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Danken wir den Scheichs

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Gäbe es ohne (die schlagartige Rohölpreiserhöhung und die darauffolgende Energiesparwelle keinen Wester-, keinen Böhmer- und auch keinen Wienerwald mehr?

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Gäbe es ohne (die schlagartige Rohölpreiserhöhung und die darauffolgende Energiesparwelle keinen Wester-, keinen Böhmer- und auch keinen Wienerwald mehr?

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Es ist fast genau elf Jahre her, daß die OPEC-Staaten den Erdölpreis, der vor dem Jom Kippur-Krieg noch fünf Dollar pro Faß betrug, kurzerhand verdoppelten. Zugleich drohten sie, dieser Preis könne eines Tages auch verdreifacht werden, wenn Israel weiterhin vom Westen unterstützt würde. Worauf einige europäische und amerikanische Politiker mit der Gegendrohung antworteten, man könne auch mit anderen Waffen als mit Rohstoffen Krieg führen.

Heute kostet das Faß Erdöl sechsmal soviel wie vor dem Jom Kippur-Krieg und alle Welt redet von einem Preisverfall. An einen Kampf ums Erdöl denken auch längst nicht mehr die westlichen Politiker, sondern in erster Linie die arabischen Ölscheichs. Sie versuchen, den Rückgang der Erdölpreise durch Drosselung der Fördermengen aufzuhalten. Aber sie glauben selbst nicht an dieses Rezept.

Die Situation heute: das rapide Ansteigen der Erdölpreise im Verlauf der siebziger Jahre hat die Erschließung von Erdölvorkommen, wie diejenigen unter der Nordsee oder im Golf von Mexiko, über Nacht rentabel gemacht. Das Welterdölangebot ist wesentlich größer geworden. Gleichzeitig aber haben die verschiedensten Faktoren dazu geführt, daß der Verbrauch an Mineralölprodukten weltweit zurückging.

Nun kann man den Erdölsektor nicht isoliert betrachten, wiewohl es reine Erdölpreisschocks gewesen sind, die die großen Energiekrisen der Jahre 1973 und 1979 heraufbeschworen haben. Als die Heizöl- und Benzinpreise in — wie es damals schien — schwindelnde Höhe kletterten, wurde die gesamte Energiepolitik von Panik erfaßt: man sprach vom absehbaren Zu-Ende-Gehen der „endlichen" Energieressourcen (Erdöl, Erdgas, Kohle), von den ungeheuren Chancen „alternativer" Energiequellen (Sonne, Wind, Biomasse), von der Notwendigkeit postindustrieller Lebensstile („Small is beautiful") und vom eisernen Sparen, ja vom Reglementieren (autofreier Tag) im Umgang mit jedweder Art Energie.

Vieles von dem hat sich als unnötig, manches als illusorisch erwiesen. Dennoch war die damalige Panik überaus heilsam. Die Bevölkerungen Europas und Amerikas erwachten aus ihrem Traum, Mobilität, Wärme, Kraft und Licht könnten eines Tages zum Nulltarif angeboten werden. Sie begannen, Energie als etwas nicht nur in finanzieller Hinsicht Kostbares zu begreifen. Sie begannen, behutsam mit ihr umzugehen. Noch vor fünf Jahren räumten sie dem Energiesparen einen fast ebenso hohen Stellenwert ein wie der Erhaltung des Friedens und dem Bekämpfen der Arbeitslosigkeit. Und sparten tatsächlich Energie. Den Politikern fiel es nicht schwer, daraus Kapital zu schlagen, und sie schlugen Maßnahmen vor, deretwegen sie zehn Jahre früher noch abgewählt worden wären.

In den letzten zehn Jahren ist das Bruttoinlandsprodukt um nahezu ein Viertel gestiegen, hat sich der Kraftfahrzeugbestand stark vergrößert, sind eine Menge Wohnungen gebaut worden, und trotzdem ist der Energieverbrauch nicht höher, als er vor zehn Jahren gewesen ist. Ist das alles auf das Umdenken der österreichischen Bevölkerung seit 1973 zurückzuführen?

Ganz gewiß nicht. Das Umdenken war nur die Voraussetzung dafür. Die Verbrauchsrückgänge selbst haben ihre Ursache teils in gezielten organisatorischen Maßnahmen, unnötige Verschwendung von Energie zu verhindern, teils in gezielten Investitionen, sei es im Industrie-, sei es im Gebäudebereich, den Energiebedarf zu verringern, teils im Erkennen der Wirtschaft, aus dem Energiesparen lasse sich ein Markt machen: die energiesparende Waschmaschine, der energiesparende PKW wurden Verkaufsschlager.

1984 wird der Energieverbrauch erstmals wieder seit langer Zeit gegenüber dem Vor Jahresverbrauch steigen. Und die jüngste demoskopische Umfrage in der Bundesrepublik Deutschland ergab, daß Energiesparen vom dritten Platz der Stellenwert-Tabelle auf den neunten Platz gesunken sei. Ist der Umdenkprozeß in be-zug auf Energie in Schläfrigkeit übergegangen? Läßt sich aus dem Energiesparen nur solange ein Markt machen, solange die Energiepreise steigen?

Es ist dies nicht anzunehmen. Denn den dritten Platz der Stellenwert-Tabelle hält momentan der Umweltschutz. Und das eine hat noch niemand bestritten: daß der beste Umweltschutz in der Verminderung, zumindest aber in der Stabilisierung des Energieverbrauchs besteht. In dem Moment, in dem der Erdölschock seine Wirkung zu verlieren schien, kam, mit ungeahnter Wucht und Wirkung, der Umweltschock daher.

Die Maßnahmen, die die Politiker nun zur Erhaltung der Umwelt zu beschließen haben werden, sind allesamt Maßnahmen, die auch dem Energiesparen dienen, die man seit 1973, seit der öl-preiserhöhung nach dem Jom Kippur-Krieg, für den „Krisen-fall" vorgeschlagen hat. Sie werden es ermöglichen, daß wir auch im Jahr 2005 (länger als 20 Jahre kann man nicht prognostizieren) vermutlich nicht mehr Energie verbrauchen werden als heute.

„Eigentlich", so meinte unlängst ein deutscher Politiker, „haben wir den Ölscheichs viel zu danken. Hätten sie nicht seit 1973 die Erdölpreise konsequent hochgetrieben, wäre der Energieverbrauch in den letzten zehn Jahren ebenso gestiegen wie in den zehn Jahren davor. Und da gäb's weder Wester-, noch Böhmer-, noch Wienerwald mehr."

Der Autor leitet den Energieverwertungs-agentur-Verein zur Förderung der sinnvollen Verwertung von Energie (EVA).

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