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CSSR: „Du kommst hier niemals raus”

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Nicht nur in Ottawa, sondern auch in Wien wurde unlängst die triste Menschenrechts-Situation in der CSSR erörtert — und zwar vom CSSR-Arbeitsausschuß der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte. Und das wiederum nicht nur abstrakt, sondern ausführlich, in allen Einzelheiten.

Zbynek Cerovsky, ein Char-ta-77-Unterzeichner, gab einen Zeugenbericht über die Umstände der erschütternden Existenz eines politischen Gefangenen im CSSR-Strafvollzug ab. Er konnte aus eigener Erfahrung das tägliche Vegetieren der Häftlinge, besonders in der speziellen geschlossenen fünften Abteilung im Püsner Gefängnis Bory genau beschreiben, in dem neben anderen Charta-77-Bürgerrechtlern auch der weltberühmte Dramatiker Vaclav Havel mehrere Jahre verbringen mußte.

Noch schlimmer ist die Gefangenschaft in der berüchtigten Strafanstalt der dritten Strafkategorie in Valdice bei Jicin (Ostböhmen). „Du kommst hier niemals raus”, sagen die Aufseher den Neuankömmlingen mit mehrjährigen Strafen.

Auch ein gewisser Jiri Gans aus dem südböhmischen Budweis wurde hier 1977 eingeliefert, bevor er in einem Prozeß vor dem Militärsenat wegen angeblicher Spionage zu fünfzehn Jahren Haft verurteilt wurde.

Gans sei immer ein äußerst ruhiger Mensch gewesen, sagen die Leute, die den heute 56jährigen Budweiser mit Brille kennengelernt haben. Seine Eltern und Verwandten hat er in den Nazi-KZ's verloren und er war, was ihm zum Verhängnis werden sollte, seit jeher ein ausgesprochener Jazz-Fan. 1982 nannte ihn im Prager Fernsehen ein Polizeimajor einen musikliebenden Feind des Sozialismus, habe er sich doch im Amerika-Club bei der Prager US-Botschaft Schallplatten und Tonbänder beschafft.

Jiri Gans ist heute, den Zeugnissen entlassener Häftlinge zufolge, nach insgesamt neun Jahren Kerker nur noch ein menschliches Wrack. Jüngst haben vierzehn bekannte CSSR-Bürger-rechtler einen offenen Brief an den Staatsanwalt Dr. Fejes geschrieben und um die sofortige Freüassung Gans' ersucht. Auch die internationale Öffentlichkeit sollte sich diesem Protest anschließen, es gilt, das nackte Leben des Gefangenen zu retten.

Jiri Gans ist leider nicht der einzige, der auf diese Weise unschuldig leidet. Im selben Gefängnis sitzt bereits seit 1977 Josef Römer aus dem mährischen Gottwaldov (früher Zlin), einst Schlagzeuger einer Prager Musikgruppe. Auch ihm wurden Musikassetten und Schallplatten aus dem Prager America-Club zum Verhängnis.

Ebenfalls wegen angeblicher Spionage und dazu noch angeblicher Vorbereitung einer Flugzeugentführung (er arbeitete ein paar Tage am Prager Flughafen) wurde er, nach mehrmals geänderten Anklagen und konstruierten Beschuldigungen, zu elf Jahren Gefängnis verurteilt.

Nach dreieinhalb Jahren in Valdice wurde Ivan Martin Jiro-us, ein Prager Kunsthistoriker, Anfang Mai entlassen. Er wurde bereits viermal verurteilt, jedesmal im Zusammenhang mit „inoffizieller Kultur”.

Die Liste der Schikanen im Bereich der Kultur ist endlos: das Verbot eines Jazzvereines und seiner Zeitschrift gehören ebenso dazu wie der von der KP-Führung erzwungene Austausch des gesamten Redaktionsrates der unter der Jugend so populären Zeitschrift „Melodie”, in der nun Redakteure des Parteiorgans „Rüde prävo” und der orthodoxen Parteiwochenzeitschrift „Tribuna” das Wort führen.

Vor kurzem verurteilte ein Senat, unter dem Druck des tschechischen Justizministers Kaspar, die 21jährige Beamtin Lenka Ma-reökova zu einem Jahr Gefängnis. Ihr Verbrechen war es gewesen, einige ihrer eigenen Verse, darunter auch ein paar über Bresch-njews Tod, vor einer Handvoll Zuhörern vorgetragen zu haben.

Selbst ein Literaturnobelpreisträger ist vor — freilich vorsichtiger - Verfolgung nicht geschützt. Einerseits wird Jaroslav Seifert zwar zögernd und mit Vorbehalten, aber doch offiziell anerkannt - es geht ja auch um ein recht gutes Geschäft für den Staat, wenn jetzt Werke Seiferts überall, auch im Westen, herausgegeben werden; andererseits werden Bücher, seien sie ausländischer oder heimischer, inoffizieller Herkunft, nach wie vor konfisziert.

Das letzte öffentliche Engagement Seiferts war seine Unterschrift unter die Chartas-Erklärung. Seitdem der tschechische Schriftstellerverband unter seinem Vorsitz 1970 von den Behörden aufgelöst wurde, ist Seifert in seiner Prager Klausur der Öffentlichkeit entfernt geblieben.

Apropos Charta-77: Es ist überhaupt ein Wunder, daß diese Bürgerinitiative trotz heftiger und bis heute andauernder Angriffe noch aktiv ist und immer neue Sympathisanten unter der Bevölkerung, insbesondere der Jugend und den Intellektuellen, findet.

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