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Craxis halber Rückzug

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Noch nicht die Regierung Cra-xi selbst, aber das vom ersten sozialistischen Ministerpräsidenten Italiens erlassene „Anti-Inflationsdekret", mit dem er erstmals die Kommunisten total herausgefordert hat, ist in einer parlamentarischen Redeschlacht verendet.

Mit düsterem Pathos hatte Bettino Craxi von „schwarzen Tagen in der Geschichte der Republik" gesprochen. Er meinte die letzte Woche einer Debatte, in der die kommunistische Opposition in der Abgeordnetenkammer durch über 3000 Abänderungsanträge und Anwendung aller erlaubten Geschäftsordnungstricks, zuletzt durch täglich 20stündiges Reden, die fristgerechte Umwandlung des Dekrets in ein Gesetz verhindert hat.

Denn am 16. April sind die dafür vorgeschriebenen 60 Tage seit dem 14. Februar abgelaufen, an dem Craxi auf dem Verordnungsweg jene gleitende Lohnskala, die in Italien Löhne und Gehälter vierteljährlich der Inflationsrate anpaßt, für 1984 um drei Punkte kürzte. Doch nicht so sehr dieser — eher bescheidene — Versuch, die Lohn-Preis-Spirale zu bremsen, hat den seit Jahren dramatischsten innenpolitischen Konflikt provoziert.

Craxis Methode hat dazu geführt, daß er die Widerstände, über die er sich hinwegsetzen wollte, erst recht aktiviert hat. Ging es ihm darum, seinen Koalitionspartnern — und sich selbst — eine Entschlußkraft zu beweisen, die das Leichtgewicht seiner Zehn-Prozent-Partei wettmachen soll? Jedenfalls verzichtete Craxi auf Kompromiß- und Vermittlungskünste, wie sie den christdemokratisch geführten Regierungen jahrzehntelang stets das Uberleben oder die Wiederauferstehung gesichert haben.

Der Ministerpräsident begnügte sich mit der Zustimmung einer knappen christdemokratisch-sozialistischen Mehrheit der Gewerkschaftsverbände. Er wagte damit nicht nur den Zusammenstoß mit der kommunistischen

Mehrheit der CGIL, der größten der drei Arbeitnehmerorganisationen, sondern nahm sogar den Bruch der gewerkschaftlichen Aktionseinheit mit einer Gelassenheit in Kauf, die ein besonnener Unternehmer sich nicht leisten könnte.

Erst als die Kommunisten am 24. März fast eine Dreiviertelmillion Demonstranten in Rom aufmarschieren ließen (darunter nicht nur eigene Parteigänger), deren Protest sie durchaus zu disziplinieren verstanden, begann Craxi Zeichen von Bekümmerung zu zeigen — zumal im psychologisch ungünstigen Augenblick eine Statistik des Finanzministeriums zeigte, daß Italiens Arbeiter durchschnittlich mehr Steuern zahlen als die Unternehmer.

Man könnte ja die Gültigkeit des umstrittenen Dekrets und seine Lohnkürzungen auf ein halbes Jahr beschränken — diese Idee, die auf einen halben Rückzug hinausläuft, brachte der christdemokratische Vizeministerpräsident Forlani am 17. April in eine Neuauflage des Dekrets ein, die es den Kommunisten und linken Gewerkschaftern akzeptabler machen soll.

Craxi hatte sich über seine Niederlage zwar damit hinweggetröstet, daß er die Vertrauensfrage stellte, die (mit 363 gegen 230 Stimmen) positiv beantwortet wurde; er meinte auch, das Dekret sei dadurch indirekt verabschiedet, es fehle „nur noch der Stempel". Doch um eben diesen in den nächsten 60 Tagen ohne kommunistische Obstruktion zu erhalten, begnügt sich Craxi jetzt mit einer verwässerten neuen Form des Dekrets. Die Lohnabstriche werden da durch erhöhtes Kindergeld fast ausgeglichen — sodaß man sich jetzt fragt, wozu dann die kräfteverschleißende Konfrontation nötig war.

Ohnehin wird unter Experten die Wirksamkeit eines Dekrets bezweifelt, das — nun sogar nur auf sechs Monate befristet — nur die Symptome, aber nicht die

Struktur der inflationstreibenden gleitenden Lohnskala verändert.

Daß dafür der politische Preis, eine galoppierende Verschlechterung des politischen Klimas, zu hoch sein könnte, dämmert vor allem den Christdemokraten. Sie wußten immer, daß sich Italien zwar ohne, aber schwerlich gegen die Kommunisten regieren läßt.

Ob die Regierung Craxi den glücklosen Streit um das Dekret noch bis zu den Europawahlen im Juni oder gar länger überdauert, hängt von ganz unsicheren Faktoren ab: ob die Kommunisten sich weiter in den Kampf mit dem ungeliebten kleinen (aber regierenden) sozialistischen „Bruder" verbeißen, ob sie einem Christdemokraten mildere Opposition in Aussicht stellen würden, oder ob sie sich bei einem Regierungschef aus den Reihen der DC selbst wieder Regierungschancen errechnen können.

Falls eine jüngste Umfrage stimmt, wonach bei Wahlen Italiens KP heute mit 31 Prozent, die Christdemokraten nur noch mit 28 Prozent und die Sozialisten mit 12 Prozent rechnen könnten, würden die Karten neu gemischt. Craxis Unentbehrlichkeit bliebe dann ein Trumpf, der nicht mehr unbedingt sticht.

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