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Damoklesschwerter über Premier Begin"

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Jene Kommission, die Israels Verantwortung an Gemetzeln in palästinensischen Flüchtlingslagern untersucht, hat Zwischenbilanz gezogen: ihr Beschluß bringt Begins Koalition in Bedrängnis.

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Jene Kommission, die Israels Verantwortung an Gemetzeln in palästinensischen Flüchtlingslagern untersucht, hat Zwischenbilanz gezogen: ihr Beschluß bringt Begins Koalition in Bedrängnis.

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Verteidigungsminister Ariel Scharon, der als einer der ersten Zeugen aussagte* berichtete noch ruhig und einleuchtend über — das Geschehen, das zum Massaker geführt hatte: erst die Ermordung Baschir Gemayels, des kurz zuvor neu gewählten libanesischen Staatspräsidenten. Verteidigungsminister Scharon und Ministerpräsident Begin, die schon Monate vorher die Vollrrjacht des Kabinetts zu allen Schritten bekommen hatten, beschlossen noch in derselben Nacht des Präsidentenmordes die Besetzung des westlichen Teils von Beirut.

An dieser Sitzung nahm auch Generalstabschef Rafael Eitan teil, hatte doch er den Einmarsch der Truppen nach West-Beirut zu realisieren. Die christliche Pha-lange-Miliz sollte endlich auch an den Kämpfen gegen den gemeinsamen Feind beteiligt werden, nachdem sie zuvor die ganze „Arbeit!" den Israelis überlassen hatten. Sie sollte die zwei ehemaligen palästinensischen Bollwerke, die Flüchtlingslager Sabra und Scha-tilla, besetzen und von PLO-Mannschaften säubern.

Die Phalange war bereit, diese Aufgabe zu übernehmen. Doch dann kam es zu Massenmorden, denen über 1000 Zivilpersonen, Frauen, Kinder und alte Leute, zum Opfer fielen.

Wer hatte nun den Beschluß gefaßt, den Phalangisten freie Hand zu lassen? Wieso wurden sie nicht sofort aufgefordert, die Palästinenser-Lager zu räumen, als die ersten Nachrichten von einem Gemetzel durchsickerten? Diese Fragen blieben bei Scharons Aussage offen beziehungsweise wurden unzureichend beantwortet. So sah man daher mit Spannung Begins Zeugenaussage entgegen.

Der allgemeine Eindruck aus Begins kurzer, kaum 45 Minuten dauernder Aussage war, daß er ziemlich wenig wußte, weil er seinem Sicherheitsminister Ariel Scharon völlige Aktionsfreiheit gestattet hatte.

Das Kabinett erfuhr über den Einmarsch der christlichen Pha-lange-Milizen in die Flüchtlingslager erst zwei Stunden nach deren Besetzung. Dabei konnte sich Verteidigungsminister Scharon auf einen drei Monate zuvor gefaßten Regierungsbeschluß berufen, der es ihm erlaubte, auf eigene Verantwortung und selbständig zu handeln, wenn keine Möglichkeit besteht, das Kabinett rechtzeitig einzuberufen ...

Diese bereits vorher bekannte Tatsache wurde nun von Ministerpräsident Begin persönlich bestätigt. Die Kommission zitierte aus dem Protokoll jener Kabinettssitzung die Worte von Generalstabschef Eitan, der die Phalangisten unter anderem so charakterisierte: „Das wird einen Racheakt nie gekannten Ausmaßes geben. Ich sehe in ihren Augen, was sie vorhaben..."

Auch der stellvertretende Ministerpräsident David Levy äußerte ernste Besorgnisse über die Gefahren eines Phalange-Einmar-sches in Palästinenser-Lager.

Die Nachricht über das Massaker erreichte Begin ziemlich spät. Denn wie Verteidigungsminister Scharon schon Tage vorher der Kommission sagte, hatte er zwar den Ministerpräsidenten am Samstagmorgen, dem 18. September, dem ersten jüdischen Neu-jahrstag, angerufen, doch da sich Begin in der Synagoge befand, war er nicht zu erreichen gewesen.

So erfuhr Begin erst in den Nachmittagsstunden von dem Massaker aus der englischen Rundfunkstation BBC, die auch noch meldete, daß israelische Panzer die beiden Flüchtlingslager umstellt hätten. Darauf habe er den Generalstabschef angerufen. Dieser habe ihn indessen beruhigt, die Phalangisten würden bereits vom israelischen Militär zum Abzug gezwungen.

Als dann der ehemalige Vizeverteidigungsminister und heutige Kommunikationsminister, General Mordechai Zippor, in den Zeugenstand trat, behauptete er unter anderem, er habe bereits am Freitagvormittag, dem 17. September, vom vertrauenswürdigen Militärkorrespondenten Zeev Schiff erfahren, daß in den Lagern Sabra und Schatilla ein Blutbad angerichtet würde. Zippor, der mit Verteidigungsminister Scharon auf Kriegsfuß steht, wandte sich mit seiner Information sofort an Außenminister Scha-mir.

Schamir sagte zu Zippor lediglich: „Ich habe davon gehört." Zippor selbst stellte keine weiteren Nachforschungen an, da dies nicht in seinen Zuständigkeitsbereich als Kommunikationsminister fiel.

Der stellvertretende Ministerialdirektor des Außenministeriums, Chanan Bar-on, behauptete, er hätte sich mit Begins militärischem Adjutanten, Oberst Asriel Nevo, ebenfalls noch am 17. September telefonisch in Verbindung gesetzt und ihm über das Massaker in West-Beirut berichtet.

Ein anderer Vertreter des Au-ßenministeriüms in Beirut, Bruce Kasden, berichtete, der amerikanische Sonderemissär Morris Draper habe sich an ihn mit der dringenden Bitte gewandt, doch sofort Scharon aufzufordern, alles in Bewegung zu setzen, um dem Massaker in den Lagern ein Ende zu bereiten.

Kasden setzte sich noch am Donnerstagabend, dem 16. September, mit dem Außenministerium in Jerusalem in Verbindung.

Begins Adjutant, Oberst Novo, konnte sich bei seiner Vernehmung an nichts erinnern. Er hätte zum ersten Mal von den Massakern durch die 6-Uhr-Abendnachrichten des israelischen Rundfunks, am Samstag, dem 18. September, erfahren.

Die Widersprüche mehrten sich. Der eine hatte nichts gehört, der andere konnte sich nicht erinnern.

So kam es denn vergangene Woche zum Zwischenbeschluß der öffentlichen Untersuchungskommission, der jetzt Begins Koalition immer mehr in die Enge treibt. Die Kommission richtete an neun der wichtigsten Zeugen, an der Spitze Ministerpräsident Begin, persönliche Briefe, in denen diese auf ihr Recht aufmerksam gemacht wurden, nochmals vor der Kommission auszusagen und möglicherweise Zeugen der Vernehmung anzuführen, die ihre Unschuld für das Geschehen in Beirut beweisen können.

In dem Brief der Kommission an Menachem Begin heißt es unter anderem, der Ministerpräsident könne belastet werden, wenn die Kommission feststelle, daß er die Aufgabe der Phalange-Mili-zen bei und nach dem Einmarsch der israelischen Armee in West-Beirut und die Gefahr der Racheakte dieser Milizen gegenüber den Bewohnern der Flüchtlingslager nicht rechtzeitig eingeschätzt und übersehen habe.

Im Brief an Scharon wird ebenfalls von obigen Gefahren gesprochen, die Scharon offensichtlich ignoriert habe. Denn er hatte keine entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen getroffen, um rechtzeitig für den Abzug der Phalangisten aus den Lagern zu sorgen: dies, als ihn bereits Informationen über ein Massaker erreicht hätten.

Außenminister Schamir erfuhr aus dem Brief an ihn, die Kommission könnte zum Schluß kommen, er hätte seinerseits nicht die notwendigen Schritte unternommen, um zu erfahren, was in den Flüchtlingslagern wirklich vorging, obwohl er von Kommunikationsminister Zippor darüber unterrichtet worden war.

Sollte die Kommission nach Beendigung ihrer Tätigkeit Begin wirklich direkt oder indirekt für das Massaker verantwortlich machen und ihm kein Vertrauen schenken, will er Neuwahlen ausrufen lassen.

Schwieriger noch ist die Lage von Verteidigungsminister Ariel Scharon, dessen Regierungsmethoden ohnedies von vielen angefeindet sind.

Die neun Zeugen mit Ministerpräsident Begin an der Spitze müssen sich erst 15 Tage nach Erhalt der Briefe vor der Kommission verantworten. Weitere Wochen werden vergehen, bis alle oder ein Teil der Zeugen nochmals vernommen oder verhört worden sind. Doch die bevorstehenden Beschlüsse der Untersuchungskommission hängen über den Köpfen der heutigen Begin-Koalition wie Damoklesschwerter.

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