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„Darf nie wieder passieren"

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Jahre historischer Veränderungen, aber auch der Krise, Jahre des Generationenwechsels, aber auch der Prüfung: Versöhnlich und selbstkritisch hat der Bundespräsident der Jahre 1986 bis 1992 auf seine Amtszeit zurückgeblickt. Auch in der Hoffnung, daß „das Geschehen dieser Jahre einen späten Sinn" erhält.

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Jahre historischer Veränderungen, aber auch der Krise, Jahre des Generationenwechsels, aber auch der Prüfung: Versöhnlich und selbstkritisch hat der Bundespräsident der Jahre 1986 bis 1992 auf seine Amtszeit zurückgeblickt. Auch in der Hoffnung, daß „das Geschehen dieser Jahre einen späten Sinn" erhält.

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Die vergangenen sechs Jahre, in denen ich das Amt des Bundespräsidenten ausgeübt habe, waren eine Zeit historischer Veränderungen, in denen sich das Antlitz Europas und der Welt - und damit auch die Rolle und Aufgabe Österreichs - entscheidend gewandelt haben. Tatsächlich war auch der Beitrag Österreichs an der Umgestaltung Europas von der ersten Stunde an, in der die Trennungsmauern zwischen Ost und West fielen, wichtig, ja unverzichtbar. Unser Land ist seit 1989 nicht nur Schauplatz und Zeuge dramatischer Entwicklungen geworden, es ist auch aus einer Randlage wieder ins Zentrum Europas gerückt. Österreich hat sich als Mahner und Helfer, aber auch als Hort der Stabilität und des inneren Friedens in einer instabilen, spannungsgeladenen Zeit bewährt.

Ungeachtet dieser großen inneren Stabilität haben sich während meiner Amtszeit in unserem Land bedeutsame gesellschaftliche Veränderungen im Demokratiebewußtsein vollzogen. Politische Entscheidungen werden heute von einer viel breiteren Diskussion begleitet als je zuvor. Mit Leistungen der Vergangenheit allein ist das Vertrauen unserer Landsleute in die Zukunft nicht mehr zu gewinnen. Die Welt des Bürgers wird heute nicht nur von seinen Interessen und seinem gesellschaftlichen Umfeld bestimmt, sondern in hohem Maß auch von Ängsten und Hoffnungen, von der Glaubwürdigkeit und Entscheidungskraft einzelner Persönlichkeiten, von Ärger über ungerechtfertigte Privilegien und ungelöste Probleme.

Der Ruf nach Erneuerung

Wir durchleben aber auch eine Phase ernster Kritik an den bestehenden politischen Institutionen. Alle öffentlichen Strukturen, besonders aber der Parteien- und Verbändestaat, sind in den Sog dieser Entwicklung geraten. Ich glaube, dieser Prozeß entspricht durchaus den gesamteuropäischen Vorgängen.

Der Ruf nach Erneuerung ist immer ein gutes Zeichen für die Lebendigkeit einer Demokratie. Ich freue mich, daß viele der bestehenden Mängel und Mißstände zuletzt nicht nur geortet und offen diskutiert wurden, sondern auch zu konkreten Reform-Schritten geführt haben.

Niemand weiß heute, wie das künftige Europa letztlich aussehen wird -und welchen Platz wir Österreicher darin einnehmen werden. Es sollte jedenfalls keine Position der Abhängigkeit, sondern der gleichberechtigten Teilnahme an der europäischen Integration sein. Unser eigener Prozeß der Öffnung und der Reform darf jedenfalls nicht zuwarten, bis Europa seine neue Gestalt gefunden hat. Niemand wird uns diesen notwendigen Aufbruch abnehmen - er ist allein unsere Aufgabe.

In den Jahren meiner Amtszeit als Bundespräsident hat sich parallel zum tiefgreifenden politischen und gesellschaftlichen Wandel auch ein Generationenwechsel in vielen Führungsfunktionen unseres Landes vollzogen. Die Kriegs- und Wiederaufbau-Generation, der ich angehöre, ist aus dem aktiven Berufsleben weitgehend ausgeschieden. Neue Kräfte mit neuen Erfahrungen und neuen Wertvorstellungen sind an ihre Stelle getreten. Dennoch war es mir ein Anliegen, auch für diese Älteren, die noch immer ein Drittel unserer Bevölkerung ausmachen, das Wort zu ergreifen.

Ich habe versucht, deutlich zu machen, wie unverantwortlich es wäre, diese Kriegs-Generation pauschal mit dem nationalsozialistischen Regime in Zusammenhang zu bringen oder gar gleichzusetzen. Es kam mir darauf an, klarzustellen, daß jene furchtbare Schuld, die dieses Regime auf sich geladen hat und an der leider auch nicht wenige Österreicher mitgewirkt haben, nicht auf das Gros unserer Bürgerinnen und Bürger aufgeteilt werden dürfe. Es war mir wichtig festzustellen, daß die Mehrheit von ihnen in einen Krieg geschickt wurde, den sie nicht wollten; daß sie eine Uniform tragen mußten, die für viele Völker - insbesondere für das jüdische Volk - zu einem Symbol für Verfolgung, Elend und Tod wurde; und daß Millionen Menschen dieser Kriegsgeneration meist erst nach dem Krieg von der Art, dem tatsächlichen Ziel und dem schrecklichen Ausmaß dieser Verbrechen erfuhren.

Unverzeihlich aber scheint mir, wenn man es auch dann in voller Kenntnis der Tatsachen nicht wissen wollte. Wenn man nicht alles daransetzte, um wiedergutzumachen, was überhaupt noch gutzumachen war. Wenn man nicht dazu beitrug, den Ungeist von der Wurzel her zu überwinden und die nachfolgende Generation in einem neuen demokratischen Geist zu erziehen.

Widerspruch und Worte

Ich habe aber auch gelernt, wie schwer es mir als Mitglied dieser Kriegsgeneration war, einen für die Nachgeborenen kaum verständlichen Widerspruch deutlich zu machen. Den Widerspruch nämlich, dieses Regime von der ersten Stunde an abgelehnt zu haben und dennoch unter diesem Regime gelebt und dessen Uniform getragen haben zu müssen. Im Rückblick bedaure ich es, unter dem Druck massiver und für mich vielfach verletzender Angriffe nicht immer jene Worte gefunden zu haben, die meinem Leben und meinen Gefühlen, dem Schicksal meiner Generation und meiner Heimat, aber auch der Größe der Verbrechen von damals gerecht wurden.

Ich war jedoch in all diesen Jahren im Wissen um die Wahrheit davon überzeugt, daß mein Verbleiben im Amt von entscheidender Bedeutung war, um unser Land vor gefährlichen Schuldzuweisungen an eine ganze Generation, aber auch an meine Kritiker, und vor tiefen innenpolitischen Zerklüftungen zu bewahren. Ich habe immer wieder deutlich gemacht, daß es für ein Volk keine kollektive Schuld, wohl aber ein schweres gemeinsames Erbe gibt, dem sich niemand entziehen darf. Ich habe mit der Entscheidung, mich nicht mehr einer Wiederwahl zu stellen, meinen Beitrag zu einem ruhigen Generationenwechsel auch an der Spitze unseres Staates zu leisten versucht - und ich bin glücklich, daß dies auf so harmonische Weise gelungen ist.

Der Rückblick auf die vergangenen Jahre kann aber nicht darüber hinwegsehen, daß es gerade am Beginn meiner Amtszeit zu einer Form der politischen Auseinandersetzung gekommen ist, die in unserem Land nie wieder passieren darf. Nur wenn jeder von uns bereit ist, sein eigenes Verhalten in jener Zeit selbstkritisch zu überprüfen, erhält das Geschehen dieser Jahre einen späten Sinn,

Auszug (gekürzt) aus der Abschiedsrede von Bundespräsident Kurt Waldheim am 8. Juli vor der Bundesversammlung.

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