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CSSR: Auf dem Weg zu einem Entwicklungsland

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Der traditionelle Weihnachtsmarkt auf der Prager Kleinseite, im Schatten der majestätischen Karlsbrücke, ist heuer noch ärmer bestückt als die Jahre zuvor. Es gibt weder Feigen noch Bananen und auch die angebotenen Süßigkeiten und Schokoladen nehmen sich recht ärmlich aus.

In den Geschäften rund um den Wenzelsplatz sind in den Auslagen der Lebensmittelläden jedenfalls genug Fleisch- und Wurstwaren zu sehen, auch Kaffee und Tee gibt es. Man ist noch weit entfernt von polnischen oder rumänischen Zuständen.

In den Warenhäusern gibt es viel Gedränge um eine Reihe von

Produkten, die von der Regierung jetzt vor Weihnachten bis zu zwanzig Prozent verbilligt wurden: Es handelt sich dabei freilich vor allem um Ladenhüter.

Für den Normalbürger wird die ökonomische Krise, in die die CSSR immer schneller schlittert, dennoch schon recht deutlich. Die wochenlangen Ausfälle von bestimmten Konsumgütern des täglichen Bedarfs werden immer häufiger.

CSSR-Ministerpräsident Strougal macht auch gar kein Hehl mehr daraus, daß die Lage auf dem Binnenmarkt alles andere als rosig ist: „Es gelingt uns nicht, die Nachfrage auf dem Binnenmarkt zu decken, die Zahl der Mangelwaren wächst an.“

Dies ist freilich nur ein Indiz für die Misere, die sich nun immer deutlicher abzuzeichnen beginnt und die auch von Offiziellen gar nicht mehr beschönigt wird.

Finanzminister Leopold Ler: „Die Dringlichkeit der Probleme, denen wir uns gegenübersehen, wird noch größer werden und uns

in zwei, drei Jahren noch stärker belasten.“

Und Premier Strougal selbst sprach von „beispiellosen Problemen“ in den nächsten Jahren.

Praktisch auf jedem Sektor schrillen die ökonomischen Alarmglocken:

• Bei Kohle wurde im ersten Halbjahr der Förderplan gerade noch erfüllt, im zweiten Halbjahr dürfte er deutlich hinter den gesteckten Zielen bleiben. Der große Tagabbaubetrieb „Maxim Gorkij“ in Nordböhmen hat seine Förderung noch immer nicht aufgenommen, man ist mehrere Monate hinter dem geplanten Baufortschritt.

Die UdSSR muß wegen wachsender Nachfrage im Inland und der Exporte nach Polen ihre Energie-Ausfuhren in die osteuropäischen Länder um bis zu zehn Prozent kürzen. Davon ist auch

die CSSR betroffen. Prag vertraglich zugesicherte Kohle aus Polen und Erdöl aus dem Iran blieben weitgehend aus.

• Es gab 1981 in der CSSR eine Mißernte. Laut František Pitra, der bei der letzten ZK-Sitzung Bericht erstattete, beträgt das Manko 1,6 Millionen Tonnen. Die Ernährung der Bevölkerung sei zwar gesichert, doch werde vor allem die „Futtermittelbasis“ sehr schmal werden. Mit anderen Worten, die Fleischproduktion wird sinken.

Laut den kürzlich gefaßten Beschlüssen soll eine „schnelle und markante Senkung der überproportionierten Schweine- und Hühnerbestände durchgeführt“ werden, bei der Rindfleischproduktion zu geringeren Futterrationen übergegangen werden.

• Inderindustrieproduktion,die auch nur noch auf Sparflamme läuft, signalisieren einige Zahlen ebenfalls die Krise. Beim Export von industriellen Produkten erzielt die CSSR nicht einmal halb so hohe Kilogrammpreise (1,84 Dollar) wie der europäische Durchschnitt

Der Anteil neu in die Erzeugung genommener Waren beträgt jährlich nur 10 Prozent. Von diesen neuen Produkten erreichten jedoch nur rund 17 Prozent „Weltniveau“. Das bedeutet, daß nur 2 Prozent der CSSR-Produktion auf dem Weltmarkt voll konkurrenzfähig sind.

Miroslav Kolanda vom CSSR- Forschungsinstitut für Außenhandel, weiß auch den Grund für diese Misere: „Die Betriebe des Landes orientieren sich bewußt zu sehr am Binnenmarkt, von dem bekannt ist, daß seine Anforderungen an Qualität, Lieferfristen und Kundendienst nicht den internationalen Maßstäben entsprechen.

• In der Bauwirtschaft wurde ein „Minus“ von 3 Prozent festgestellt - laut Partei-Organ „Rude pr avo“ das „schlechteste Ergebnis seit dem Bestehen des sozialistischen Aufbaus“.

• Die Verbesserung der Qualität setzt sich laut ZK-Bericht über die Wirtschaftslage „in geringerem Ausmaß als erwartet durch“. Und weiter: „Ebenso wenig waren die bisher gesetzten Maßnahmen in der Lage, die Beschäftigten zu einer Erhöhung ihrer Arbeitsproduktivität anzuspornen“. Und dann: „Die Anwendung der Ergebnisse der Forschung in der Produktion sind weiter unter den im Plan vorgesehenen Kennziffern geblieben.“

Ministerpräsident und Politbüromitglied Lubomir Strougal, der zu den „Pragmatikern“ in der Prager Führung zu zählen ist, enthüllte schon vor Jahresf rist die eigentlichen Ursachen für die nun immer schärfer werdende Wirtschaftskrise: „Das gegenwärtige System der Wirtschaftslenkung spiegelt die Bedingungen wider.

wie sie sich in den 50er Jahren gebildet haben.“

Diese deutliche Kritik am stalinistischen Wirtschaftsmodell mit seinem Schwergewicht auf der energie- und rohstoffaufwendigen Schwer-Industrie erfolgt spät Und. die von Strougal „erfundene“ und durch die Querschüsse der Dogmatiker verwässerte, seit einem halben Jahr teilweise praktizierte Wirtschaftsreform (sie heißt im Parteichinesisch „Prinzipien des vervollkommneten Systems der Planwirtschaft“) greift nicht so richtig.

Die Produktion, die viele Jahre nach ganz anderen Prinzipien geführt wurde, soll nun auf Bedarf und Nachfrage reagieren, die Löhne sollen an die Leistung, die Prämien an die Qualität gebunden, durch Innovationen die Kosten gesenkt werden.

Das ist zwar im Ansatz eine Verbesserung der bisher stur gehandhabten Zentralplanung, aber ein nur lockerer Wirtschaftslenkungsmechanismus mit deutlich marktwirtschaftlichen Regulatoren scheiterte am Widerstand der Dogmatiker um Bilak, Kapek, Hofmann und Svestka.

Strougal versucht, bei allem offenen Eingeständnis der Schwierigkeiten, aber auch weitverbreiteter „Weltuntergangsstimmung“ entgegenzuwirken: „Wenn wir nur schwarz sehen, verlieren wir jede Perspektive.“

Viele, auch der Partei verpflichtete Wirtschaftswissenschaftler in der CSSR, sehen allerdings keine Perspektiven mehr. Sie meinen, man müßte faktisch vom Nullpunkt beginnen und endlich eine hochspezialisierte Industrie für „intelligente“ Produkte aufbauen — und zwar rasch.

„Denn sonst,“ so einer im bitteren Sarkasmus,,, wird unsere Heimat, einst beispielgebend als Industriestaat bald nur noch ein Entwicklungsland sein.“

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