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Das Ärgernis von Econe

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Niemand in Österreich hat bis unlängst den Ort Ecöne bei Ridder im schweizerischen Rhönetal gekannt. Jedenfalls zählte und zählt der Ort nicht zu jenen plötzlich ungemein attraktiv gewordenen Fremdenverkehrsorten in den Bergen, die als Konglomerat aus klotzigen Hochhäusern plötzlich hochschießen. Ecöne ist seit fast siebenhundert Jahren Besitz der Augustiner Chorherren vom Großen Sankt Bernhard. Bis 1954 hatten die Chorherren dort ein Priesterseminar. In dieses zog anfangs der siebziger Jahre die „Priesterbruderschaft St. Pius X.“ ein. Das geschah auf Anraten des damaligen zuständigen Diözesanbischofs, der der Priesterbruderschaft auch die kirchenrechtliche Konstituierung als „Fromme Vereinigung“ erteilte. Die neugegründete Priesterbruderschaft, das von ihr in Ecöne eröffnete Priesterseminar und der mit dem Ganzen verbundene Zweck sind Idee und Werk von Marcel Lefebvre.

Lefebvre, gebürtiger Franzose, steht heute im siebzigsten Lebensjahr. Vierzig Jahre war er im Missionsorden der Väter vom Heiligen Geist tätig. Davon sechs Jahre als Professor in Gabon, fünfzehn Jahre als Erzbischof von Dakar (Senegal). Der Heilige Stuhl entsandte ihn als Apostolischen Delegaten in das französisch sprechende Afrika. Lefebvre lebte also keineswegs in jenem gewissen Horizont, der nach progressiven Vorstellungen an Katholiken Anzeichen eines „Köhlerglaubens“ oder das hinterläßt, was man heute „narrow-minded“', also engstirnig nennt. Als dem in Afrika aufkommenden Rassismus der Schwarzen Rechnung getragen werden mußte und die „weißen Bischöfe“ ihre Diözesen verließen, rückte Lefebvre, nachdem er Erzbischof von Tülle (Frankreich) geworden war, zum Generaloberen seines Ordens auf. In der Zentralen Vorbereitungskommission des Zweiten Vatikanums erlebte er jene Scheidung der Geister, derzufolge er in progressiven Kreisen als konservativ, wenn nicht reaktionär, abgestempelt ist. 1968 legte er sein Amt als Generaloberer nieder, weil ,er, wie er ausdrücklich erklärt, unter keinen Umständen willens war, sich dem Progessismus zu unterwerfen, der in seinem Orden eine unüberwindliche Macht wurde.

Indessen: Lefebvre zog sich nicht in die den Konservativen gerne zugedachten Trutz- oder Schmollwinkel zurück. Nachdem ihn viele und nicht ganz unbedeutende Katholiken in aller Welt darum gebeten hatten, ging er daran, eine Stätte jener Priesterausbildung zu schaffen, deren es heute im Dienst einer „unverfälschten römisch-katholischen Glaubens- und Sittenlehre“ bedarf. So entstand, wie eingangs beschrieben, das Priesterseminar Ecöne. Das aber geschah bereits in einer Zeit, in der sich nicht wenige Bischöfe, Theologieprofessoren und freipaktizieren-de Laientheologen recht wenig um ihre kirchlichen Oberen, um Recht und Gesetz der Kirche sowie um die Ausführungen der konkreten Beschlüsse des Zweiten Vatikanums kümmerten; weil viele dieser Typen sich selbst viel mehr Wissen, Einsicht und Erfahrung zumuteten, als sie bei den Konzilsvätern vermuteten. Das Kirchenvolk geriet vielfach in Verwirrung, weil es oft aus dem priesterlichen Wort nicht klug werden konnte, ob es sich bei dem „Neuen“ um die Ausführung von Konzilsbeschlüssen handelte oder um Experimente, zu denen sich ein klerikaler Intellektualismus kraft eigener Autorität berufen fühlte. So gerieten Konzilsbeschlüsse in eine fatale Kette von Kausalzusammenhängen. Und angesichts der Zerstörungen und Verwüstungen, die zumal im letzten Jahrzehnt in vielen Teilen der Kirche hinterblieben sind, schien hinsichtlich des Konzils nur zu häufig die Folgerung genuin: Causa causae est etiam causa causati. Auch Lefebvre sah das Konzil in solchen Zusammenhängen, wenn er als Bischof und Ordensoberer auf jene „kompakten Mehrheiten“ progressiver Kräfte in der Kirche stieß, die das Konzil im Mund führen, wenn sie dem eigenen Intellekt die Zügel schießen lassen.

An dieser Stelle muß man sich eines innerkirchlichen Geschehens erinnern, das unlängst so viel Ärgernis und Verwirrung stiftete: Unverschämte Angriffe angeblich mündiger Geistlicher und Laien auf den Papst, namentlich auf die Person Pauls VI. Ein Meer von Pamphleten, die sich namentlich gegen die Autorität des Ewigen Rom richteten. Wie genüßlich brachten die liberalen Blätter in Großformat diese „Anzeichen einer Liberalisierung kirchlicher Verhältnisse“, die „antiautoritäre Welle“ in der Kirche, ganz groß ijeraus. Welche Hoffnungen wurden in liberalen und sozialistischen Kreisen auf die Demontage der sogenannten Amtskirche gesetzt. Wie groß war der Jubel, als der bisher mit mäßigem Erfolg bekriegte kirchliche „Aberglaube und Obskurantismus“, den man so oft als bloßen Priesterbetrug hingestellt hat, die Idolate schwachköpfiger Bigotter nunmehr scheinbar von selbst zusammenbrachen.

Wenn jetzt in Zusammenhang mit dem Vorhaben Lefebvres der Vorwurf „sektiererisch“ gebraucht (wird, dann ist längst vergessen, was einmal der heute noch amtierende Theologieprofessor Karl Rahner über die künftig „von der Basis her“ wachsende Kirche gesagt hat: Eine „echte Mitte“ zwischen Sekte (sie) und „bloßem“ Verwaltungssprengel. Eine Mitte, deren Ort „wohl heute weitum noch eine dunkle und ungelöste Frage“ ist. Für dieses Schliddern in Zonen des Sektierertums hat bekanntlich der Theologe Edward

Schillebeeckx die Autorität des Papstes zuhilfe gerufen, um unsereinen katholisch zu machen. Rom sollte derlei „Fortschritte“ nicht nur zur Kenntnis nehmen. Es sollte mit seiner „zentralen Autorität“ dahin wirken, daß weniger reformfreudige „Teilkirchen“ mit dem Progreß anderer Teilkirchen Schritt halten. Mit ähnlichen autoritären Methoden zwecks Stärkung antiautoritärer Methoden sollte Lefebvre es zu tun bekommen.

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Schon witzeln liberale Zeitungen im Großformat: Bei der Priesterbrüderschaft Lefebvres hat man es ja nur mit Konservativen (besser: Reaktionären) zu tun, bei denen eine „größere Gehorsamsbereitschaft“ vorausgesetzt werden darf als in Kreisen des modernen Liberalkatholizismus. Solchen veralteten Typen kann man schon eine „schlechtere Behandlung' zumuten, zumal sie für ihr reaktionäres Tun nur ein „geringes Publikumsinteresse“ erwarten dürfen. Wer kümmert sich zudem schon groß um Katholiken, die katholisch sein wollen. Bischöfe und Geistliche, die ihre Soutane an den Nagel hängen; Jesuiten, die sich den Teufel um den dem Papst geschworenen Gehorsam kümmern; Konkubinarier aller Sorten — das sind heute Typen und Themen für,riesige Headlines. Weg mit den Konservativen und Reaktionären aus den Sendungen des Kirchenfunks. Solche Typen überläßt man besser dem New Management der Liberalen, die sich in einem Atem mit „konservativen Bolschewiken“ nennen, mit „Faschisten“, mit „bezahlten Subjekten der Reaktion“.

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Das Ärgernis von Ecöne ist bald erzählt. Die Priesterausbildung in dem von' Lefebvre persönlich geleiteten Seminar stützt sich auf das, was Pius X., Pius XII. und ein Dekret des Zweiten Vatikanums festgelegt und bestätigt haben. Das Brevier wird lateinisch gebetet. Der Gregorianische Choral wird gepflegt. Die Heilige Messe wird gelesen, wie sie seit dem Tridentinum viele Generationen unserer Vorväter feierten und darin ihren Glauben bewahrten. Die Seminaristen von Ecöne verzichten auf die Uniform mit Jeans und längen Haaren, sie tragen die Soutane. Sie rauchen nicht. Sie enthalten sich aus guten Gründen jener Radio- und Fernsehproduktionen, für die Fernsehstationen fn der westlichen Welt seit dem Tode Gottes ihre Wellenlängen, den Wellen des Materialismus, der Pornokultur und der äußersten Dekadenz leihen.

Sonderbar: Dem entgegen erweist sich der „Obskuratismus“ von Ecöne in einer Zeit, in der eine „Neue Sprache“ neue „religiöse Wahrheiten“ unter die Massen bringen soll, als attraktiv. Attraktiv nicht für Se-niliszenzen und sture Konservative, sondern für immer mehr junge Menschen, die in Ecöne die Erfüllung ihrer Berufung zum Prieser erhoffen. Von 130 Aufnahmebewerbern des Jahres 1974 konnten nur 40 aufgenommen werden. Aus solcher Auslese kamen die ersten Neugeweihten. *

Aber das ereignete sich schon in einer Zeit, in der das „Ärgernis von Ecöne“ bereits den Ärger der Non-konformisten von gestern erweckt hatte; jener, die heute oft schon ein neues kirchliches Establishment steuern. Eine erstmals vorgenommene Visitation des Seminars stieß zunächst auf einen „vorbildlichen Geist der Frömmigkeit“. Vorschriften für die Priesterausbildung, über die man sich andernorts nonchalant hinwegsetzt, werden in Ecöne befolgt. Woran sich Visitatoren stießen, das war weniger ein „unzeitgemäßes“ Verhalten, als vielmehr ein philosophischer und religiöser Glaube, der in einer sogenannten modernen Kirche nicht „in“ sein soll. Da ist der Glaube an die Existenz einer vom Leib „gelösten Seele, also der Glaube an das Leben nach dem Tode. Da sind „unhaltbar gewordene Vorstellungen“ von der Auferstehung Christi. Da ist eine unnütze Askese, unnütz in Zeiten, in denen die Verheiratung der Priester für viele in Sicht ist. *

Lefebvre erfuhr vom Ergebnis der Visitation nicht unmittelbar. Er erbat Audienz beim Heiligen Vater. Es wurde ihm bedeutet, derlei sei unmöglich, käme doch die Audienz anscheinend einer Genehmigung seines Vorhabens gleich. In einer Stunde wie dieser, am. 21. November 1974, tut Lefebvre seinen Schritt in die Öffentlichkeit; in jene Öffentlichkeit, die betreffs Ecöne bereits vielfach mit Gerüchten und halben Wahrheiten vergiftet ist. Indem er sein Werk verteidigt, weist er auf seine drei Haltepunkte hin: Treue gegenüber der Kirche und der überkommenen Lehre. Ein Werk der Priesterausbildung „ohne Bitterkeit, ohne Rebellion, ohne Groll. Treue gegenüber allen Nachfolgern des Heiligen Petrus“.

Darnach zu einer Aussprache eingeladen, mußte sich Lefebvre harte Vorwürfe anhören. Schon wird der Verdacht laut, er lasse sich auf das Risiko eines Bruchs mit Rom ein. Lefebvre repliziert: Wenn ein Bischof mit Rom bricht, dann werde nicht ich es sein. Indessen: Die Prozedur läuft. Dem für Ecöne zuständigen Diözesan-bischof wird „das Recht zuerkannt“, die von seinem Vorgänger spontan erteilte kirchenrechtliche Genehmigung der Priesterbruderschaft St. Pius X. zu widerrufen. Mit diesem Widerruf verlieren Ecöne und alle anderen Niederlassungen der Bruderschaft die Rechtspersönlichkeit im Sinne des Kirchenrechtes. Sie werden nonexistent und sollen von jeder Unterstützung ausgeschlossen bleiben. Hier können nicht die weiteren Stationen der Prozedur aufgezählt werden. Es genügt, deren Zielpunkt sichtbar zu machen: Lefebvre wird in seiner .„Opposition gegen die Reformen des Konzils“ bloßgestellt. Immer häufiger fällt in Kirchenfunksendungen in Zusammenhang mit Ecöne das Wort Sekte. Mit großer Überheblichkeit stellen mündige Kommentatoren und Kolumnisten Lefebvres „Methoden der Priesterausbildung von anno dazumal“ als verfehlt hin; als ungeeignet, sie gegen heutige Erfolge in der Heranbildung von Priestern „auszuspielen“. Aus Dakar bekommt Lefebvre Flankenfeuer seitens seiner früheren Diözese: In Afrika von heute bedankt man sich für Priester, wie sie in Ecöne herangebildet werden.

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Lefebvre wehrt sich: Er darf feststellen, daß dort, wo der katholische

Glaube gewahrt bleibt, die Priesterseminare voll sind. Und: Lefebvre will weder Schisma noch Sektengründung. Für den 8. September 1975 ruft die Marianische Gebetsgemeinschaft St. Pius X. zu einer Sternwallfahrt nach Mariazell auf. Dort soll Lefebvre ein Pontifikalamt unter Assistenz zelebrieren und predigen. Aber die 1000 Wallfahrer erlebten nicht die verpönte Meßfeier ihrer Vorväter. Diese wurde vom zuständigen Diözesanbischof verboten. Es bleibt bei der Segensandacht mit anschließender Kommunionsfeier.

Wenige Tage nachher bekannte Lefebvre auf einer Vortragsreise durch Österreich, er sei entschlossen, sein Werk fortzuführen, auch wenn „Strafen und Prüfungen kommen sollten“.

Man muß kein Kirchenhistoriker und kein Kirchenrechtler sein, um das dermaßen von Lefebvre kalkulierte Risiko richtig einzuschätzen. Wird bei der Einschätzung des Werkes Lefebvres dessen Widerstand gegen gewisse nachkonziliare, nichtau-torisierte „Reformen“ und deren zerstörerischen Auswirkungen (die manifest sind) unterschätzt, sein Hinweis auf die causa causae indessen in den Majorzbeschlüssen der Konzilsväter über Gebühr herausgestrichen, dann wächst das Geschehen in historische Proportionen von großer Tragik.

Seit Ignaz von Döllingers Exkommunikation im Anschluß an das Erste Vatikanum, gerät nun der „Fall Ecöne“ in eine Zone von Entscheidungen, wo sich Lefebvre in seinem Versprechen bewähren muß, wonach nicht er der Bischof sein wird, der mit Rom bricht.

Lefebvre wird, muß anderseits wissen, daß an diesem Punkt eine „konservative Revolution in der Kirche“ nicht stattfinden kann. Unter keiner Voraussetzung. Für die Konservativen ist es bedrückend bis zur Unausstehlichkeit, Lefebvre einer Prozedur unterworfen zu sehen, die zuweilen eine derartige ultima ratio zu erzwingen scheint. Für die auf den Wogen des nachkonziliaren Reformismus treibenden Treuesten der Treuen wurde Lefebvre — wenn nicht Haltepunkt — so doch Leuchtfeuer, das eine Hoffnung auf Land, auf festen Boden unter den Füßen signalisierte. Ein zwischen Lefebvre und Rom eintretender Bruch würde solche Hoffnungen untergehen lassen, niemals aber Signal zum Aufstand sein.

Ton jenem nach dem Ersten Vatikanum exkommunizierten Prälaten, Döllinger, wird, als er schon vom Tod gezeichnet war, berichtet, man hätte ihn in seinen letzten Lebensjahren zuweilen im Halbdunkel einer Kirche gesehen; in Betrachtungen versunken, einen Rosenkranz in Händen.

Das aber soll nicht das Ende von Ecöne und Lefebvre sein. Ecöne ist nicht nur Prüfstein der Frömmigkeit, sondern zugleich Testfall der Festigkeit unseres Taufbundes. Es geht um jenes: Ich will die Kirche hören, wie wir es sangen. Und: ich wil ihren Lehren folgsam sein. Kein Bischof, auch Lefebvre nicht, kann dieses Hören und Folgen aus der Verfestigung

Photo: Archiv im Taufbund für sich, namens des Ganzen, herausreklamieren. Bleibt das Gebet. Um Demut angesichts klerikalen Intellektualismus und. intellektuellen Aufbegehrens in uns selbst. Um Geduld und Duldsamkeit angesichts von so viel Ungeduld und Unduldsamkeit. Um Zuversicht im Glauben an Christi Wort, das den Felsen Petri unerschütterlich macht. Lefebvre, Missionar, Erzbischof und Bruder darf sicher sein, daß ihm in seiner Stunde der Beistand aus dem Gebet vieler sicher ist. Gott helfe ihm.

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