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Dank an Carl Zuckmayer

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Nach Carl Orff und Oskar Kokoschka hat der vor sieben Jahren begründete Kulturfonds der Stadt Salzburg zum erstenmal einen Literaturpreis verliehen. Man konnte keinen Besseren für diese Auszeichnung linden als Carl Zuckmayer, den halben Wahl-Salzburger, der in Henndorf bei Salzburg die glücklichsten Jahre seines Lebens verbrachte, „zwölf Jahre im Paradies“, wie er auch in der Antwort auf die Laudatio Dr. Rudolf Bayrs sagte. (Über diese Zeit berichtet er ausführlich in seinen Lebenserinnerungen und aud» in der im Salz- ■ burger Residenz-Verlag erschienenen „Henndorfer Pastorale“). Gleichsam als wollte er die Aufmerksamkeit des Auditoriums, das sich am 21. August im Marmorsaal des Schlosses Mirabell zur Überreichung des Preises eingefunden hatte, ein wenig von der eigenen Person ablenken, gedachte Zuckmayer des größten Dichters dieser Stadt und eines der bedeutendsten Lyriker im deutschen Sprachraum: Georg Trakl, der „wie ein dunkler Engel“ durch diese freundlichen Barockkulissen gesdiritten ist, und Trakls Vers vom Sdunerz um „die ungeborenen Enkel“ zitierend, sprach Zuckmayer die Hoffnung aus, daß die Jugend und unsere Enkel „der Himmel vor dem Katastrophalen, das uns umgibt, bewahren möge“. Und ganz zum Schluß noch einmal eine echte Zuckmayer-Geste: er gab dankend, stante pede, den eben erst empfangenen Preis an den Bürgermeister und Vorsitzenden des Kulturfonds zurück, mit der Bitte, ihn förderungswürdigen jungen literarischen Talenten aus Salzburg zukommen zu lassen. F.

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Nach Carl Orff und Oskar Kokoschka hat der vor sieben Jahren begründete Kulturfonds der Stadt Salzburg zum erstenmal einen Literaturpreis verliehen. Man konnte keinen Besseren für diese Auszeichnung linden als Carl Zuckmayer, den halben Wahl-Salzburger, der in Henndorf bei Salzburg die glücklichsten Jahre seines Lebens verbrachte, „zwölf Jahre im Paradies“, wie er auch in der Antwort auf die Laudatio Dr. Rudolf Bayrs sagte. (Über diese Zeit berichtet er ausführlich in seinen Lebenserinnerungen und aud» in der im Salz- ■ burger Residenz-Verlag erschienenen „Henndorfer Pastorale“). Gleichsam als wollte er die Aufmerksamkeit des Auditoriums, das sich am 21. August im Marmorsaal des Schlosses Mirabell zur Überreichung des Preises eingefunden hatte, ein wenig von der eigenen Person ablenken, gedachte Zuckmayer des größten Dichters dieser Stadt und eines der bedeutendsten Lyriker im deutschen Sprachraum: Georg Trakl, der „wie ein dunkler Engel“ durch diese freundlichen Barockkulissen gesdiritten ist, und Trakls Vers vom Sdunerz um „die ungeborenen Enkel“ zitierend, sprach Zuckmayer die Hoffnung aus, daß die Jugend und unsere Enkel „der Himmel vor dem Katastrophalen, das uns umgibt, bewahren möge“. Und ganz zum Schluß noch einmal eine echte Zuckmayer-Geste: er gab dankend, stante pede, den eben erst empfangenen Preis an den Bürgermeister und Vorsitzenden des Kulturfonds zurück, mit der Bitte, ihn förderungswürdigen jungen literarischen Talenten aus Salzburg zukommen zu lassen. F.

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Sehr verehrter Herr Zuckmayer, meine sehr geehrten Damen und! Herren:

Hieße laudatio lediglich Lob, ich scheute mich, als Laudator hier zu sprechen. Denn die Vertrautheit mit einem Werk, die es nachzuweisen gilt, mißrät allzuleicht zu Vertraulichkeit mit dem Menschen, der Autor jenes Werkes ist. Solch fahrlässige Intimität und deren Vergeßlichkeit betreffend Rangunterschiede zu vermeiden, hilft eine andere Bedeutung d« Wortes laudatio: es heißt nämlich auch Dankadresse. Als einer aber, der dankt, glaube ich vor Ihnen stehen zu dürfen.

Und also dünkt es mich auch folgerichtig wie verantwortbar. Ihnen ein Verfahren schuldig zu bleiben, das unter dem Spitznamen Würdigung eine Art brauchtümlicher Publikumsscheuche geworden ist. Ich möchte vielmehr auf etwas anderes zielen. Worauf, das ist schwierig zu benennen — sagen wir, um es mit ein paar Worten fürs erste zu markieren: Vertrauen, Bezumitte von Lebendigem zu sein; Einsicht, daß alles Wahrnehmbare wirklich, aber nicht alles Wirkliche wahrnehmbar ist; imd nochmals Vertrauen, nämlich in die ganz persönliche Entele- chie; schließlich die Fähigkeit zu Freundschaft und Treue; die Unfähigkeit zu Haß; das unbändige Bedürfnis, Heimat zu haben und, ward sie verloren, neuerdings Heimat mit Händen einzurich’ten auch auf fremder Erde, dem Elend zu entgegnen damit — hier schneide ich mir den Satz ab, befürchtend, ich könnte ein Hinterglasbild gewisseimaßen zu malen beginnen von Carl Zuckmayers Lebenswelt und Welt- und Lebensverhalten, darin die Dinge nur zierliche Schatten würden. Leben und Welt indes nie von Schatten geschlagen worden wären. Lassen Sie mich Beistand holen von der letzten Strophe der Elegie von Abschied und Wiederkehr, geschrieben 1939 in Hollywood:

Ich weiß, ich werde zögernd wiederkehren.

Wenn kein Verlangen mehr die Schritte treibt.

Entseelt ist unsres Herzens Heimbegehren,

Und was wir brennend suchten, liegt entleibt.

Leid wird zu Flammen, die sich selbst verzehren.

Und nur ein kühler Flug von Asche bleibt —

Bis die Erinn’rung über dunklen Meeren

Ihr ewig Zeichen in den Himmel schreibt.

AUenthalben hört man heutzutage klagen, die Jugend habe keine Vorbilder, sie ahme bloß Konsumgewohnheiten der an Konsumschemata orientierten Älteren nach oder opponiere gesichtslos und keinerlei tradierten Wertvorstellimg zugänglich, eine jede als Lüge und Täuschung denunzierend — in Lied und Text die alte Weise, getröstet sich mancher, befangen in der Urteilszuversicht, daß noch jede Opposition in der Resignation ihr Grab gefunden habe.

Nun, so gewiß es ist, daß Jugend widerspricht und sich widersetzt — ich sage Jugend, nicht die Jugend, es gibt ja auch Musterknaben, fromme Helenen und indifferente Fachstreber, und, umgekehrt, was das Alter angeht, sitzt nicht jeder zufrieden auf der Hausbank mit Blick über eine unversehrte Welt — so gewiß also Jugend widerspricht und sich widersetzt: ich halte weniger die Aktivitäten für bedeutsam, welche eine Änderung der sozialen Ordnung zum Gegenstand haben, mehr dagegen das Verhältnis dieser Aktivitäten zum Leben als einem Wert, den die jeweiligen gesellschaftlichen Umstände nicht relativieren können.

Ich weiß nicht, ob es Carl Zuckmayers Zustimmung fände, bemühte man sich, aus seinen Erinnerungen, einem wahrhaft und wahrhaftigen weltgeschichtlichen Zeugnis, Verhaltensmuster oder, vorsichtiger gesagt, Verhaltenshdnweise abzuziehen; Sätze in einem Brief an den Regisseur Ludwig Berger lassen Gegenteiliges vermuten, etwa wenn zu lesen steht: „Es gibt überhaupt keine Bahn, keinen Weg, kein Vorbild, keinen Mantel, kein Gesetz… es gibt nur die Fülle, die tausendarmige Gottheit, die immer neu in die Erscheinungen tritt.“ Wen es allerdings daraufhin gelüstet, Millionen zu um- schlmgen und der ganzen Welt einen Kuß anzubieten, der wird sich ernüchtern lassen müssen. „Es gibt gar nichts Absolutes“, erfährt Ludwig Berger, „nur die Selbstzucht,

die jeder haben muß nach seinem eigenen Maß.“

Der da von Selbstzucht schrieb, war lange noch nicht dreißigjährig, habe ich mich nicht verzählt. Und zeitlich nicht weit weg davon — das Jahr mag man vernachlässigen, erheblich ist da nur die Phase — notierte Carl Zuckmayer nach frühen Bühnenerfahrungen: „…ich begann zu wissen, oder zu vermuten, was ich wollte und sollte und was nicht. Ich hatte weder die Gabe noch die Absicht, eine neue literarische Epoche, einen neuen Theaterstil, eine neue Kunstrichtung zu begründen. Aber ich wußte, daß man mit Kunstmitteln, die überzeitlich sind, mit einer Art von Menschenkunst, die nie veraltet sein wird, solange Menschen sich als solche begreifen, eine neue Lebendigkeit, der Wirkung und der Werte, erreichen kann. Dies war kein Programm — es war das Ergebnis einer ganz persönlichen Entwicklung. Ich wollte nichts Programmatisches.“

Und irgendwo, ich habe die Belegstelle angestrengt, aber vergeblich gesucht, fällt das Wort, in unseren Ohren heute Stichwort, von der Revitalisierung des Theaters — Fußnote: des Theaters in vitaler Zeit —, und dann ist der Satz da, Carl Zuckmayer könne den Stoff, es war der zum „Hauptmann von Köpenick“, nur bewältigen, „nicht die Geißel schwingend, sondern das Menschenbild beschwörend“, und schließlich ist da dieser bestimmte Moment in Saas-Fee, dieser Blick ins Tal, auf die vielfach verschlungenen Wege:

ich hebe meine Augen auf zu den Bergen: dahinter ist die Unendlichkeit, welche durch alle Weltraum- und Kernforschung nie ganz ergründbar sein wird, so wie der Tod, der Austritt aus deni bewußten Leben, der große Übergang, durch alle Findung der Biologie und Genetik nie seines letzten Geheimnisses entkleidet wird.“

Ja, und so trage ich also zusammen: keine Absicht, eine neue Ute- rarische Epoche zu begründen; es gibt nur dis Selbstzucht; eine Art von Menschenkunst, die nie veraltet sein wird; kein Programm; nicht die Geißel schwingen, sondern das Menschenbild beschwören; der Tod, der große Übergang, durch alle Findung der Biologie und Genetik nie seines letzten Geheimnisses entkleidet — und wenn ich all das rückbeziehe auf jene paar Worte, die, markierend, das umstellten, was Carl Zuckmayer beispielhaft vor Augen bringt: Vertrauen in eine persönliche Entelechie; Vertrauen, Bezugsmitte von Lebendigem zu sein; Einsicht, daß alles Wahrnehmbare wirklich, aber nicht alles Wirk-

liehe wahrnehmbar ist r— dann scheint die Probe aufs Exempel gemacht.

„Wo ist man daheim? Wo man geboren wurde oder wo man zu sterben wünscht?“ So fragend, beginnt Carl Zuokmayer in seiner Autobiographie sich zu erinnern. Und bereits gegen Schluß desselben Absatzes wiederholt er die Frage verkürzt, etwas distanzierter, eher als Denkmöglichkeit, grammatikalisch angedeutet im Konditionalsatz zuvor: wenn man mich fragt, wo ich zu sterben wünsche, so muß ich sagen, ich weiß es nicht.“ Vier Jahrzehnte früher glaubte Carl Zuckmayer es zu wissen, wo er sein irdisches Dasein auszuleben hoffe: in dem Ort Henndorf bei Salzburg, Haus Wiesmühl. Und zwischen dem Nichtwissen und dem Zu-wissen- Glauben, wird er des einen tröstlich habhaft: „Ich weiß nur: wir lebten einmal im Paradies, und es macht keinen Unterschied, ob es zwölfeinhalb Jahre dauerte oder solange, wie man braucht, um die Augen zu schließen und wieder aufzuschla- gen.“

Am 24. Juli 1970 drei Uhr nachmittags wird Carl Zuckmayer eingeholt von einer Gesandtschaft des Dorfes, das ihm ein Fest zu bereiten willens ist, ein Fest nach Brauch und Herkommen mit Schützen und Blasmusik und Tanz und kräftiger Tafel. „Du bist nie fort gewesen“, hatte Alexander Lemet-Holenia 1946 an Carl Zuckmayer geschrieben. Ob sich dieses Wort beim Wort hätte nehmen lassen, gesetzt, Carl Zuckmayer hätte daran gedacht während der eiligen Fahrt von Salzburg nach Henndorf? Gleich dem Vokabular eines Rituals, Vergangenheit zu zitieren, liest es sich, wenn Carl Zuckmayer in dieser Pastorale, die nächtens mit den zwölf Schlägen von den Türmen Salzburgs endet, Namen an Namen drängt, es ist, als riefe er Stätten und Menschen auf, ihr jeweils Ver- bliöbenes und Bleibendes vorzuweisen. Und wenn etwas unverloren blieb — ist es den Stätten und den Menschen, ihrer Treue zu danken, oder dem, der an ihnen und unter ihnen hatte daheim sein wollen, aber nicht dürfen? Aus dem Paradies vertrieben worden sein rmd hören: Du bist nie fort gewesen — welches Gehör macht daraus nicht welchem Herzen Bitterkeit, Gelächter, Haß?

In allen Aufschreibungen ist Carl Zuckmayers Angst offenkundig, hassen zu müssen, wie auch endldch das Glück, nicht hassen zu können. Dieses nennt Carl Zuckmayer das vielleicht größte und gnadenvollste, das ihm in seinem ganzen Leben be- schieden war. Und als in Henndorf an jenem Fest der Freund Heinrich Gleißner daran erinnert, daß Henndorf nicht immer für seine heutigen Gäste ein so freundliches Gesicht gehabt habe, dabei nicht anklagt, nur einfach erinnert, in diesem Erinnern demnach nicht urteilt, aber beschwört: Vergeßt nicht, was einmal geschah, und laßt es nie wieder geschehen — da weiß Carl Zuckmayer, daß es die Wahrheit ist, wenn er jetzt sagen wird: „Ich kenne keinen Haß — und ich kannte keinen Haß —, auch nicht gegen diese, die wenigen, die heute fortgeblieben sind.“

Carl Zuckmayer ist wiedergekehrt, nach Salzburg, nach Henndorf. Carl Zuckmayer ist aber nicht heimgekehrt.

Allein in Saas-Fee schreibt er die Sätze: „Ich habe Nachbarn, ich habe Freunde gewonnen in diesem Ort, und ich weiß in der ganzen Welt meine Freunde und ihre Gräber. Wo diese sind, bin ich zu Hause. Hier und überall.“

Also auch in Salzburg? Auch in Henndorf? Dem Dank an Carl Zuckmayer sei die Hoffnung beigemengt.

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