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,Da hätten Alarmglocken läuten müssen6

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Erwin Ringel ist medial derzeit allgegenwärtig. Er hat viel zu sagen. Aber er redet nicht nur, er schweigt auch: in entscheidenden Situationen, schreibt Norbert Leser in einem öffentlichen Brief.

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Erwin Ringel ist medial derzeit allgegenwärtig. Er hat viel zu sagen. Aber er redet nicht nur, er schweigt auch: in entscheidenden Situationen, schreibt Norbert Leser in einem öffentlichen Brief.

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Lieber Erwin Ringel! Wenn ich mich heute nach einigem Zögern mit einem öffentlichen Brief an Sie wende und die Ebene des privaten freundschaftlichen Gesprächs, die wir sonst mitunter pflegen, verlasse, so hat diese Stiländerung ihren Grund darin, daß auch die Sache, um die es geht und die meine Kritik herausgefordert hat, öffentlich verhandelt wurde und daher auch des öffentlichen Widerspruchs bedarf.

Es handelt sich um die am 23. April gemeinsam mit Erich Fried im Wiener Konzerthaus abgehaltene Veranstaltung, die aus Vorträgen und Lesungen bestand und auch durch den Rundfunk übertragen wurde. Ich muß gestehen, daß ich von dem, was an diesem Abend geboten wurde, zum Teil betroffen, ja darüber entsetzt war, nicht über Ihre Stellungnahmen, die zum Großteil nur zu unterschreiben waren, sondern über die einseitige Gedankenwelt und Präsentation von Erich Fried, den ich schon von ähnlichen Auftritten, so vor einigen Monaten im Auditorium Maximum der Universität Wien, her kenne. Im Vergleich zu dem damaligen Auftritt war der im Konzerthaus verhältnismäßig zahm, aber noch immer schlimm genug, und ich werde auch gleich erklären, warum.

Ich möchte es vermeiden, mit Erich Fried selbst zu polemisieren, er hat als Opfer Hitlers vielleicht ein Recht zu seiner Einseitigkeit, obwohl auch ja gerade er durch die Erfahrung mit der braunen Diktatur sensibilisiert genug sein müßte, um gegen alle Arten von Diktatur allergisch zu sein.

Doch leider läßt seine wachsame Reaktion gegenüber dem sowjetischen Totalitarismus, der in der Welt von heute die eigentliche und weltweite Bedrohung der Freiheit darstellt, weitgehend aus, er begnügt sich in diese Richtung mit gelegentlichen Abgrenzungen, die im Vergleich zu seinen Ausfällen gegenüber Persönlichkeiten und Systemen, die im erklärten Kampf gegen den Kommunismus stehen, bloß Marginalien sind und geradezu untergehen.

Da Sie alle diese Äußerungen Frieds unwidersprochen gelassen und ihn zum Schluß noch mit Lob überhäuft haben, mußte jeder unbefangene Zuhörer den Eindruck gewinnen, Sie identifizierten sich mit den Positionen Frieds und teilten seine fatale Schlagseite. Da aber beginnt Ihre Rolle als verantwortlicher Volkserzieher, die Sie bisher so erfolgreich und verdienstvoll ausgeübt haben, problematisch zu werden.

Es besteht bei Ihnen die nicht nur von mir konstatierte Gefahr, daß Sie, aus dem Streben, nur jedenfalls dabei und obenauf zu sein, Tendenzen Ihre Hand leihen, die man trotz hohem literarischen Niveau streckenweise nur als linke Hetze qualifizieren kann.

Sie haben sich, ohne mit der Wimper zu zucken, die geschmacklosen Attacken Frieds auf den Papst, der immerhin Oberhaupt der Glaubensgemeinschaft ist, zu der auch Sie sich bekennen, angehört und sich damit in den Augen vieler als Katholik disqualifiziert. Man mag über den jetzigen Papst und seine Kirchenpolitik sowie über sein Auftreten in der Welt denken wie man will, doch den Respekt, der einem religiösen Führer und einer charismatischen Persönlichkeit gebührt, sollte man ihm nicht versagen.

„Höhnische Ausfälle”

Und gerade Ihnen, dem öffentliche Wirksamkeit so viel bedeutet, sollte imponieren und zu denken geben, wie gerade dieser Papst wie keine andere zeitgenössische Persönlichkeit Menschen in aller Welt zu Begeisterung und Jubel hinreißt, obwohl dieser Mann über keine äußere Macht verfügt und den Menschen auch nicht nach dem Munde redet, sondern sie mit einer harten, vielleicht allzuharten Botschaft konfrontiert.

Außerdem sind höhnische Ausfälle gegen den Papst, wie sie bei den Lesungen Frieds an der Tagesordnung sind, gerade nach dem Attentat auf ihn und angesichts der Terrordrohungen, von denen sein Kommen in verschiedenen Ländern immer wieder begleitet ist, doppelt unfair und sollte von jemandem, der selbst knapp der Pogromhetze der Nazis entronnen ist, schon aus diesem Grunde unterlassen werden. Es wäre jedenfalls an Ihnen gelegen, hier ein klärendes Wort der Distanzierung zu sprechen.

„Haben Sie vergessen?”

Nicht minder schockierend als die Auslassungen Frieds gegen den Papst waren in meinen Augen und Ohren die unerhörten Angriffe auf den amerikanischen Präsidenten Reagan. Man kann an der Außen- und noch mehr an der sozial problematischen Innenpolitik dieses Mannes berechtigte Kritik üben, doch auch hier müßte gegenüber einem amtierenden Staatsoberhaupt die Form gewahrt und inhaltlich das Maß, das die Dinge und Proportionen nicht verzerrt, erhalten bleiben.

Entschieden zu weit aber ging es, wenn Fried in einem fingierten Gespräch, das Hitler und Reagan im Jenseits führen, beide auf eine Stufe stellt. Doch die Verunglimpfung Reagans verfolgt ja bei Fried auch den Zweck, die amerikanische Politik als die größte Bedrohung in der Welt von heute erscheinen zu lassen.

Spätestens bei solchen maßlosen Übertreibungen hätten bei Ihnen die Alarmglocken läuten und hätte der Widerspruch einsetzen müssen. Denn halten Sie es denn wirklich für zutreffend, daß die amerikanische Politik den Frieden und die Freiheit gefährdet? Haben Sie die Zeiten der russischen Besetzung, der wir durch eine Sternstunde der Geschichte, deren Jubiläum wir in diesen Tagen feiern, entronnen sind, schon vergessen und all das, was sich in diesen Tagen in Polen und in der Tschechoslowakei abspielt?

Ist es nicht grenzenloser Undank gegenüber den Amerikanern, die uns physisch und moralisch wieder zu dem gemacht haben, was wir heute sind, so zu tun, als wären sie die Bösewichte und die Russen - ein naheliegender Umkehrschluß - die friedliebenden Freunde der Völker?

Und sind Sie sich dessen bewußt, daß Sie die Meinungsfreiheit, die Sie in vollen Zügen genießen und ausschöpfen, nicht zuletzt den Vereinigten Staaten, die als Hauptschutzmacht der freien Welt dem Vordringen des sowjetischen Totalitarismus ein Ende bereitet haben, verdanken?

Was immer man gegen die Vereinigten Staaten und ihre politischen Repräsentanten auch einwenden mag, man kann sie nicht auf dieselbe Stufe wie die Sowjetunion stellen, da die USA jedenfalls kein totalitärer Staat sind und die Freiheit des Bekennens, die wir beide als Professoren mit Recht so hoch schätzen, verteidigen und garantieren. Bei Fried aber werden die beiden Supermächte nicht bloß auf eine Stufe gestellt, die Hauptstoßrichtung seiner politischen Lyrik - und nur diese steht hier zur Debatte—richtet sich eindeutig und einseitig gegen die USA, so daß sich die Schlußfolgerung, dieses Land sei das Krebsübel dieser Welt, geradezu aufdrängt.

„Mitschuldig machen”

Wollen Sie durch Auftritte ähnlicher Art, wie sie im Konzerthaus und an anderen Stätten stattgefunden haben, die der historischen Wahrheit und Gerechtigkeit ins Gesicht schlägt, beitragen und sich so mitschuldig machen, daß an die Stelle der Geschichtsund Zeitlügen der Vergangenheit neue Verfälschungen der Wahrheit treten?

Der Sache der Freiheit und des Friedens leisten Sie jedenfalls keinen guten Dienst, wenn Sie ihre Hand und Kapazität zu solchen Einseitigkeiten leihen. Der Beifall eines historisch unbelasteten Publikums und einer linken Schik-keria, bei der es „in” ist, für alles zu votieren, was den Westen untergräbt, soll Sie nicht blind machen dafür, daß Sie mit dieser Gangart viele Ihrer besten Freunde und Anhänger verlieren, die Erwin Ringel nicht nur als Antifaschisten, sondern auch als Antito-talitaristen, der die zeitgenössischen Erscheinungsformen des Linkstotalitarismus bekämpft, am Werk sehen wollen.

„Nicht Vorschub leisten”

Vergessen Sie nicht, was Ihr, unser verstorbener Freund Manes Sperber in seiner Rede anläßlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels in Frankfurt im Oktober 1983 über die Verantwortung der Intellektuellen und die Versuchung gesagt hat, einem Totalitarismus Vorschub zu leisten, und sei es auch nur durch Schweigen zu seinen Absichten und Umtrieben!

Ich hoffe, daß Sie meine Ausführungen als freundschaftliche, ja brüderliche Kritik, wie sie in einer lebendigen Beziehung bisweilen auch dem Jüngeren gegenüber dem Älteren zusteht, zur Kenntnis nehmen und nicht vorschnell verwerfen werden.

In diesem Sinne bleibe ich wie immer Ihr

Der Autor ist Professor für Sozialphilosophie an der Universität Wien.

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