglauben zu verfallen, daß mit einer Expansion der Technologie allein die Schulen effizienter werden können. Am “Endpunkt einer solchen Entwicklung stünde eine technokratisch uniformierte Gesellschaft, deren Menschen nur noch mit Maschinen, nicht mehr mit Menschen (oder Büchern) umgehen könnten.

Ziel aller Bestrebungen muß es sein, alle jene Aufgaben der Maschine zu übertragen, die den Aufbau eines menschlichen Verhältnisses zwischen Lehrer und Schüler belasten.

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