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„Damals standen wir alle auf einer Seite”

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FURCHE: Wie haben Sie den August 1968 erlebt, wo lebten Sie damals?

JAN CARNOGURSKY: Ich studierte Jus an der Karlsuniversität in Prag. Und die Hochschulstudenten absolvierten damals in der kommunistischen Zeit zugleich den Militärdienst. Ich machte im August 1968 gerade eine Militärübung in Westböhmen, in Teplitz bei Marienbad. Am 20. August abends wußten wir noch nichts; am 21. August, etwa um fünf Uhr früh, war Lärm in den Kasernen, wir wurden geweckt - und man sagte uns, daß die Tschechoslowakei von den Armeen des Warschauer Paktes besetzt wird. In den Kasernen gab es keine Kampfeinheiten, da gab es nur uns Studenten und die Instruktoren.

FURCHE: Sie waren also kaum ausgebildet.

CARNOGURSKY: Ja. Es war also Alarm und wir bekleideten uns, mußten aber warten, denn etwas anderes konnten wir nicht tun. Teplitz ist ziemlich weit weg im Westen. Um etwa acht Uhr flog ein russischer Hubschrauber über unserer Kaserne und kreiste dort ständig. Ab etwa acht Uhr wurden wir also beobachtet. Eine Stunde später kamen die Panzer, russische Panzer, und diese Mannschaftspanzerfahrzeuge umzingelten die Kaserne, aber niemand betrat die Kaserne. Wir blieben also in der Kaserne festgehalten. Unsere ganze Tätigkeit bestand darin, daß wir die Straßenschilder vor der Kaserne auf der Straßenkreuzung vernichteten.

FURCHE: Fühlten Sie sich hilflos?

CARNOGURSKY: Es warfürmich eine traurige Erfahrung, daß die damalige tschechoslowakische Armee wiederum nichts gegen eine Okkupation unternommen hatte. Noch dazu war Vietnamkrieg. Die Amerikaner bombardierten schon Nordvietnam. In der Tschechoslowakei wurde damals folgender Witz erzählt: Worin besteht die vietnamesische Luftabwehr? In der Drohung mit der Faust. Das spiegelte ein bißchen eine proamerikanische und Anti-Ostblock-Atmosphäre wider. Und die damalige tschechoslowakische Armee machte eigentlich dasselbe gegenüber der rus-sischen Armee.

Also am 21. August blieben wir etwa bis zwei Uhr nachmittags in der Kaserne, dann wurden wir als Soldaten nach Hause geschickt, denn als Soldaten waren wir Studenten eigentlich untauglich.

FURCHE: Welche Gefühle begleiteten Sie dabei?

CARNOGURSKY: Die Stimmung war gedrückt. Vor allem wegen des Versagens der Armee. Zu diesem Zeitpunkt funktionierten schon diese Untergrundsender. Die gesamte Tschechoslowakei war von einem Netz von Untergrundsendern überzogen. Und die hielten ein bißchen die Moral aufrecht. Ich erinnere mich, daß Cestmir Cisar, er war damals ziemlich bekannt, untertauchte und mittels dieser Sender die Bevölkerung zu passivem Widerstand aufrief.

FURCHE: In diesem Zusammenhang eine persönliche Frage: dachten Sie damals als Tschechoslowake -ich weiß, daß es „den” Tschechoslowaken nicht gibt, nie gab - oder als Slowake?

CARNOGURSKY: In der Tschechoslowakei gab es nie Tschechoslowaken. Es gab immer nur Tschechen und Slowaken. Aber damals waren wir alle geschlossen. Wir standen auf der einen Seite der Barrikade und die Okkupanten auf der anderen Seite. Sogar die Magyaren in der Slowakei haben so gefühlt - obwohl in die Südslowakei (wo die ungarische Minderheit siedelt, Anm.d.Red.) auch Teile der ungarischen Armee einmarschiert sind.

FURCHE.Waren Sie von der Niederschlagung des „ Prager Frühlings ” nachher sehr enttäuscht? Haben Sie erwartet, daß es zu einer Okkupation kommen wird?

CARNOGURSKY: Meine Erwartungen waren nicht sehr hoch, denn den Prager Frühling haben ja Kommunisten gemacht. Und ich empfand mich immer als Opponent der Kommunisten. Die Niederschlagung des Prager Frühlings hat mich deshalb nicht so traurig gemacht, wie einige ehemalige Kommunisten. Und drittens muß ich sagen, wir wußten gar nicht, was es für uns bedeutet. Im Sommer 1969 war ich noch in den Ferien als Student in England.

FURCHE: Es ist also zunächst nicht schlechter geworden?

CARNOGURSKY: Es ist nicht schlechter geworden.

FURCHE: Wann hat man die beinharte Normalisierung zu spüren bekommen?

CARNOGURSKY: Erst im Jahre 1970, als die Überprüfungen, Reinigungen, Säuberungen begannen und alle von einer Kommission überprüft und viele Leute entlassen wurden. Ich begann damals meine Laufbahn als Anwalt, hatte mein Studium abgeschlossen und den Militärdienst beendet. Mein damaliger Chef verteidigte eben diese Leute, die aus politischen Gründen von ihren Posten entlassen wurden. Ich hatte die Chance, ziemlich nah am Geschehen, an einzelnen menschlichen Schicksalen die Konsequenzen der Besetzung der Slowakei kennenzulernen.

FURCHE: Zum zweiten Teil meiner vorigen Frage. Haben Sie die

Okkupation erwartet, war das für Sie eine logische Folge?

CARNOGURSKY: Eher nicht. Wenn sie sogar Dubcek nicht erwartet hat, muß ich mich für meine schlechte Einschätzung der politischen Lage nicht schämen.

FURCHE: Eine Detailfrage noch: Dubdek behauptet in seinen Memoiren, daß er nach seiner Kaltstellung und nachdem er wieder nach Bratislava zurückgekehrt und hier als Forstarbeiter tätig war, durch Mittelsmänner Kontakte zu katholischen Untergrundkreisen gehabt habe. Er sei bestens darüber informiert gewesen, was im katholischen Untergrund passierte.

CARNOGURSKY: Er wußte von dieser Tätigkeit, hatte aber keinen direkten Kontakt. Er hatte auch keinen Einblick in die Strukturen. Er konnte nur das wissen, was mehr oder weniger überall bekannt war. Eben weil er vorher Kommunist, Marxist war, suchte der katholische Untergrund keinen Kontakt zu ihm. Nicht aus Abneigung, sondern weil unsere Wege verschieden waren.

Aber die Exkommuni-sten, die Dissidenten Milan Simecka und Miroslav Gusi, suchten den Kontakt mit ihm, aber er war an Kontakten zu ihnen nicht interessiert. Und auch 1989 war Dubcek noch immer ziemlich passiv. Wir, die Opposition, organisierten am 4. Mai - dem Todestag des Generals Stefanie”, eines Mitbegründers der tschechoslowakischen Republik - in dessen Berghütte Bravlov in den Kleinen Karpaten eine Versammlung. Dubcek war auch eingeladen. Durch ausländische Radiosender war dieses Treffen bekanntgegeben worden -und wir wollten es politisch ausnützen. Aber Dubcek kam nicht.

Mit dem Präsidenten der Christdemokratischen Partei (KHD) der Slowakei, dem seinerzeitigen Dissidenten und Anwalt der politisch Verfolgten, Ex-Ministerpräsident Jan Carnogursky, sprach Franz Gansrigier.

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