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Damals, anno 1941

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In der Schöpfleitgasse trifft Hemmelmann auf ein halbvolles Zimmer. Die Baronin und Mayer, Pater Hugo, der Neffe aus Pola, ein bereits bekannter kroatischer Dichter, und wieder Dr. Cech vom Außenamt, der seinen Urlaub am Traunsee unterbrochen hat. Keine Runde für ein Gespräch über Österreich. Daß nicht einmal die Baronin den Maler nach seiner wochenlangen Abwesenheit fragt, ob es nicht doch nur ein Gerücht war, daß die Sbirren ihn jagen würden.

Der Domkaplan pflegt, wenn er in eine Versammlung geht zu einem Streitgespräch, ein paar Punkte auf einer Straßenbahnfahrtkarte zu notieren und dann stundenlang zu predigen oder mitzusprechen oder einige Gegner dialektisch-christlich zu zermalmen.

„Wie sollen wir uns für ein künftiges Österreich entscheiden, wenn wir es für uns selbst nicht formulieren können?“

„Wann war Österreich je ein deutliches, ein total begreifbares Land?“

„Das Herrliche an Österreich ist die undeutliche Weite, das genial Vage.“

„Vom Kahlenberg siehst du noch die Hintergründe der Weltgeschichte.“ „Und die schönsten Utopien -“ „Grillparzer hat vom Kahlenberg aus sogar sich selbst gesehen - im Lager von Radetzky.“

Der Domkaplan: „Motiviert das seine Minderwertigkeit als deutscher Dichter?“

„Wir haben keinen Dichter, der Österreicher ist, haben die Deutschen einen?“

„Kleist, Büchner, Schüler.“

„Stifter“, sagt die Baronin. „Haben wir nicht Stifter? Wildgans, Joseph Roth? Musil?“

„Ist in Österreich ein Österreichbewußtsein überhaupt möglich? Gibt es Ansätze, seit 1918, meine ich“, sagt der Kaplan, „oder in der Monarchie? War nicht immer nur ein Kakanien da?“

„Ein Österreich, das kein Mensch für lebensfähig gehalten hat. Am wenigsten die Österreicher.“

Erschöpft greift die Baronin in den kleinen Bücherschrank hinter sich und legt ein schmales Heft auf den Tisch. .Insel Almanach' auf das Jahr 1919: Preußen und Österreicher. Ein Schema von Hugo von Hofmannsthal.

„Herrlich, doch hat es weder mit den heutigen Preußen noch mit den heutigen Österreichern zu tun“, sagt der Domkaplan. „Wenn wir darüber reden, kann es sowenig schaden, wie wenn wir wieder Gedichte von Binding, Arno Holz lesen und was man so in den zwanziger Jahren gelesen hat.“

„Der Preuße, der Österreicher -das gibt's ja so wenig wie den Russen, den Italiener.“

Hemmelmann fürchtet wieder eine unfruchtbare Rederei. Dabei sind sie einer wichtigen Frage nahe, seiner Frage, jener, die ihn nicht erst seit Hitler peinigt: die Frage nach dem tatsächlich .Nationalen', das er in Fichte, Erzherzog Johann, auch in Bismarck und Schönerer erkennt, nicht aber in Ludendorffs, nicht einmal in Hin-denburgs Kleindeutschland, geschweige denn in dem von den Großdeutschen erträumten, von Adolf Hitler verwirklichten kleindeutschen Großdeutschland.

Nach der zweiten Flasche Grüner Veltliner hagelt es praktische Vorschläge:

„Wie werden wir eine neue Jugend nach dem Krieg, gleichgültig wie er auch endet“ (ein Wort, das sogleich von der Baronin ausgeschaltet wird), „wie werden wir in jungen Menschen auf jeden Fall ein neues Österreichbewußtsein erwecken? Die Schule? Woher die rechten Lehrer nehmen?“

Bücher? - Wer kann eine Liste von Büchern aufstellen? Wo gibt es einen Kreis, nicht eine Kommission, in dem bei der Erarbeitung einer solchen Liste nicht sogleich wild durcheinander gestritten wird bis zur Ehrenbeleidigung?

Filme? Führungen? Wanderausstellungen? Rundreisen junger Menschen durch die schönsten Gegenden des Landes, Vorträge von heimgekehrten Emigranten, von ehemaligen KZ-Häftlingen? Radiovorträge?

Wichtige Romane? Was ist wichtig? Roths Jladetzkymarsch“ oder seine „Kapuzinergruft“? Doch eher Stifter? Musil? Das Buch über einen Mann ohne Eigenschaften. Wie produzieren wir Männer mit Eigenschaften? Produzieren? Schrecklich! Kein neues Kakanien, kein Herzmanovs-kys „Kaiser Joseph und die Bahnwärterstochter“.

„österreichische Geschichte?“

Pater Hugo wehrt ab. „Vielleicht ausgewählte Kapitel, auch bei Musil und Stefan Zweig. Bestimmt nicht vom Privilegium minus.“

„Jede Methode, nur nicht gewaltsam“, sagt Pater Hugo. „Doch gewaltsam, wir stecken bereits mitten in dieser gewalttätigen Erziehung.“

Die Baronin winkt scharf ab.

Der Domkaplan reißt sich zusammen und hebt das Glas: „Wir danken unserem Führer — !“ Aus dem Roman „Die Geprüften“, der demnächst im Verlag Styria, Graz, erscheint.

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