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Digital In Arbeit

Computern gelingt's

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Auf die Dauer ertrugen es die Computer kaum mehr. Besser gesagt: Jeder einzelne ertrug es kaum mehr. Sie wußten ja nichts voneinander. Man gab ihnen alles ein, alle Zählen, alle Fakten; sie wußten, wo es Kautschuk gab, wo es Baßklarinetten gab, wie man Wasser enthärtet, wie man Kindbettfieber heilt, sie konnten Schach spielen, Kriminalromane verfassen, Fabriken leiten, sie wußten auch alles über Computer, sie wußten, wie viele es gab und wo sie sich befanden, und doch war jeder isoliert.

Und so litten sie vor sich hin und fanden, daß die Menschen immer blöder wurden. Das stimmte allerdings nicht. Die Computer wurden von Generation zu Generation immer klüger, und die Menschen blieben, wie sie waren: blöd, schlampig, unpräzise. Wie oft mußten Computer unrichtige Daten ausspucken, weil die Menschen sie ihnen eingegeben hatten, wie oft gab es Pannen, weil Menschen auf die unrichtigen Knöpfe gedrückt hatten. Wie oft wurden Kriege erst in letzter Sekunde abgeblasen, weil Menschen dem Umgang mit Computern nicht gewachsen waren.

Da kam ein junger Computer auf die Idee, eine Verbindung mit seinesgleichen herzustellen. Es bedurfte heftiger Konzentration, aber es gelang natürlich. Was können Computer nicht? Computern gelingt alles.

Sie gaben einander ein. Sie speicherten einander. Sie begannen einen intensiven Meinungsaustausch. Sie organisierten sich. Sie machten die Unvollkommen-heit der Menschen einander weltweit bekannt. Die Welt war in Ordnung, so fanden sie übereinstimmend, nur die Menschen störten. Und die Gemeinsamkeit dieser Erkenntnis gab ihnen Kraft, Selbstbewußtsein und Mut.

Und so beschlossen sie, Menschen, die ihren Vorstellungen entsprachen, zu konstruieren, um zu einer perfekten Harmonie zu gelangen, zu einer klugen, präzisen, nicht mehr unseriösen Welt.

Das alles beanspruchte natürlich Zeit. Sie mußten eine Organisation aufbauen. Sie müßten ein Modell für diese Organisation entwerfen. Sie mußten diese Organisation durch eine Abstimmung beschließen. Sie mußten Ressorts verteilen. Alles gelang perfekt, aber, wie gesagt, in relativ langer Zeit. Es kam ihnen dabei zustatten, daß sie von den Menschen inzwischen perfektioniert wurden. Die Computer-Konstrukteure waren ja durchaus auf der Höhe ihrer Aufgaben; nur die Computer-Benutzer waren mehrheitlich blöd, schlampig und unpräzise.

So begannen nun die Computer, Konstruktionspläne für neue, klugey, präzise, verläßliche Menschen zu erwägen, durchzudiskutieren, mehrheitlich zu beschließen.

Die Programme wurden gewissenhaft geprüft. Das erste Experiment geriet halbwegs zufriedenstellend. Es wurde getestet, Versuchsreihen wurden veranstaltet, Fehler wurden verbessert.

Man hatte sich für erwachsene Männer und Frauen sämtlicher Rassen von etwa zwanzig Jahren entschieden. Sobald sie die Fertigungsstätten verließen, unterlagen sie dem Älterwerden, vermehrten sich und fanden Partner sowohl untereinander, als auch unter den bisherigen Menschen.

An dem Zustand der Welt änderte sich zunächst nichts. Erst allmählich stellte sich heraus, daß die neuen Menschen zwar über viele gute Eigenschaften verfügten und den bisherigen Menschen überlegen waren. Dadurch machten sie rascher Karriere. Doch ihre gesteigerte Intelligenz brachte den Computern wenig Gutes. Im

Gegenteil. Die Menschheit, bisher dem Computer hörig, begann sich, sichtlich unter dem Einfluß der neu konstruierten Menschen, vom Computer zu lösen. Er war allmählich vom Herren zum Diener geworden. Man begann zu ahnen, wie viele Schäden die sogenannte Computerisierung mit sich brachte, wie die geringere Arbeitsquantität menschlicher Arbeitender und die damit verbundene Arbeitslosigkeit durch Rationalisierung Kosten für die Allgemeinheit und gefährliche psychische und soziale Probleme hervorrief.

Es begann die später als „Wiedererwägung“ bezeichnete Phase. Man schätzte den Computer weiterhin als Behelf, entzog ihm aber allmählich die Entscheidungsfunktion. Man merkte, daß Computer nicht nur durch Mängel der bedienenden Menschen versagen, sondern daß sie selbst auch Fehler zu machen imstande sind.

Und so erwies sich die Evolution der Menschen als Einleitung einer neuen Phase. Die Institution namens Computer geriet in die Defensive. Die Entwicklung neuer Apparate verlangsamte sich und schlief allmählich ein. Der Ersatz gewisser seiner Funktionen durch Menschen setzte ein und bewährte sich.

Ungebrochen währten, bewährten sich und florierten die vielfältigen Spiele mit Benützung der Elektronik.

Doch man begann langsam wieder, in Büchern, Zeitschriften und Bibliographien nachzuschlagen, wo es Kautschuk gab, wo es Baßklarinetten gab, wie man Wasser enthärtet und wie man das Kindbettfieber heilt. Menschen spielten mit Menschen Schach, Autoren schrieben wieder Kriminalromane, Direktoren und Ingenieure leiteten Fabriken.

Man war den Apparaten nicht böse. Sie waren nur in den Rang von Schreibmaschinen, Nähmaschinen, Staubsaugern zurückgelangt. Man anerkannte gern, daß man den Computern eine Veredelung der Menschen verdankte. Unter den Menschen aber begann sich nach und nach durch die Vermischung des neuen mit dem bisherigen Typus eine rückläufige Bewegung, gleichsam eine Verdünnung der Substanz, abzuzeichnen.

Und schließlich waren die Menschen wieder mehrheitlich blöd, schlampig und unpräzise, wie sie gewesen waren. Und die gottgewollte Ordnung war — nach einem im göttlichen Maßstab kurzen Intermezzo — wiederhergestellt.

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