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Damals, in hellen Tagen

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In diesen Tagen wurde in Graz der „steirische herbst“ eröffnet. Persönliche Erinnerungen an den Mitbegründer dieses Festivals formuliert der scheidende Leiter der Albertina.

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In diesen Tagen wurde in Graz der „steirische herbst“ eröffnet. Persönliche Erinnerungen an den Mitbegründer dieses Festivals formuliert der scheidende Leiter der Albertina.

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Natürlich hatte ich ihn schon manchesmal in früheren Jahren gesehen, in den so eindrucksvollen Seminaren etwa bei Viktor von Geramb oder im Volkskundemuseum beim Paulustor wie überhaupt auf der Universität, und er war schon damals für uns „der Koren“. Dann, als er ins politische Leben gegangen war, begegnete ich ihm einmal beim Luegg, mit seinem breitkrempigen Hut und einem weiten Lodenfleck, und als ich höflich grüßte, blieb er stehen, redete mich an, daß wir uns doch von der Universität kennen, welches Fach ich eigentlich studiere, und was ich einmal beruflich vorhabe. Wie wenig habe ich damals geahnt, was alles an gemeinsamer Arbeit, menschlicher Nähe und an unvergeßba-ren Erlebnissen uns noch verbinden sollte.

Eines Tages war er mein Vorgesetzter als Kulturlandesrat; ich hatte inzwischen als Direktor die Neue Galerie am Joanneum in der Sackstraße übertragen erhalten, und schon bei der ersten dienstlichen Begegnung sprach er vom herankommenden Jahr 1959, das— hundert Jahre nach dessen Tod — zu einem „Steirischen Gedenkjahr“ für Erzherzog Johann werden sollte, ein Jahr der Besinnung und Gesinnung.

Es kam zu dem denkwürdigen Treffen in St. Martin, wo jeder der geladenen Teilnehmer von seinem Fach aus für dieses Jahr Ideen beitragen sollte. Nun war ich von meiner Familie her von Kind auf mit der Persönlichkeit des Erzherzogs vertraut gemacht und in Verehrung für ihn erzogen worden. Oft hatten meine Großeltern erzählt, wie sie nach ihrer Hochzeit der betagten Gräfin von Me-ran, geborene Anna Plochl im Grazer Palais Besuch gemacht hatten und wie liebenswürdig sie gewesen sei. Ich wußte also sehr wohl, wovon die Rede war. Als aber Hanns Koren damals in einem grundlegenden Referat seine Auffassung von dem „Steirischen Prinzen“ tiefgreifend auslotete, wurde ich von einer Faszination erfaßt, wie ich sie kaum sonst je erlebt habe. Und gar der Kerngedanke, daß unsere heutige Ehrling für den Erzherzog weder zu einer sentimentalen Rückschau in die gute, alte Zeit, noch zu einem sich in Trachtenumzügen oder Anna-Plochl-Geschichten genügenden Lokalfest werden durfte, hat mich völlig gepackt.

Zuerst, meinte Koren, müsse es um die sehr verschiedenen Aspekte historisch-wissenschaftlicher Klarstellungen gehen (und damit gegen manchen traditionell verankerten Kitsch), weil nur dadurch die echte, großartige Lebensleistung gefaßt und geklärt werden könne, um diese dann vertieft und von bleibender Wirksamkeit weiterzugeben. Zugleich müßten aber sofort Initiativen angegangen werden, die dem Erzherzog würdige Impulse aus unserer heutigen Zeit heraus schaffen könnten. Wir spürten damals alle, daß hier ein geistiges Konzept im Entstehen war, das sowohl der Verpflichtung aus der Vergangenheit als auch der Verantwortung für die Zukunft ihren Platz zuwies und damit der Steiermark eine besondere Rolle geben sollte.

Mit allen anderen habe ich mich spontan zur begeisterten Mitarbeit erklärt und aus dem Stegreif für 1959 drei Vorschläge gemacht, die ich realisieren könne: in einer Neubearbeitung und reichen Ausstattung Johanns eigenen Text über die Geschichte seiner Verbindung zu Anna, dem er den Titel „Der Brandhofer und seine Hausfrau“ gegeben hatte, in Buchform zu veröffentlichen; in der bis dahin fertigzustellenden Neuen Galerie eine Ausstellung der schönsten Blätter seiner Kammermaler (an der Rettung und Erforschung dieser Sammlung war ich schon mehrere Jahre tätig) mit einem nach neuen formalen und inhaltlichen Gesichtspunkten verfaßten Katalog zustande zu bringen und die Stiftung eines jährlich zu vergebenden, von Land, Industrie und Wirtschaft zu dotierenden Erzherzog-Johann-Kunstpreises für zeitgenössische Malerei anzuregen.

Koren erklärte alle drei Projekte für gut, sie wurden angenommen, und ihre Verwirklichung gehört zu den schönsten Arbeiten meines Lebens.

Sie brachten mich aber vor allem ganz in Hanns Korens Nähe; ich lernte so seine Gedanken in einer Unmittelbarkeit kennen, wie sie nicht allzuvielen gegönnt war, seine tiefe humane Grundhaltung, seine besonnene Weisheit und eine innere Zielfestigkeit, die, mit äußerer Konzilianz einhergehend, ihn mir zu einem der wertvollsten Menschen machte, die mir in meinem nun schon langen Leben überhaupt begegneten.

Hanns Koren wurde mir zum Maßstab. In kritischen Augenblicken, in Momenten der Entscheidung, in Fragen, wo Emotionen einen so oft in ein Unrecht schlittern lassen könnten, ist mir die Selbstprüfung zur Gewohnheit geworden: wie hätte Koren an meiner Stelle gedacht, wie hätte er gehandelt. Niemals vergesse ich jene Jahre in Graz, meiner Heimatstadt, in denen ich mein Fundament an solchem Vorbüd entfalten konnte.

Hinzu kamen die ungezählten Stunden, in denen wir oft genug bis spät in die Nacht bei manchem guten Glas Wein oder jenem schrecklichen Kalmus-Schhaps beisammen saßen, uns die Köpfe heiß redeten und von Herzen lachen konnten. Noch bis heute spüre ich geradezu die herbstliche Wärme der weststeirischen Buschenschenke, wo wir gerne einkehrten und in die Ruhe des hereinbrechenden Abends hineinsinnierten, und auch die Lust spüre ich nach jenem köstlichen, die Gläser so weich füllenden Schil-cher.

Den Augenblick der Trennung, der 1961 herankam, hätte er leicht verhindern können. Der Bundesminister für Unterricht, Heinrich Drimmel, hatte aus Wien die offizielle Anfrage an ihn gerichtet, ob mir die Freigabe von meiner Dienststellung erteilt würde, um die vorgeschlagene Berufung zum Direktor der Albertina auszusprechen. Hanns hatte mich damals in das Landhaus gerufen und mir seine Antwort vorgelesen, in der es hieß: Ich habe noch niemals eine Zusage so schweren Herzens erteüt, niemals aber würde ich einem Freund eine solche Lebensaufgabe verhindern. Wir standen uns damals lange schweigend gegenüber; dann hat er mich umarmt, und ich leugne nicht, daß wir uns der Tränen nicht schämten. So hat Hanns Koren im Realen mein Dasein geprägt.

Gerne denke ich an so manche seiner Eröffnungsreden in der Neuen Galerie oder anderswo, sie waren immer Ereignisse und von einer begnadeten Rednergabe geprägt. Gerne auch lächle ich noch, denke ich an eine Tagung steiri-scher Lehrer im Festsaal der Sackstraße, als er seine Festrede, im Saal umherblickend, begann: „Ich habe diesen Saal schon manchmal voller und manchmal leerer gesehen, aber so voller Lehrer wohl noch nie.“ So mischen sich im Erinnern die heiteren und die ernsten Momente und werden zu einem unvergeßlichen Bild eines der bedeutendsten Männer der Generation, der anzugehören ich das Glück hatte.

Der Beitrag wird im Band „Erinnerungen an Hanns Koren“ in der Edition Strahalm, Graz, erscheinen.

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