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CSFR: Profil zeigen nur die Extremisten

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Alles, nur nicht die Kommunisten. Das war die Wahlparole der Mehrheit des Volkes vor zwei Jahren. Ja, die Mehrheit der Tschechen und Slowaken fürchtete sich damals vor den Kommunisten und die Kommunisten fürchteten die Mehrheit des Volkes .

Heute sind die Sozialdemokraten viel deutlicher hörbar. Und in der Slowakei sind die Kommunisten eine der wenigen Hoffnungen der Föderation.

Die nostalgisch verherrlichte allgemeine Einheit in der Zeit des „Bürgerforums" war leider nur negativ begründet, das heißt, in der Furcht vor den Kommunisten. Vor der zweiten Wahl haben die tschechoslowakischen Bürger eine fast unübersehbare Menge an politischen Parteien und Bewegungen vor Augen.

Alle Parteien sind nicht nur für Demokratie und Marktwirtschaft, sondern auch für Sozialpolitik und Ökologie. Keine Partei setzt sich fest begrenzte, leicht kontrollierbare Ziele. Die einzigen Parteien mit Profil sind<lie Extremisten: die Republikaner mit dem provokatorisch auftretenden Sladek in Böhmen und die Nationalisten mit dem Ex-Boxer Vladimir Meciar in der Slowakei.

Die einzige Persönlichkeit, die in Böhmen noch Einheitsgefühle weckt, ist Präsident Vaclav Havel. Alle anderen Politiker sind ambivalent. Finanzminister Vaclav Klaus: ein brillanter Ökonom, der keine echten Persönlichkeiten in seiner Nähe duldet. Oder Außenminister Jiri Dienstbier: ein Fachmann der Beziehungen zum Ausland, der zu viele alte „Sta-si"-Mitarbeiter in seinem Amt tolerierte. Oder der tschechische Ministerpräsident Petr Pithart: ein hervorragender Politologe, aber entscheidungsschwach in der praktischen Politik. In der Slowakei obsiegen anstelle der typisch zersetzerischen Skepsis der Tschechen mehr und mehr erregte Emotionen. Es ja wirklich nicht leicht, nüchtern zu bleiben und sich zugleich mit einem Priester - dem Prälaten Jozef Tiso - zu identifizieren, der 50.000 Juden in Konzentrationslager „exportierte".

In den letzten beiden Jahren wurden in der CSFR echte Wunder verwirklicht. Gleichzeitig brandete aber auch eine Welle der Unzufriedenheit auf. Nach 40, in vielerlei Hinsicht hungrigen Jahren ist es schwer, einem Volk Entsagung aufzuerlegen.- Die größte Gefahr droht dem tschechoslowakischen Bürger heute von der Ungeduld, so bald wie möglich in voller Freiheit und Wohlstand zu leben.

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