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„Cuius potestas — eius philosophia?“

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Ist ein Dialog zwischen Christen und Marxisten überhaupt möglich? Ein Miteinandersprechen mit der Bereitschaft, auch auf die Argumente des andern einzugehen, ihm entgegenzukommen, die Synthese zwischen gegensätzlichen Standpunkten anzustreben? Diese Frage zu bejahen, ist eine Existenzfrage für alle jene im Osten, die als Christen unter einem marxistischen Regime leben müssen und dies nicht nur in stummer Resignation wollen, sondern aktiv beteiligt am politischen, wirtschaftlichen, kulturellen Leben ihres Landes. Aber auch im Westen gibt es genug Menschen, die glauben, im Kampf gegen ungerechte Strukturen, in ihrem Bemühen um eine bessere Welt die Bundesgenossenschaft der äußersten Linken, die die gleichen Parolen vertritt, ansprechen zu sollen.

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Ist ein Dialog zwischen Christen und Marxisten überhaupt möglich? Ein Miteinandersprechen mit der Bereitschaft, auch auf die Argumente des andern einzugehen, ihm entgegenzukommen, die Synthese zwischen gegensätzlichen Standpunkten anzustreben? Diese Frage zu bejahen, ist eine Existenzfrage für alle jene im Osten, die als Christen unter einem marxistischen Regime leben müssen und dies nicht nur in stummer Resignation wollen, sondern aktiv beteiligt am politischen, wirtschaftlichen, kulturellen Leben ihres Landes. Aber auch im Westen gibt es genug Menschen, die glauben, im Kampf gegen ungerechte Strukturen, in ihrem Bemühen um eine bessere Welt die Bundesgenossenschaft der äußersten Linken, die die gleichen Parolen vertritt, ansprechen zu sollen.

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Das Ja zur Zusammenarbeit ist vor allem in Polen eine Existenzfrage für jene Organisation von Katholiken, die unter der Bezeichnung PAX schon seit der Nachkriegszeit bemüht ist, den Ausgleich zwischen Kirche und Staat zu erreichen. Die wohlwollende Haltung des Regimes hat ihr eine bedeutende wirtschaftliche Position ermöglicht, aber gleichzeitig die Skepsis aller jener, auch kirchlichen Kreise einge-gebracht, die nicht an eine echte Gesprächsbereitschaft auf der Gegenseite glauben. Um nun ebenso dem Staat die organisatorische Bedeutung wie den eigenen Landsleuten die Eigenständigkeit wie dem Ausland die besondere Lage der Katholiken in Polen zu demonstrieren, fand nun schon zum zweitenmal eine Tagung unter dem Motto „Gerechtigkeit und Friede“, statt, die kürzlich im Palais Jabtonna bei Warschau ein gutes Hundert von Priestern und Laien, Journalisten, Lehrern und Politfunktionären aus ganz Europa, von Finnland bis Italien, von Litauen bis Portugal versammelte.

Im Vorjahr hatte der zehnte Jahrestag der päpstlichen Enzyklika „Pacem in terris“ den Anlaß gegeben, zu fragen, wie die dort niedergelegten Anregungen verwirklicht werden könnten. Diesmal stellte man das schwierige Thema „Christentum — Sozialismus — Friede“ und wollte die Notwendigkeit des Dialogs zwischen Christen und Marxisten mit Argumenten untermauern. Schon der Veranstalter, schon der Tagungsort mußte erkennen lassen, daß die Rechtfertigung der Bemühungen um ein Gespräch mit dem Kommunismus im Vordergrund stehen würde.

Noch die vorjährige Tagung unterschied sich kaum von ähnlichen Friedenskongressen östlicher Prägung, bei denen trotz voller Diskussionsfreiheit die westlichen Gäste doch nur dem Aufputz dienen. Natürlich dominierten auch diesmal wieder die Pflichtübungen christdemokratischer und friedensprie-sterlicher Partei- und Organlsationsfunktionäre, die sich die Berechtigung für weitere Ausreisegenehmigungen sichern mußten. Katalanische und portugiesische Oppositionelle und italienische Linksaußenktholiken wetterten wie gewohnt gegen faschistische Regierungen und reaktionären Klerus. Und doch schien diesmal die Atmosphäre friedlicher, freier, konkreter, auch kritischer. Es gab genug Äußerungen, die das Gespräch mit dem Nächsten, die Zusammenarbeit der Jungen, das Friedenmachen im eigenen Bereich hervorhoben. Professor Borowoi, Vertreter der russischen Orthodoxie beim Weltkirchenrat, meinte skeptisch, bei jedem Dialog folge auf die erste Annäherung die Phase der Ernüchterung, wenn es darauf ankomme, konkrete Folgerungen aus der Verbrüderung zu ziehen — diese Verbrüderung allein genüge noch nicht.

Wie aber nun tatsächlich zu einem Dialog mit den Marxisten kommen — vor allem dort, wo diese alle Macht in der Hand haben und bisher noch nicht viel Anzeichen gegeben haben, an einem Dialog echt interessiert zu sein? PAX-Vorstandsmitglied Jozef Vojczik, der das eine der beiden Eingangsreferate hielt, meinte, Voraussetzung dafür sei, daß man zwischen „Ideologie“ und „Weltanschauung“ unterscheide. Die „sozialistische Ideologie“ basiere auf der Voraussetzung der klassenlosen Gesellschaft, sie strebe die Herrschaft der arbeitenden Klasse an, die Vergesellschaftung der Produktionsmittel, soziale zwischenmenschliche Beziehungen, in denen schöpferische Arbeit und Wissen und nicht Geld, Besitz und Herkunft über die Stellung des Menschen entscheiden. Davon könne der sozialistische Staat nicht abgehen — aber bei diesen Aufgaben könnten auch die Christen mitarbeiten. Dafür aber sollte der Staat ihnen „weltanschaulichen Pluralismus“ zugestehen, sollte er anerkennen, daß sich ihre Weltanschauung gleichberechtigt neben die materialistische stelle.

Die Diskussion krallte sich zeitweise hier fest, ging dann auf allgemeine Friedensprobleme über — und überspielte, was Vojczik, eingepackt in lange Ausführungen, anbringen wollte. Er mußte sich entgegenhalten lassen, daß der von ihm aufgezählte Ideologiekatalog in so manchem westlichen Staat — etwa in Österreich — längst verwirklicht sei, ohne daß man dazu den Sozialismus im östlichen Gepräge gebraucht hätte. Hier gibt es ja auch den Dialog zwischen Christen und (unseren) Marxisten. Hier brauche man auch keine Angst vor Infiltrationen zu haben, wenn am Ring oder Stephansplatz von „Iswestija1“ über „Rüde Pravo“ bis „Scinteia“ alle östlichen Presseprodukte zu haben seien. Warum dann nicht auch so viel Selbstbewußtsein drüben? Denn Vojczik hatte, bei aller Betonung der Aufgeschlossenheit den Nachbarn gegenüber, es doch abgelehnt, für die Zulassung von „Ideen, Informationen und Menschen“ — gemäß dem „Korb III“ der Genfer Konferenz — zu plädieren, die „Gewalt und Haß“ propagierten und sich in die inneren Verhältnisse der anderen einmischten.

Daneben ging unter, was Vojczik mahnte — etwa wenn er sagte, auch die staatlichen Behörden in den sozialistischen Staaten müßten daran interessiert sein, daß die religiösen Bedürfnisse der Katholiken befriedigt würden, denn diese Befriedigung schaffe das unentbehrliche Klima für die gemeinsame Bewältigung der großen nationalen Aufgaben. Oder: Es müßten gesellschaftspolitische Voraussetzungen garantiert werden, die jedem, besonders dem jungen Menschen die Möglichkeit bieten, auf der Grundlage eines sozialistischen Engagements eine souveräne Wahl seiner Weltanschauung zu treffen. Vojczik wandelte das Wort aus der Reformation zeitgenössisch um: „cuius potestas — eius philosophia“ und bezeichnete es als „Gefahr, Unterschätzung der Tatsachen und Illusionen“.

Das ist schon viel in einem Land, in dem Kirchenbesuch den Ausschluß aus der Partei und damit von allen Führungspositionen bedeutet. Es war schade, daß gerade diese Passagen unter der Flut oft gehörter Parolen untergingen, ohne in der Diskussion aufgegriffen zu werden — vielleicht aber war das gar nicht beabsichtigt. Vielleicht genügte den Veranstaltern, sie in ihrer Zeitung „Slowo Powszechnie“ niederlegen zu können.

Schade auch, daß man viele vermissen mußte, die zum Thema „Dialog“ so manches hätten beitragen können — vor allem natürlich die angesprochene Gegenseite (die Begrüßung durch einen Vertreter des Außenministeriums war nicht als Dialagbeitrag gedacht). Es wäre interessant gewesen, die Erfahrungen der Jugoslawen zu hören, die ebensowenig erschienen waren wie die Vertreter der Znak-Organi-sation, der „Konkurrenz“ im Werben um die polnischen Katholiken, die eine distanziertere Haltung zur Dialogfrage einnimmt. Jesuitenpater Alcalä aus Madrid faßte dieses Bedauern in der Anregung zusammen, man sollte doch dieses Thema einmal auf neutralem Boden durchspielen — vielleicht käme dann mehr heraus.

Als sich dann am Sonntag in der wiederaufgebauten, überfüllten Jesuitenkirche alle jene zur Konzele-bration trafen, die noch am Tag vorher ihre labile Position etwa in der CSSR durch besondere Versicherungen ihrer Loyalität kaschieren mußten, oder die — Dominikaner und Jesuiten aus Frankreich, Belgien, Italien — die Revolution aus dem Evangelium zu begründen versuchten, und als sie alle die Wandlungsworte gemeinsam mit dem polnischen Pater im — so schön verschieden gefärbten — Latein sprachen, da wußten alle, die diese Tage miterlebt hatten, daß es etwas gibt, was sie alle über alle Grenzen und Meinungsverschiedenheiten hinweg verbindet.

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