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Cyrill Fischer und Franz Werfel

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„Das Schlimmste hierzulande: diese grauenhafte Unkenntnis über Österreich"

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„Das Schlimmste hierzulande: diese grauenhafte Unkenntnis über Österreich"

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Cyrill Fischer O.F.M. Obiit die 11 Maii, 1945 Aet. 52. Prof.33.Sac. 26

R.I.P.

So lautet die Inschrift in der Gruft der Old Mission Santa Barbara in Kalifornien, USA.

1938 haben die beiden österreichischen Schriftsteller Felix und Robert Braun Österreich verlassen. Der Franziskanerpater Cyrill Fischer (FURCHE 7/1988) mußte am 12. März 1938 sofort fliehen. Robert Braun, damals in Schweden, schrieb im Jahre 1946 in der FURCHE folgenden Nachruf auf Cyrill Fischer: „Wenige nur wissen, welches Leben sich hinter diesen kargen Daten verbirgt. Das Vergessen zieht es schon in das Meer seiner Unendlichkeit, und mit jedem Tag, der dahingeht, entschwindet es unseren Blicken mehr."

Am Morgen des 12. März 1938 bekam Pater Cyrill von seinen Ordensoberen die Anweisung, sofort zu fliehen. Er schaffte es, unter teilweise recht dramatischen Umständen nach Budapest und von dort auf Umwegen in die Vereinigten Staaten zu gelangen. Nach einem Aufenthalt in Cincinnati fand Pater Cyrill in der Old Mission zu Santa Barbara, Kalifornien, eine freundliche Aufnahme.

Franz Werfel, dessen Geburtstag sich am 10. September 1990 zum 100. Mal jährt, hielt sich 1940 in Frankreich auf. Er berichtet im Vorwort seines Romans „Das Lied von Bernadette" von seiner Flucht nach den USA: „In den letzten Junitagen des Jahres 1940, nach dem Zusammenbruch Frankreichs, kamen wir auf der Flucht von unserem damaligen Wohnort im Süden des Landes nach Lourdes. ... Die Departements der Pyrenäen waren zu einem phantastischen Heerlager des Chaos geworden... Es war aber zugleich auch eine hochbedeutsame Zeit für mich, denn ich lernte kennen die wundersame Geschichte des Mädchens Bernadette Soubi-rous und die wundersamen Tatsachen der Heilungen von Lourdes. Eines Tages in meiner großen Bedrängnis legte ich ein Gelübde ab. Werde ich herausgeführt aus dieser verzweifelten Lage und darf die rettende Küste Amerikas erreichen - so gelobte ich -, dann will ich als erstes vor jeder anderen Arbeit das Lied von Bernadette singen, so gut ich es kann."

Cyrill Fischer kannte von seiner Tätigkeit in Wien her auch den jüdischen Arzt Leopold Rechnitzer recht gut. Noch am 24. Februar 1938 waren viele Gegner des Nationalsozialismus in dessen Ordination am Opernring 13 versammelt. Darunter war auch der jüdische Redakteur Hans Kandl, der besonders um ein jüdisch-christliches Gespräch bemüht war. Hans Kandl kam im Konzentrationslager um. Rechnitzer konnte Österreich verlassen und nahm in New York den Namen Leo Reckford an. Als Facharzt für HNO, besonders für Opernsänger, konnte er sich dort eine neue Existenz aufbauen.

Reckford erhielt in den Jahren 1942-1944 zahlreiche Briefe von Cyrill Fischer. So schrieb dieser am 8. Mai 1942: „Es wird Sie vielleicht interessieren, daß ich mit Herrn Werfel hier (Santa Barbara) wieder in Verbindung stehe. Ich kam eigentlich durch Kandl mit ihm wieder in Verbindung. Ich hoffte nämlich, daß er über Kandl etwas mitteilen könnte, und so schrieb ich ihm, als ich hier von seiner Landung las. Aber Werfel wußte gar nichts. Dafür kamen wir nun in nähere Berührung, und ich konnte ihm für sein Buch über Lourdes allerlei Winke geben, habe auch Gefährliches .purgiert' und glaube, ihm und der Sache dabei einen Dienst erwiesen zu haben. Wir hatten oft stundenlange Debatten über religiöse und kirchliche Themen, und er erklärte mir, er hätte so vieles richtig sehen gelernt. Da ich das Manuskript zurZensur von ihm bekam, so konnte ich noch die letzten Schnitzer bereinigen."

Bereits im Dezember 1941 erschien in Stockholm die deutschsprachige Ausgabe „Das Lied von Bernadette". Am 11. Mai 1942 folgte die amerikanische. Im Juni 1942 wurde „The Song of Bernadette" zum „National Bestseller Number One" in den USA. Für Werfel war dies wohl der größte Erfolg seines Lebens.

Die Old Mission wurde für Werfel oft ein ideales Refugium. Das kann man besonders der neuen Werfel-Biographie von Stephan Jungk entnehmen. Bald war „The Song of Bernadette" auch an das Filmstudio Twentieth Century Fox verkauft. Cyrill Fischer war darum besorgt, daß auch der Film den gleichen Erfolg haben sollte. In einem Brief an Franz Werfel vom 17. Mai 1942 heißt es daher: „Ich will mich absolut nicht eindrängen ... Ich könnte nur sozusagen als .zuschauender Geistlicher' oder .Geistlicher Kinobesucher' fungieren und meine Eindrücke wiedergeben, beziehungsweise dort und da bemerken, wie ich das empfinden würde, so etwa wie ich Ihr Buch .kritisierte' und einige Klippen entfernte."

Der Film wurde tatsächlich ein großer Erfolg. So konnte Cyrill Fischer am 3. März 1944 an Werfel schreiben: „Lieber Freund! Letzte Woche lief hier im Kino der .Song'. Da die Direktion sehr entgegenkommend war, so hat wohl das ganze Haus, also mehr als 50 Patres und Kleriker, den Film gesehen. Es herrschte einstimmig größtes Lob. Kleinigkeiten, die der eine oder andere sich anders wünscht, kommen für ernste Kritik nicht in Betracht. Auch das andere Publikum war sehr begeistert. So ist also niemand mehr überrascht, daß dieser Film nun als ganz erstklassig für 1943 gewählt und gewertet wurde und mit ihm die Hauptdarstellerin. So ganz .nebenbei' fällt dabei natürlich auch auf Dich der .Schatten', daß Dein Buch eine wundervolle Leistung ist, weil eben dies Buch die Basis und Inspiration des Films ist und wie ich mich diesmal mit mehr Ruhe überzeugte, sogar recht genau bis auf Kleinigkeiten, die man sich filmisch zurecht richtete."

Nun lesen wir bei Werfel weiter, wie er Cyrill Fischer eingeschätzt hat: „Der Schriftsteller Fischer hat drei große Vorzüge. Er besitzt den leidenschaftlichen Bienenfleiß des echten Sammlers. Das ungeheure Material, das er zu dem hochwichtigen Gegenstand .Religion und Nazismus' zusammengetragen hat, bildet das sichere und feste Fundament für ein historisches Werk bleibender Bedeutung. Fischer ist ferner, wie ich schon angedeutet habe, ein Poet von feinster Empfindungsfähigkeit, die es verhindert, daß er in trockenen und phantasielosen politischen Journalismus verfallen könnte. Und zum dritten besitzt er einen echten und eigenartigen Humor, der aus bitter erworbener Überlegenheit und Selbstironie aufs reizendste gemischt ist. Wo aber wäre eine Gabe, die mehr für eine Seele spricht, als solch eine weit- und selbstüberwindende Heiterkeit?"

Aufgrund seines Gesundheitszustandes mußte sich Cyrill Fischer Ende Dezember 1942 in das Spital nach San Francisco begeben. Am 2. Februar 1943 schrieb er an Rechnitzer in New York: „Ich war hier vier Wochen im Spital, die rechte Niere mußte herausgenommen werden. Apfelgroßer Tumor, der glücklicherweise noch nicht nach außen gefressen hatte, sodaß man einige Hoffnung hat. Die linke Niere ist vorderhand absolut gesund und arbeitet tadellos. Aber Sie wissen als Arzt recht wohl, daß dies keine absolute Gewähr und Sicherheit vor neuen Komplikationen schlimmster Art ist. Also heißt es eben abwarten, ob und was kommt... Ich habe eine Artikelreihe über die Flüchtlinge verfaßt (.Märtyrer moderner Ismen'). Daneben arbeite ich am Buch .Christen unterm Hakenkreuz' (etwa 200 Seiten getippt)... lauter Brief stellen (echt) nach Hitlers Einmarsch in Österreich, Stimmung der Leute, Maßnahmen der Nazis, Kirchenverfolgung... umfaßt 45 Tippseiten."

Am 12. Jänner 1944 heißt es in einem Brief an Rechnitzer: „Man sollte diese Briefe als Broschüre ins Land werfen, damit die Amerikaner einmal eine richtige Vorstellung von der wirklichen Stimmung in Österreich nach dem Anschluß (1938) bekommen und etwas richtigere Kenntnisse über Österreich überhaupt. Das ist ja eins der schlimmsten Kapitel, das ich hierzulande erlebt habe, diese grauenhafte Unkenntnis über Österreich."

Erst am 8. Mai 1944 wurde Cyrill Fischer in aller Form als Flüchtling anerkannt und wurde Bürger der USA. Im April 1945 erschienen in der Zeitschrift „Katholische Welt" die „Briefe aus Österreich".

Ungefähr ein Jahr vor seinem Tod hatte sich Cyrill Fischereinerzweiten Operation unterzogen, und es wurde klar, daß sein Zustand sehr ernst war. Es wurde alles mögliche getan, um eine Heilung zu erreichen, aber der Krebs war zu weit fortgeschritten. Im März 1945 besuchte er wieder seinen Arzt in San Francisco und war einige Wochen unter seiner Aufsicht.

Knapp nach Ostern kehrte er nach Santa Barbara zurück. Am 27. April 1945 wurde in Wien die Unabhängigkeitserklärung Österreichs ver-lautbart. Am 10. Mai, Christi Himmelfahrt, empfing Pater Cyrill die letzte Ölung, am Freitag, 11. Mai 1945, starb er. Am 15. Mai wurde in der Kirche der Old Mission das feierliche Requiem gehalten.

Franz Werfel war zur Zeit des Begräbnisses selbst krank und konnte erst nach zwei Wochen nach Santa Barbara kommen, um das Grab von Cyrill Fischer zu besuchen. In seinem letzten Roman „Stern der Ungeborenen" finden sich viele Elemente der Gespräche, die Werfel mit Cyrill Fischer geführt hatte (F. W. und der Großbischof).

Robert Braun, der mit Cyrill Fischer (er schrieb unter dem Pseudonym Frank Shield) während des Krieges im Briefwechsel stand, schloß seinen Nachruf in der FURCHE mit dem noch heute gültigen Satz: „In unserer Zeit, da die Stimme des Wahrheitszeugen oft spurlos verhallt, als wäre sie nie gewesen, steht die Gestalt dieses österreichischen Franziskaners in ihrer Geradheit als ein Vorbild vor uns. Denn die Zukunft braucht solche Kämpfer, auch wenn sie zu ihrer Zeit scheinbar vergeblich stritten."

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