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Dank für ein kleines Meisterwerk

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Lieber und verehrter Freund, damals, an jenem Abend in Wien, haben wir einander gegenseitig versprochen, in Kontakt zu bleiben, wie das so schön heißt, und in der Tat bin ich ein paarmal fast in Berlin gewesen, fast in der DDR, und fast hätte ich Ihnen auch einige Zeilen geschrieben, nicht, um in Kontakt zu bleiben, nein, sondern um etwas zu erfahren, die Topographie eines gewissen Gartens in Weimar betreffend (ich brauchte die Auskunft zu einer Arbeit), aber dann ist aus all dem doch nichts geworden, die Reise unterblieb, der Weimarer Garten blieb unbeschrieben: Nebensächliches füllt die Zeit, und in der herbeigesehnten freien Stunde befindet man sich plötzlich beim Friseur. Kurzum, entschuldigen Sie, daß ich erst heute schreibe. Ich muß es tun und ich möchte es in dieser Form tun: öffentlich.

Vor ein paar Tagen habe ich Ihren kleinen, bezaubernden Roman zu

Ende gelesen. „Märkische Forschungen.“ Romantitel dieser Art haben einen besonderen Reiz: Das Sachliche verspricht eine gewisse ernste Bescheidenheit, die im Gegensatz stehen könnte zur abenteuerlichen Fülle des epischen Materials. In der Diskrepanz liegt die Möglichkeit einer Groteske. Außerdem denkt unsereiner bei Titeln dieser Art sofort an Theodor Fontane und an die sandfarbenen, mit schütteren Wäldchen bestandenen Ebenen Brandenburgs, an Redlichkeit und Disziplin, an die jugendlichen Träumereien rechtschaffener Puritaner. Die Landschaft ist für uns einigermaßen exotisch.

Und wie um den Effekt noch zu verstärken, fügten Sie dem Titel noch den Satz hinzu: „Erzählung für Freunde der Literaturgeschichte.“ Die Groteske schien nun heftiger zu zwinkern - wenn Sie mir solche bildhaften Ausdrücke gestatten. Gleich der erste Satz des ersten Kapitels, schlank, trocken, aufs Wesentliche gerichtet, bestätigte die Erwartung: „An einem Januartag begegneten sich Winfried Menzel und Ernst Pötsch auf dem wenig befahrenen Weg zwischen Liepros und Schwe-denow zum ersten Mal.“

Daß Winfried Menzel sämtliche Sparten der Literaturwissenschaft mit seinem hemmungslosen Tatendrang zu beherrschen weiß, daß er sich, jovial, gesprächig und ichbezogen, ein ganzes kleines Imperium zurechtlegt, daß er im Dienste seiner ausufernden Persönlichkeit die Ideologie mit großer Kunstfertigkeit mißbraucht, daß er die Arbeit und das Leben anderer wie selbstverständlich in die eigene bombastische Existenz integriert, daß er an seinen wissenschaftlichen Irrtümern und halben Fälschungen im Stil eines weitherzigen Weltmannes festhält und in der Manier eines guten Kumpans alles, aber wirklich alles, das ihm in die Hände fällt, vergiftet - ich hab's aus Ihrem Roman erfahren und war bei der Lektüre verwirrt, betroffen und glücklich. Das alles stimmte haargenau. Ich kannte den Typus, kannte ihn nicht aus der DDR, sondern aus anderen Ländern. Denn die Plage namens Menzel ist offenbar, wenigstens auf unserem kleinen Kontinent, allgegenwärtig.

Er sitzt überall, wo viel geredet und wenig gearbeitet wird, kennt alle Leute, auf die es ankommt (nicht im Sinne von Substanz, aber im Zeichen der Substanzverwaltung und Sub-stanzbeherrschung), ist zu unsereins herablassend milde, fördert uns sogar, wenn er glaubt, dadurch seine Verdienste zu vermehren.

Das alles wissen Sie ja, lieber Freund, Sie haben ja die Romanfigur erschaffen. Ich darf dazu nicht viel mehr sagen als den Satz: Nicht nur in der DDR. Womit ich, gleichsam in Parenthese, auch noch sagen möchte, daß die in deutschen Gazetten immer wieder laut geführte Klage über das literarische Auseinanderleben von West und Ost wohl an manchen Ara-beseken der Oberfläche orientiert ist. Oder, um deutlicher zu sein: die Leute der Mode mögen sich im Zeichen einer Polarisierung voneinander entfernen, die Menschen des Augenblicks können sich in ihrem augenblicklichen Begriff des Glücks festsetzen, die Kreaturen der Kleinheit können auf den engen Horizont ihres kleinen Himmels starren und das Umfassendere nicht begreifen -mit der Wirklichkeit hat das nichts zu tun. Das Existenzielle ist zugleich -einigermaßen - universell. Das ist tröstlich.

Und tröstlich ist auch, daß es bei Ihnen und bei uns und überall auch Figuren gibt wie in Ihrem Roman der Ernst Pötsch. Ein Lehrer. Ein Heimatforscher. Ein armer Mann, leidlich gut verheiratet, fast ordentlich besoldet, mit seiner Tätigkeit beinahe zufrieden - weit entfernt von den Zentren der Macht und der Mei-nungsmacherei. Aber Ernst Pötsch, der auch noch, wie zur Strafe, einen Namen zu tragen hat, den man wohlklingend auch zwischen Liepros und Schwedenow nicht nennen dürfte, ist doch kein Untertan. Er hat seine fixe Idee. Er ist ein Besessener . Er ist so, wie die Menzels sein oder wenigstens erscheinen möchten: anständig, arbeitsam, natürlich, aufrichtig, einfach, geradlinig, auf ein einziges Ziel konzentriert, Teile eines Ganzen, das man nun Masse nennen kann oder Volk oder dörfliche Gemeinschaft oder Kollektiv. Und unbeirrbar. Im Augenblick, in dem Ernst Pötsch an der großzügigen Fälschung des Winfried Menzel teilhaben müßte, kehrt er in die Armut zurück. In die Einsamkeit auch. Er betreibt seine Forschungen von nun an ganz allein.

Vergnügt habe ich die leicht ironischen Passagen Ihrer Erzählung gelesen; ein Vergnügen anderer Art bereitete mir die Ökonomie ihrer Syntax, die Knappheit Ihrer Formulierungen, diese Kunst, im scheinbar Kargen etwas Vieldeutiges und Vitales entstehen zu lassen. Vielleicht irre ich mich, aber ich hatte das Gefühl: hier wird die Neigung zur sanftesten Lyrik mit sprachlichen Mitteln der strengen Selbstbeherrschung gezwungen, das Gegenständliche mit einer Aura der Widersprüchlichkeit zu umgeben. So entsteht an der Grenze von Objekt und Ahnung die Vision.

Aber das gehört auf ein anderes Blatt, ist Kommentar, Randbemerkung, Dülettieren auf dem Gebiet der Ästhetik. Wichtiger bleibt die Wirklichkeit: Ihr Roman, und unsere Nacht in Wien, damals in der Porzellangasse, als der liebe Viktor Suchy eine Jazzband imitierte und Sarah Kirsch melancholisch, verbittert und manchmal vielleicht auch glücklich kleine Liedchen vor sich hinsummte und zwischendurch tanzte.

Sie saßen damals sehr ruhig da. Wir redeten wenig. Die anderen gingen dann - können Sie sich noch erinnern? -, und wir blieben noch beisammen, und als die Flaschen bereits fast leer waren, sprachen wir dann über gleichgültige Dinge, um die Ruhe, die uns für ein paar Minuten endlich erfüllt hatte, nicht zu stören. Sie waren damals der nüchternste unter uns allen. Jetzt glaube ich, die Art, die Natur, die innere Beschaffenheit Ihrer Nüchternheit von damals besser zu verstehen.

Warum ich das schreibe? Damit Sie wissen, daß jene Nacht in Wien, die dann ein traurig-groteskes Ende nahm, in der Erinnerung weiter existiert, auch als Gedächtnishilfe für mich bei der Lektüre Ihres Buches. Haben Sie für die „Märkischen Forschungen“ vielen Dank.

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