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Countdown in Dresden

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Mit der Wiedereröffnung der Semper-Oper am 13. Februar soll Dresden wieder Kulturzentrum im östlichen Deutschland werden.

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Mit der Wiedereröffnung der Semper-Oper am 13. Februar soll Dresden wieder Kulturzentrum im östlichen Deutschland werden.

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Der Countdown in Dresden ist längst im Laufen. Am 13. Februar 1985 wird die wiederaufgebaute Semper-Oper feierlich eröffnet -und das soll ein Fest werden, das Sachsens Königsstadt wieder in die Mitte der europäischen Kulturzentren einreihen soll.

Aber nicht nur die Oper — auch andere neue oder wiederhergestellte Bauwerke sollen an diesem Tag der Öffentlichkeit übergeben werden. Die Staats- und Kulturfunktionäre der DDR werden alle Hände voll zu tun haben.

Denn der 13. Februar ist der 40. Todestag jenes anderen 13. Februar, an dem unmittelbar vor Kriegsende alliierte Bomber das ehemalige Elbflorenz in Schutt und Asche legten. Heute noch weiß man nicht, wie viele Menschen im Bombenhagel, im Feuer, unter zusammenbrechenden Mauern den Tod fanden.

Manche Spuren davon sieht man noch. Die Frauenkirche ist noch immer ein Trümmerhaufen. Vor ihren Resten erinnert eine Gedenktafel an die nie mehr gefundenen Opfer. Aber sonst ist in 40 Jahren viel geschehen.

Alte Dresdner trauern den Repräsentativ- und Wohnbauten nach, die zu Zeiten der letzten Könige gebaut worden waren. Die vielen Zuwanderer aus den Ostgebieten des alten Reichs, die zwischen Trümmern Aufnahme gefunden haben, zollen auch den Neubauten der Republik ihren Applaus. In der Tat weisen viele von ihnen eine interessante Architektur auf: weniger Soz-Rea-lismus als in Berlin-Ost.

Das mag auch der Tatsache zu verdanken sein, daß hier später mit dem Wiederaufbau im großen Stil angefangen wurde, als in der „Hauptstadt der DDR", erst nach der Periode des Stalinschen Zuk-kerbäckerstils. Relikt des alten Antagonismus zwischen Sachsen und Preußen?

„Warum ist die Elbe hinter Dresden so gelbe?" fragte einst, zu Königs Zeiten, der Volkswitz und antwortete: „Weil gleich hinter Meißen, pfui Spinne, kommt Preußen!" Zur Zeit der Entstehung dieses Sprüchleins hatte Preußen die sächsische Konkurrenz schon ausgestochen.

Um 1700 war Dresden das Kulturzentrum im mittleren Deutschland. Die Verbindung mit Polen hatte den Wettinern die Königswürde gebracht, die im Reich nur der König von Böhmen trug. Friedrich von Brandenburg ließ sich, um gleichzuziehen, zum König in Preußen krönen. Während August der Starke Dresden zur Perle des Barock machte, konzentrierten die Hohenzollern ihre Aufmerksamkeit auf Militär und Verwaltung.

Die Animositäten zwischen Dresden und Berlin wuchsen, als

Sachsens Truppen mit Maria Theresia gegen Friedrich II. und wieder hundert Jahre später mit Franz Joseph gegen Wilhelm I. kämpften — und beide Male unterlagen. Die preußische Dominanz im neuen Deutschen Reich konnte sie kaum mildern.

Nach dem Untergang dieses Reichs, nach dem Ende Preußens kam „Ulbrichts Rache", erzählen die Einheimischen: Unter ihm wurden die Sachsen zur „fünften Besatzungsmacht".

Unter der Notwendigkeit, eine völlig neue Verwaltung nach sowjetischem Modell für Staat und Partei aufzubauen, holte Walter Ulbricht, selbst Sachse, tausende seiner Landsleute nach Berlin in alle Führungsstellen, wo sie sich nicht nur bei den eingesessenen Berlinern, sondern auch bei ihren zurückgebliebenen Landsleuten als hundertfünfzigprozentige Zentralisten unbeliebt machten.

„Wissen Se", witzelt einer von ihnen selbstironisierend, „friher sagten se: Sachsenhausen bei Berlin (ein Vorort) — heite sagen se: Sachsen hausen in Berlin!"

Ist es nur Einbildung aus langer Gewöhnung? Jedenfalls fühlen sich die Dresdner heute wie einst gegenüber Berlin benachteiligt. Zu Tagungen in der Hauptstadt mit beschränkter Teilnehmerzahl werden die Genossen aus der „Provinz" nicht eingeladen. Die allmächtige SED hält ihre Parteitage in Berlin ab, für Dresden fällt nur die (öst)CDU ab.

Ist die Versorgungslage hier tatsächlich schlechter als in Berlin? Geschäfte und Kaufhäuser sind voll. Ob auch immer gerade das da ist, was man sucht, ist eine andere Frage. Vor Weihnachten fährt man mit langen Wunschlisten ins benachbarte Böhmen — wie von dort die Tschechen mit ebenso langen Wunschlisten nach Dresden zum Einkaufen fahren.

Die Grenzkontrollen haben längst ihren Schrecken verloren. Bürokratie ist längst zum Selbstzweck geworden. Irgendwie müssen j a die Massen von Uniformierten beiderlei Geschlechts beschäftigt werden.

Dresden gilt auch deswegen als neuralgischer Bereich, weil hier das Westfernsehen nicht empfangen werden kann. ARD und ZDF gehören schon im benachbarten Lausitz, viel mehr noch in Leipzig und in Thüringen, zur täglichen Information — die dummen Polemiken der eigenen Massenmedien, die sich gegenwärtig auf die „bevorstehende Invasion Nikaraguas durch die Reagan-Administration" einschießen, wird von den eigenen Menschen kaum mehr zur Kenntnis genommen.

Der Bezirk Dresden gehört zu jenen, die die meisten Auswanderungsanträge melden — wirkt das Westfernsehen also mildernd? Jedenfalls spricht man davon, daß über Verkabelung nun auch Dresden zu dieser Vergünstigung kommen soll.

Aber zunächst steht nun die Operneröffnung bevor. Damit erhält der Wiederaufbau des Schloßbezirks seine Krönung. Der Zwinger steht seit etlichen Jahren in alter Schönheit. In die Gemäldegalerie sind die Schätze zurückgekehrt, die 1945 von den Sowjets als Kriegsbeute in Anspruch genommen worden waren.

Unter dem Druck der Weltöffentlichkeit gab man sie zurück, bestens restauriert — und setzte damit die Norm, daß in Zukunft wohl kaum mehr Kunstschätze zur Kriegsbeute erklärt werden dürften.

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