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Da stand der Figl auf und ging .. .

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Der Marshallplan ist ein Synonym für amerikanische Generosität. Die Teilnahme Österreichs war von handfesten Krachs begleitet. Ein brisantes Stück Zeitgeschichte.

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Der Marshallplan ist ein Synonym für amerikanische Generosität. Die Teilnahme Österreichs war von handfesten Krachs begleitet. Ein brisantes Stück Zeitgeschichte.

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Als am 5. Juni 1947 der amerikanische Außenminister George C. Marshall in einer Rede an der Harvard-Universität in Boston (USA) die Notwendigkeit von „zusätzlicher Hilfe für Europa” hervorhob, ahnte die Weltöffentlichkeit noch nicht, daß damit ein erster Schritt zum umfassendsten, aber auch umstrittensten Hilfsprogramm der USA getan worden war.

Der Marshallplan, wie diese „zusätzliche Hilfe” bald genannt werden sollte, wurde zum Synonym für die amerikanische Generosität. Gleichzeitig wurde damit aber der Teilungsprozeß, der Europa in ein westliches und östliches Lager zu trennen begann, verstärkt.

Daß die Motivationen der US-Administration, den Marshallplan zu lancieren, nicht von rein humanitären Überlegungen getragen worden waren, wird heute wohl niemand mehr bestreiten. Es ist klar, daß ein Land, das über zwölf Milliarden Dollar in den Wiederaufbau anderer Länder steckte, auch seine eigenen Interessen gewahrt wissen wollte. Wurde jedoch der Marshallplan zuerst überschwenglich als „rettender Hilfsanker für das zerstörte Europa” gelobt, so geriet er zunehmend (auch von westlichen Beobachtern und Historiogrä-phen) in ein schiefes Licht: dieser Hilfsplan habe ausschließlich die US-Interessen vertreten, die wirtschaftliche Vormachtstellung der USA in Europa weiter ausgebaut und die Voraussetzungen für eine politische wie auch militärische Einflußnahme der USA in Westeuropa geschaffen.

Diese Argumente entbehren nicht einer gewissen Wahrheit. Solche Überlegungen hat es in der US-Administration gegeben, jedoch waren sie nicht alleine und ausschließlich für die Entstehung des Marshallplanes von Wichtigkeit.

Der Marshallplan muß vielmehr im Licht der vorangegangenen - erfolglosen - Hilfsprogramme gesehen werden, die ebenfalls ganz oder zum größten Teil von den USA finanziert worden waren, z. B. das internationale UN-RRA-Programm (FURCHE 30/ 1985) und die Kongreß- und Interimshilfe (FURCHE 33/1985).

Die wirtschaftliche und somit auch soziale Situation hatte sich im Frühjahr 1947 trotz dieser Hilfsaktionen verschlechtert. Hilfe schien unbedingt vonnöten, nicht nur, um eine vermeintliche Ausbreitung des Kommunismus in Europa zu verhindern — eine der Urängste der US-Administration -, sondern um den langersehnten wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas endlich wirksam in die Wege zu leiten. Aber es mußte eine andere Art von Hilfe sein als bisher. Es galt ein System zu finden, das der Interdependenz der europäischen Wirtschaftsräume Rechnung trug.

Darum schien es ökonomisch sinnvoller, ein großes, innereuropäisch koordiniertes, auf gegenseitige Hilfe bauendes Wiederaufbauprogramm, verbunden mit integrativen Verpflichtungen, zu starten, als getrennte Hilfen an einzelne Länder zu verteilen. Das „European Recovery Program” (ERP), wie der offizielle Titel lautete, bot den USA die wohl einmalige Gelegenheit, „mehrere Fliegen auf einen Schlag” zu treffen.

Da der Marshallplan von der UdSSR als „imperialistisches Machtinstrument zur Erlangung der Weltherrschaft” abgelehnt und den osteuropäischen Staaten von der UdSSR unter großem Druck eine Teilnahme verboten wurde, war Österreich als viergeteiltes Land in einer besonders schwierigen politischen Lage, die auch zur Teilung führen konnte, sollte die UdSSR eine Teilnahme der Ostzone am Hilfsprogramm nicht zulassen.

In der Ministerratssitzung vom 8. Juli 1947 wurde die Einladung nach Paris zur Marshallplan-Konferenz von der Bundesregierung formell angenommen. Der Ministerratsbeschluß war auch vom kommunistischen Minister Karl Altmann mitgetragen worden. Allerdings grenzte Altmann seine Zustimmung diplomatisch klug auf die „Teilnahme an der Pariser Konferenz” ein und hielt sich somit noch immer die Möglichkeit offen, den Marshallplan selbst abzulehnen.

•Mit der Annahme der Einladung nach Paris setzte die Bundesregierung ein deutliches Signal für „den Westen”. Dieser offenen Hinwendung zum Westen wurde eine neutrale Ausrichtung der österreichischen Außenpolitik entgegengesetzt, die sich vor allem darin äußerte, daß jegliche Anschlußtendenzen an einen Westblock zurückgewiesen wurden. Besonders führende Funktionäre der SPÖ wollten durch eine offene Diskussion um eine eventuelle Neutralität verhindern, daß Österreich durch die Teilnahme am Marshallplan automatisch in einen westlichen Block gleite. Vizekanzler Adolf Schärf erklärte am 19. März 1948, daß die SPÖ zwar für eine Teilnahme Österreichs am Marshallplan eingetreten sei, daß sie aber gleichzeitig auch auf die besondere Lage Österreichs hinweisen müsse, die eine politische und wirtschaftliche Neutralität gegenüber den Blöcken der Großen erfordere. Auf Seiten der ÖVP hielt man sich mit Neutralitätserklärungen zurück, wies aber auch jegliche Anschlußtendenzen an ein westliches Blocksystem zurück.

John G. Erhardt, der politische Berater des US-Hochkommissars, kommentierte die Neutralitätsdiskussion innerhalb der SPÖ mit den Worten, er hoffe, daß die SPÖ auf eine „realistische Linie” zu bringen sei und sich nicht zu weit in „neutrality manoeuvres” hineintragen lasse. Die Neutralität hatte einen schlechten Klang in den Ohren der US-Administration. Die Überlegungen, die von österreichischen politischen Kreisen mit einer - wenn auch nur vorgegebenen — neutralen Linie verfolgt wurden, waren klar: primäres Ziel war und blieb der Abschluß des Staatsvertrages.

Daß die „besondere Lage” Österreichs von den im Lande stationierten US-Stellen auch erkannt wurde, geht aus einem Brief des US-Hochkommissars Keyes an Joseph E. Ridder, Herausgeber der Zeitschrift „Journal of Commerce”, New York, hervor: „Meiner Meinung nach wäre es unnatürlich und unpraktisch, Österreich ausschließlich an die westlichen Länder zu binden. Das stärkste Argument für eine unabhängige Existenz dieses Landes ist seine Wichtigkeit als Transitland zwischen Ost und West, so wie es dies in bezug auf Wirtschaftsbeziehungen schon war und nun in bezug auf Ideologien sein kann.”

Von einer Eingliederung in einen westlichen Block, wie dies übrigens von der kommunistischen Propaganda mit Hartnäckigkeit verbreitet wurde, kann also nicht die Rede sein. Dies hätte vermutlich eine Teilung des Landes bedeutet.

Tatsache jedoch ist, daß ganz Österreich am Marshallplan teilnahm. Die USA verzichteten auf amerikanische Kontrollore, die den zweckentsprechenden Gebrauch der Güter in der Ostzone kontrollieren sollten. Dies besorgten österreichische Kontrollore. Die Sowjets ließen die Marshallplan-Güter ungehindert in die Ostzone fließen und behinderten auch nicht die Verteilung.

Von besonderer Bedeutung war das System der „Counterpart-Funds” (Gegenwertmittel), da damit ein „doppelter Effekt” erzielt wurde. Zur Dollarhilfe der USA kamen noch die aus dem Verkauf dieser Hilfsgüter eingegangenen Beträge in lokaler Währung, die wieder, wie im Aus-landshilf sgesetz von 1948 geregelt, für produktive Investitionen in

Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft in Form zinsgünstiger Kredite vergeben wurden.

Diese Gegenwertmittel — auf gesperrte Konten eingezahlt — konnten von der Bundesregierung nur im Einvernehmen mit der Economic Cooperation Administration (ECA, Verwaltung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit) verwendet werden. In der Praxis bedeutete dies, daß die ECA das entscheidende Wort über die Vergabe dieser Gelder innehatte.

Hier kam es des öfteren zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundesregierung und ECA.

Manchmal schoß die ECA mit ihren Forderungen auch über das Ziel. Dies trifft vor allem auf jenen Brief zu, den Westmore Will-cox, der erste ECA-Chef in Österreich, an Bundeskanzler Figl schrieb. Darin kritisierte Willcox nicht nur den Budgetentwurf für das Jahr 1949, sondern führte auch noch eine Liste von „Empfehlungen” an, die helfen könnten, das Budget zu sanieren: unter anderem die Entlassung von 40.000 öffentlich Bediensteten bei ÖBB, Post und in anderen Bereichen der öffentlichen Verwaltung. Willcox* Brief gipfelte in dem Satz: „Ich fühle mich als ECA-Chef verpflichtet, Ihnen klipp und klar mitzuteilen, daß keine Gegenwertmittel- auch nicht für die notwendigsten Investitionen -freigegeben werden, wenn wir nicht zu unserer Zufriedenheit feststellen können, daß Ihre Regierung eine gesunde Finanzpolitik verfolgt.”

In der American Legation, dem politischen Beraterstab des US-Hochkommissars, war man weniger über den Inhalt, als über die Form dieses Briefes entsetzt. Die Forderungen seien zwar vom wirtschaftlichen Standpunkt nicht ganz unberechtigt, müßten aber in einer entsprechenden Form vorgebracht werden. Auf die Bitte von Clyde N. King, dem Nachfolger von Willcox als ECA-Chef, wurde dieser Brief von Figl verbrannt und als nichtig angesehen.

Figl verbrannte Brief

Im Frühjahr 1949 kam es zu einem weiteren Krach mit Figl, denn King stellte dieselben Forderungen mündlich in einem Treffen mit Mitgliedern der Bundesregierung. Auch King scheint sich nicht besonders diplomatisch verhalten zu haben, denn nach dem Bericht eines amerikanischen Dokuments ließ er sich zu dem Satz hinreißen, daß die Regierung sich mehr um ihre Beamten, als um die österreichische Bevölkerung kümmere. Solch ein Ton war für Figl als Bundeskanzler unannehmbar, und er verließ kommentarlos die Sitzung. Im amerikanischen Außenministerium hinterlegte man einen Protest mit dem Hinweis, daß man solche Töne bisher nur von der russischen Besatzungsmacht gewohnt war. King entschuldigte sich daraufhin auf Anraten Washingtons.

Daß es sich bei diesen „Forderungen” um „big questions” handelte, die nicht' einfach innerhalb einer bestimmten Zeit durchzuführen waren, scheint man in der ECA manchmal vergessen zu haben. In der American Legation hatte man eher das Gespür für das „politisch Mögliche”. Die Bundesregierung war immerhin eine Koalitionsregierung, die Wahlen von 1949 standen vor der Tür, und das politisch Durchführbare war in Österreich um nichts weniger wie in anderen Ländern bestimmten Einschränkungen unterworfen.

So war Österreich das einzige ERP-Land, das trotz einer russischen Besatzungszone als Ganzes am ERP teilnahm, ohne dabei geteilt zu werden: nicht umsonst spricht man vom „Sonderfall Osterreich”.

Der Autor ist Assistent am Institut für Geschichte der Universität Wien und dissertierte mit einer Arbeit zum Thema „Von der UNRRA zum Marshallplan. Die amerikanische Finanz- und Wirtschaftshilfe an Osterreich in den Jahren 1945 bis 1950”

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