6995547-1987_08_01.jpg
Digital In Arbeit

Contras am Ende?

19451960198020002020

Nikaragua bekommt den Marxismus geschenkt. Sonst wird dem Land fast nichts geschenkt. Trotzdem hofft der Priesterminister Ernesto Cardenal auf baldigen Frieden.

19451960198020002020

Nikaragua bekommt den Marxismus geschenkt. Sonst wird dem Land fast nichts geschenkt. Trotzdem hofft der Priesterminister Ernesto Cardenal auf baldigen Frieden.

Werbung
Werbung
Werbung

FURCHE: Haben Sie sich die Entwicklung der nikaraguanischen Revolution so vorgestellt, wie sie jetzt verläuft, als Sie noch gegen das Somoza-Regime kämpften?

ERNESTO CARDENAL: Mit der Entwicklung der Revolution bin ich eigentlich sehr zufrieden. Ich habe immer darauf vertraut, daß Nikaragua eines Tages frei sein wird. Allerdings wagte ich nicht daran zu glauben, daß es eine Revolution mit derartigen Qualitäten geben wird. Es handelt sich bei uns um eine Revolution, wie es sie zuvor noch nie in der Geschichte der Welt gegeben hat.

Wir haben eine humanistische Revolution — ohne Todesstrafe —, mit massiver Unterstützung der Christen; eine Revolution, die Sympathien unter allen Völkern genießt — und die große Anzahl von Besuchern aus aller Herren Länder bestätigt das.

Gewisse Eigenheiten dieser Revolution sind durchaus originär. Wir haben einen US-Söldner gefangengenommen und nach kurzer Zeit begnadigt. Andere Söldner wurden in ihre Heimatländer abgeschoben. Das macht doch keine andere Regierung — ob mit oder ohne Revolution! Da bleiben die Leute interniert oder werden einfach umgebracht.

FURCHE: Wie interpretieren Sie den Konflikt des Staates mit der hiesigen Amtskirche ? Was sagen Sie zum Bruch der ehemaligen Anti-Somoza-Koalition, von der sich viele Christen abgewendet haben?

CARDENAL: Die Mehrheit der Nikaraguaner ist katholisch und hat die Revolution unterstützt, sie unterstützt sie noch immer. Die Bischöfe waren zwar gegen So-moza, aber nie für die Revolution. Vor allem in den letzten Tagen, unmittelbar vor dem Sturz Somo-zas, wandten sich die Bischöfe gegen den Diktator. Sogar US-Präsident Jimmy Carter bef ürworte-

te ein Ende der Diktatur, aber auf eine Weise, wie sich die Reagan-Administration der Diktatoren Jean-Claude Duvalier und Ferdinand Marcos entledigt hat: man will zwar optische Operationen, aber keine Revolution.

So ähnlich verhielt es sich auch mit dem Anti-Somozismus des Episkopats — es gab keine Koalition der Bischöfe mit den Sandi-nisten. Als die sandinistischen Truppen in Managua einmarschierten, war Kardinal Miguel Obando y Bravo in Venezuela und versuchte, dies zu verhindern.

FURCHE: In Verkaufsständen und Buchhandlungen sieht man hier sehr viel marxistische Literatur, zumeist aus der Sowjetunion, aus der Deutschen Demokratischen Republik oder aus Kuba importiert. Befürchten Sie nicht doch eine Durchdringung der sandinistischen Revolution mit marxistischen Grundsätzen?

CARDENAL: Es ist durchaus nicht so, daß Nikaragua mit solcher Literatur überschwemmt ist. Natürlich gibt es im Angebot Bücher aus sozialistischen Ländern Europas und auch aus Kuba. Der Grund dafür liegt darin, daß Nikaragua selbst nicht genug Geld hat, Bücher aus kapitalistischen Ländern zu kaufen. Diese Bücher hier wurden uns geschenkt. Sie finden hier aber auch nicht-marxistische Literatur.

Hinsichtlich der marxistischen

Literatur möchte ich darauf aufmerksam machen, daß auch Christen Bücher über und gegen den Marxismus schreiben. So hat eine Gruppe katholischer Theologen hier bei uns Lehrbücher für Studenten geschrieben, in denen die Theorien Karl Marx erklärt werden, ohne daß die Religion angegriffen wird.

FURCHE: Nikaragua investiert sehr viel in die Landesverteidigung. Sollte die Regierung, um dem Volk zu helfen, nicht doch mehr in die Landwirtschaft und in andere Wirtschaftszweige investieren?

CARDENAL: Ganz recht. Aber erst, wenn es keinen Krieg mehr gibt. Deswegen sind wir ja so sehr am Frieden interessiert. Wir hätten dann die Möglichkeit, mehr in das Gesundheitswesen, in Schulen, Wohnungen und in den Sozialbereich zu investieren. Einer der Gründe, warum Ronald Reagan diesen Krieg führt, ist doch der, daß soziale Fortschritte der Revolution verhindert werden. Den anderen Ländern Zentralamerikas soll offenbar demonstriert werden, daß es mit Revolution keine Fortschritte gibt. Unter einem armen Volk, dem es am Nötigsten fehlt, kann man sehr leicht die Unzufriedenheit schüren.

FURCHE: Wie beurteilen Sie die Chancen auf Frieden?

CARDENAL: Ich hoffe, daß-der Krieg in Nikaragua noch in diesem Jahr beendet wird — aufgrund der Skandale, die es im Weißen Haus gegeben hat, aufgrund der relativen Veränderungen durch die US-Kongreßwahlen, aufgrund des Sympathieverlustes der CIA wegen der Rauschgiftaffäre.

Das alles könnte eine Kürzung der Contra-Hilfe bedeuten. Und in dem Moment, wo die Contras keine Unterstützung mehr erhalten, ist der Krieg zu Ende.

Mit Ernesto Cardenal sprach Peter Hopfinger.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung