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Czernowitz - mythische Stätte der Eintracht

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Sie ist als „Klein Wien" bezeichnet worden, als „Klein- Jerusalem" ebenso wie als „Schwarzwald-Idylle". Architektonisch erinnert sie eher an Baden, an Klagenfurt oder auch an Graz. Die Rede ist von Czernowitz, rumänisch Cernauti, ukrainisch Cernivci, Hauptstadt der Bukowina. In der Literatur finden wir sie als fast mythisch beschworene Stätte von Vielfalt und Eintracht.

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Sie ist als „Klein Wien" bezeichnet worden, als „Klein- Jerusalem" ebenso wie als „Schwarzwald-Idylle". Architektonisch erinnert sie eher an Baden, an Klagenfurt oder auch an Graz. Die Rede ist von Czernowitz, rumänisch Cernauti, ukrainisch Cernivci, Hauptstadt der Bukowina. In der Literatur finden wir sie als fast mythisch beschworene Stätte von Vielfalt und Eintracht.

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Czernowitz galt seinerzeit als Abbild der Monarchie im Kleinen - als Vielvölkerstadt. Zur Jahrhundertwende hat mehr als die Hälfte der Bevölkerung Deutsch als Umgangssprache angegeben, davon mehr Juden als NichtJuden. Die zweitstärkste Sprachgruppe stellten die Ukrainer, dann folgten Rumänen, Polen und sonstige kleine Volksgruppen, darunter Armenier, aber auch die legendären, vor allem im Karpatengebiet heimischen Huzulen, die von den Goten abstammen sollen. Gregor von Rezzori, der 1914 geborene altösterreichische Schriftsteller, beschreibt das Czernowitz seiner Kindheit folgendermaßen: „Meine Heimatstadt hat Weltruhm erworben... (mit einem) guten Dutzend von ethnischen Gruppen, Sprachen, Glaubensbekenntnissen, Temperamenten und Lebensgewohnheiten. In Czernowitz gab es keine ethnischen Spannungen."

Der Mythos des spannungsfreien Zusammenlebens in Czernowitz ist weitverbreitet und von der histo-rischen Forschung noch nicht hinreichend hinterfragt worden. Es gibt wenig seriöse historische Arbeiten, die Archive wurden erst vor kurzem geöffnet. Dennoch gibt es einige Hinweise auf eine tatsächlich konsensua-le Atmosphäre: 1905 wurde ein bukowinischer Ausgleich geschaffen, der in anderen Regionen der Monarchie nicht zustandegekommen ist. Ferner konnte ein Wahlrecht ausgearbeitet werden, das alle größeren Volksgruppen befürworteten. Die Repräsentanten der Konfessionen trafen sichre

nowitz als Gegenmodell zu der in der Donau-Monarchie üblichen Tendenz der Assimilation gesehen werden, als Kontrapunkt zum Modell Schmelztiegel. In der Reichshauptstadt etwa wurden aus den Hunderttaüsenden Zu-wanderern deutschsprachige Wiener und Wienerinnen geformt, in Czernowitz existierte eine multiethnische Gesellschaft, in der die Bewohner häufig mehrsprachig waren. Czernowitz war ein Amalgam verschiedener Kulturen.

Im Jahre 1875 wurde in Czernowitz die Universität gegründet, sie trug den Namen des am äußersten Zipfel der österreichischen Reichshälfte besonders verehrten Monarchen Franz-Joseph. Unterrichtet wurde in Deutsch, das gleichfalls Amtssprache war. Die Hochschule hatte einen guten Ruf: junge Talente, die nach der konservativen Auffassung der Zeit zu jung für einen Ruf an die großen und berühmten Lehrkanzeln des Landes waren, wurden in Czernowitz durchaus als Professoren bestellt.

Czernowitz war eine Kulturstadt, Literatur und Theater wurden großgeschrieben. Das Zeitungsleben entwickelte sich geradezu explosionsartig, neben der rumänischen, ukrainischen und polnischen Presse waren die deutschsprachigen Tageszeitun-

gen und Zeitschriften führend. Die „Bukowiner Nachrichten" oder die „Czernowitzer Allgemeine Zeitung" wurden nicht nur vor Ort gelesen, sondern auch in Wien, Berlin oder Bukarest. Umgekehrt war das Czernowitzer „Kaisercaft" stolz darauf, 130 Zeitungen auflegen zu können. Nur wenig mehr als drei Dutzend Kilometer entfernt, durch den Dnjestr getrennt, lag das russische Zarenreich. Czernowitz wurde als Vorposten abendländischer Kultur begriffen, es diente als eine Art Schaufenster Österreichs in Richtung Rußland.

Nach dem Ende des Habsburgerreiches kam die Bukowina zu Rumänien. Deutsch blieb aber als Kultur-und Umgangssprache erhalten. In der rumänischen Zeit (1918 - 1940) ereignete sich das eigentliche Wunder: ganz außerordentliche Literaturbegabungen - und zwar in deutscher Sprache - wuchsen heran: etwa der weltbekannte Lyriker Paul Celan; 1930 erschien der Gedichtband von Moses Rosenkranz „Leben in Versen", Alfred Margul Sperber publizierte 1934 den Lyrikband „Gleichnisse der Landschaft". Georg Drozdowski (1934), Alfred Kittner (1938) und Rose Ausländer (1939) veröffentlichten ihre ersten Bücher. Weitere Namen der Czernowitzer Literaturszene waren Alfred Gong, Ernst Flinker, Immanuel Weißglas, David Goldfeld, der

Das Stadttheater in Czernowitz

jiddische Dichter Itzig Manger und schließlich auch Gregor von Rezzori.

Die meisten dieser Schriftsteller waren jüdischer Herkunft. Sie fanden auch ihre Rezeption, einer vergleichsweise breiten Intellektuellenszene begegnete man - flanierend - auf der Herrengasse, im Volksgarten, auf der Habsburghöhe, in den Stadtwäldern wie an den Ufern des Pruth, jenes Flusses, an dem Czernowitz liegt. Auch Karl Kraus und seine „Fackel" hatten in Czernowitz eine große Gemeinde von Bewunderern.

1940 besetzten sowjetische Truppen die nördliche Bukowina und damit auch Czernowitz. Im Zuge der Hitler-Stalin- Allianz einigten sich Deutschland und die UdSSR auf die Aussiedlung der nichtjüdischen deutschen Bevölkerung. Im Juli '41 wurde das Land von den inzwischen mit Deutschland verbündeten rumänischen Truppen und der SS besetzt. Judenpogrome waren die Folge. 1944 wurden Czernowitz und die Nordbukowina von der Roten Armee zurückerobert und 1947 der Ukrainischen Sowjetrepublik angegliedert.

Heute ist Czernowitz eine ukrainische Stadt mit 275.000 Einwohnern. Sie hat aber einige Besonderheiten: noch immer leben etwa 6.000 - 7.000 Juden in der Stadt, vor einigen Jahren waren es noch Tausende mehr. Viele wanderten nach Israel oder in die USA aus. Die rumänische Minderheit macht rund 20-22 Prozent der Bevölkerung des Bezirkes Czernowitz aus, 3-4 Prozent sind Russen, rund 70 Prozent, also

die große Mehrheit, Ukrainer. Bei der letzten Volkszählung 1991 haben sich in der gesamten Bukowina 260 Personen als Deutschsprachige deklariert. Auch die polnische Minderheit hat ihre Vereine und Kirche.

Czernowitz und die Bukowina sind ohne Zweifel anders als der Großteil der Ukraine. Die Gesellschaft ist weit weniger monokolor; abgesehen davon ist es, als ob man eine Zeitmaschine beträte, wenn man sich im eigentlichen Kern der Stadt aufhält. In den Kriegen kaum zerstört, existiert hier im Prinzip eine Stadt, die vor 1918errichtet wurde.dazu kommt noch die rumänische Bautätigkeit bis zur Weltwirtschaftskrise von 1929. Ein nur geringes Verkehrsaufkommen und die Allgegenwart von Alleebäumen und Grünanlagen machen sie zu einer für den Besucher sehr angenehmen, faszinierenden Stadt mit musealem Touch. Rudolfsplatz, Au-striaplatz, Theaterplatz, Herrengasse sind wunderbare Orte zum Spazierengehen. Hier ein Blick auf das renovierte Haus, das allegorisch die Kronländer der Monarchie darstellt, da einer auf das Deutsche Haus oder das Jüdische Haus, das gleich vis-ä-vis des Theaters liegt.

Für den Besucher mag es recht angenehm sein - die Einheimischen sind mit der harten gesellschaftlichen Realität konfrontiert. Der Untergang der UdSSR hat zum Zerfall der staatlichen und wirtschaftlichen Ordnung geführt. Hyperinflation und Mafia sind die Konsequenzen, der Dollar steigt täglich, würden Pensionisten drei Kilo Bananen kaufen, wäre ihr monatliches Einkommen dahin. Der Durchschnittslohn liegt bei umgerechnet knapp zehn Dollar im Monat. Kuponi heißen die Scheine, die den Rubel abgelöst haben. 20 Liter Benzin kosten 25.000, ein Angestellter oder ein Arzt verdienen cirka 40.000 - 50.000.

Im Bezirk Czernowitz gibt es als besonderes Erbe der UdSSR eine umfangreiche Rüstungsindustrie. Konversion lautet im Moment das Zauberwort, Umstellung der Produktion. Aber wie - und wer wird die nötigen Mittel investieren? Die Stabilisierung der Wirtschaft wird lange dauern, meint man hier in Czernowitz.

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