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Dalmatinische Rhapsodie

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Der österreiohiscbe Doppeladler ist nur selten auf einer Brunneneinfassung zu sehen: die 100 Jahre der Monarchie haben die Hauptstadt Dalmatiens nicht germanisiert, sondern italianisiert. Und der Friede von Rapallo hat Zadar zu einer Enklave gemacht: nur wenige hundert Meter landeinwärts stehen die Ruirten der ehemaligen Zollgebäude. Heute ist Zadar das geistige und kulturelle Zentrums Kroatiens: die deutsche Sprache beherrschen nur diejenigen, die sie als Gastarbeiter erlernten…

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Der österreiohiscbe Doppeladler ist nur selten auf einer Brunneneinfassung zu sehen: die 100 Jahre der Monarchie haben die Hauptstadt Dalmatiens nicht germanisiert, sondern italianisiert. Und der Friede von Rapallo hat Zadar zu einer Enklave gemacht: nur wenige hundert Meter landeinwärts stehen die Ruirten der ehemaligen Zollgebäude. Heute ist Zadar das geistige und kulturelle Zentrums Kroatiens: die deutsche Sprache beherrschen nur diejenigen, die sie als Gastarbeiter erlernten…

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Die berühmten Gold- und Silber- sohätze Zadars, zum größten Teil unter der Herrschaft von Byzanz entstanden, haben die Stürme der Jahrhunderte überlebt, wurden aber kürzlich duch internationale Diebsbanden dezimiert. In Kürze werden sie in einem erstklassig gesicherten Museum, für das der Staat Millionen ausgibt, zu bewundern sein. Auch ein archäologisches Museum steht bereits im Röhbau: es wird Kunstschätze aus der römischen Zeit und aus dem frühen Mittelalter bergen. Sie sind reichlich vorhanden: das Forum liegt mitten in der Stadt, die

Jugend sitzt am Abend auf den Bruchstücken der Säulen, die Vergangenheit ist von ihr nicht durch Barrieren getrennt. In den Fundamenten des turmartigen romanischen Gebäudes, das dem heiligen Donatus geweiht war, demselben Bischof, der Karl dem Großen die dalmatinischen Städte übergab, sind antike Steine eingemauert.

Diese ehenialige Kirche des heiligen Donats, das imposanteste Bauwerk des frühen Mittelalters an der adriatischen Ostküste, ist der Mittelpunkt der Musikabende, die jeweils in zwei Wochen des August veranstaltet werden, "und setzt ihnen durch seine ehrwürdige Existenz die Grenzen des Umfanges und des Stils: ln solchen Mauern läßt sich am besten vorklassische Musik Interpretieren, und diese wiederum nur im Rahmen des Aufwandes, der durch eine relativ geringe Zahl von Hörem gerechtfertigt erscheint. Oratorien, szenische Spiele wären hier kaum angebracht. Und mit sicherem Gefühl hat die Festspielleitung dies erkannt: Musik des Mittelalters, der Renaissance, des Barocks bis herauf zu Johann Sebastian Bach bildet den Kern des Repertoires, das hier von jugoslawischen und ausländischen Ensembles geboten wird.

Die gute Akustik gibt auch dem dünnen Klang von alten Instrumenten die rechte Resonanz, vor allem aber dem Vortrag solistisch besetzter Vokalensembles; nach dem Slowenischen Oktett konnte hier das

Grazer Pro-Arte-Ensemble unter Karl Ernst Hoffmann in einem Konzert, das direkt von Radio Zadar übernommen wurde, viel Beifall gewinnen. Wie energisch sich der Ort gegen stilistische Übergriffe wehrt, mußte man an den ‘ Darbietungen eines Frauenchors aus Belgrad erleben; die geschichtslose Besetzung dieses fundamentlosen Ensembles und die ehrgeizige Leitung durch einen weiblichen Karajan desavouiert sich selbst.

Österreich war ferner durch den Geiger Michael Frischenschlager vertreten, Ungarn durch das Buda- pester Bakfart-Consort, das Blockflöte, Laute und ein anachronistisches Violoncello als Instrumentaltrio und als Begleitung von zwei operndramatisch geschulten und daher ebenfalls unangebrachten Stimmen aufbietet. Jurica Murai aus Zagreb wußte dank sauberem ausge- feiltem Spiel in dieser Umgebung sogar den modernen Flügel gut zur Geltung zu bringen, vor allem durch seine Bach-Interpretationen. Dem legitimen Bestreben der meisten Künstler, auch Kompositionen slawischer Musiker aufzuführen.

entsprach er durch kluge Pro- granmiwahl am besten; andere freilich ließen gerade durch dieses Bestreben erkennen, daß die Barockmusik Europas in anderen Regionen ihr Zentmm besaß.

Die selbstverständliche Tendenz, das Programm des kleinen Festivals auch diesseits von Johann Sebastian Bach durch Zuzug von Spitzenkönnern aufzuwerten, führte in richtiger Erkenntnis zur Suche und Entdeckung weiterer Aufführungsstätten: der Kreuzgang des Franzis- kanerklostes, in dessen Geviert ungefähr die gleiche Anzahl Hörer wie im Donat-Turm Platz findet, bot sich als akustisch ideale Örtlichkeit an. Nach dem Glinka-Quartett, das Haydn und Beethoven spielte, erreichte hier das Festspiel durch den französischen Cellisten André Navarra seinen absoluten Höhepunkt. Der Künstler, der an d.er Wiener Musikhochschule unterrichtet, wovon man aber hierzulande kaum Notiz genommen hat, begann mit einer Bachschen Solosuite und ließ anschließend, unterstützt von dem Pianisten Andrija Preger, Schumann, Schubert und Chopin folgen, auf einer Höhe der Perfektion, die ihresgleichen sucht. Selbst unter südlicher Sonne, wo wie von selbst die überspitzten Kriterien des mitteleuropäischen Standards ad absurdum geführt werden, etabliert sich eine solche Spitzenleistung quasi als Naturereignis; selbst der

Himmel sah dies ein und wartete, nachdem er Chopins „Polonaise brillante“ mit Blitz und Donner kontra- punktiert hatte, mit den ersten Tropfen bis zum letzten Ton der Zugabe.

Kleine, entzückende Renaissancehöfe, am schönsten diejenigen, in denen das Alter nicht durch allzu tüchtige Renovierung verwischt wurde, sowie Kirchen waren die Schauplätze von Serenaden eines Ensemibles für alte Musik, das sich „Universitas studiorum Zagrebien- sis“ nennt und bei unseren „Mene- strels“ in die Schule ging. Die stilistisch richtig angelegten, mit sympathischer Leichtigkeit und Eleganz durchgeführten Darbietungen verstanden es zumindest im Freien, das übliche Ritual von Konzerten zu vermeiden und durch quasi improvisatorisohe Spontaneität zu erfreuen, was im geschlossenen Raume nicht ganz so gut gelang; überdies war durch zu große Zahl derartiger Veranstaltungen die Kapazität des Ensembles in qualitativer Hinsicht überbeansprueht.

Das Festival von Zadar soll in Hinkunft durch weiteren Zuzug ausländischer, vor allem österreichischer Ensembles für alte Musik bereichert werden. Der bisherige Erfolg der örtlichen Gegebenheiten, der sichtbaren wie der unsichtbaren, läßt für die Zukunft Positives Voraussagen.

Und neues Leben blüht aus den

Ruinen. Milko Kelemen, der führende jugoslawische Avantgardist, arbeitet in seinem Sommerquartier an seiner neuen Oper, einem Auftragswerk der Städtischen Oper Berlin. „Seine“ Oper — das ist nicht wörtlich zu nehmen: das Multimedia-Werk wird drei gleichberechtigte Autoren haben: Arrabal zeichnet für den Text, Kelemen für die akustische und der deutsche Bildhauer Edmund Kieselbach für die optische Komponente verantwortlich. „Opéra bestial“ heißt das Werk, und die vereinigten Phantasien der Autoren demonstrieren eindeutig, daß ihrer Ansicht nach die Bestialität keineswegs ein Privileg der Tierwelt ist: der kriegsführende Mensch, die menschenähnliche Maschine übertrumpfen sie mit Leichtigkeit. Die akustische Komponente des Gesamtkunstwerkes verzichtet zwar auf das Orchester, ampliflziert aber einige Instrumentalisten mit technischen Mitteln zu durchaus imposanten Wirkungen. Im übrigen werden alle Ausdrucksmittel angewandt, die nur denkbar sind: Tonband, Live- Elektronik, Gesangssolisten in drei Sprachen, ja sogar tonale Elemente werden eingesetzt. Das Thema: Werden und Vergehen des Menschengeschlechts, ein Menetekel, dessen jugoslawischer Beitrag durch zahlreiche Mahnmale in dem vom letzten Krieg schwer in Mitleidenschaft gezogenen Zadar Relief erhält.

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