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Das Alibidemokratie-Spiel

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„Im Herbst wird gewählt“, sieht Unterrichtsminister Sinowatz eine neue Schulepoche heraufdämmern. Das Dämmerlicht rührt vom jahrelang heißdiskutierten Schulunterrichtsgesetz — kurz SCHUG genannt — her. Dieses Gesetz, von den beiden Großparteien einträchtig im Nationalrat verabschiedet, regelt den innerschulischen Bereich und damit auch die Schuldemokratie

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„Im Herbst wird gewählt“, sieht Unterrichtsminister Sinowatz eine neue Schulepoche heraufdämmern. Das Dämmerlicht rührt vom jahrelang heißdiskutierten Schulunterrichtsgesetz — kurz SCHUG genannt — her. Dieses Gesetz, von den beiden Großparteien einträchtig im Nationalrat verabschiedet, regelt den innerschulischen Bereich und damit auch die Schuldemokratie

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An die 350.000 Schüler, ihre Eltern und ihre Lehrer werden im Oktober dieses Jahres zu den Wahlurnen gerufen. Diese Wahlurnen stehen in allen mittleren und höheren Schulen, in den Berufsschulen und polytechnischen Lehrgängen. In erster Linie geht es bei den Wahlen um die Vertreter im neu geschaffenen Schulgemeinsohaftsausschuß, der — so das Gesetz — „zur Förderung und Festigung der Schulgemeinschaft“ dienen soll. Diesem Gremitun gehören der Schulleiter und je drei Vertreter der Lehrer, der Schüler und der Eltern an, die gewählt werden müssen.

Die Verordnung des Unterrichtsministers über die Durchführung der Wahl der Mitglieder des Schul-gemeinschaftsausschusses, die derzeit als Entwurf vorliegt, nimmt als Vorbild für die Schulwahlen die „große“ Demokratie: Wahltag und Wahlort sind auszuschreiben und kundzumachen, Wahlvorschläge müssen erstellt und eingebracht werden, ja sogar „ambliche“ Stimmzettel sind vorgeschrieben. Sie sind vom Schulleiter aus weißem Papier „in einheitlichem Format“ herzustellen und müssen mit dem Stempel der Schule, dem Datum und der Bezeichnung der Wahl versehen sein. Die Wahlen selbst sind geheim, Wahlzelle und Wahlurne dürfen nicht fehlen, und über den Vorgang selbst wird Protokoll geführt.

Damit aber nicht genug! Unabhängig von diesen Wahlen werden auch Schülervertreter wie Klassen-, Abteilungs- und Schulsprecher gewählt, wofür derzeit ebenfalls eine ministerielle Verordnung als Entwurf die Runde macht.

Angesichts dieses Demokratiebooms an Österreichs Schulen ließ es der oberste Schulherr Sinowatz nicht an Pathos fehlen. Den Vertretern des Bundesschülerbeirates beim Unterrichtsministerium malte er den „historischen Augenblick“ in den schillerndsten Farben und ernannte sie zu „Pionieren, die am Beginn einer neuen schulischen Entwicklung stehen“.

Nun: Der Pioniergeist der Schülersprecher in Sachen Schuldemokratie stumpft langsam bereits ab. Mit ähnlichem Sohwung, wie che Verankerung der Mitsprache im Ministerium verlangt, Sinowatz winkte aber ab. Kein Minister könne es sich leisten, so argumentierte er, von dieser Einrichtung keinen Gebrauch zu machen. Doch Sinowatz leistete es sich: Wie schon im Vorjahr berief er auch heuer den Bundesschülerbeirat erst zu einem Zeitpunkt ein, wo das Schuljahr schon zur Hälfte verstrichen war. Das Urteil der Schüler: Alibidemokratie.

Und das fürchtet man auch auf Schulebene, trotz des komplizierten Wahlvorganges. Der Hauptangriffspunkt ist der Schulgemeinschafts-ausschuß, dem vom Gesetz her das Reoht zugesprochen wird, den Umfang der Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte der Schüler sowie den Wirkungsbereich der Schülervertreter festzulegen. Mit anderen Worten: Die Schuldemokratie ist vom Mißfallen oder Wohlwollen der Eltern, und Lehrer abhängig, darüber hinaus ist für Beschlüsse eine „unbedingte Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich“. Die Schüler fürchten — wahrscheinlich sogar berechtigt — in vielen Fällen eine Koalition Eltern-Lehrer, die ihnen ein sehr enges Mitsprachekorsett anlegt. Der Unterriohtsmini-ster bekam auch die Meinung klipp und klar serviert; das sei glatte Augenauswischerei, polterten die Sinowatz-Pioniere.

Ein weiterer Dorn im Auge ist ihnen, daß keinerlei Vorkehrung für eine „Immunität“ der Schülervertreter getroffen wurde. Es sei, wird argumentiert, wie die Praxis gezeigt habe, nicht ausgeschlossen, daß aufmüpfigen Schülersprechern „auf andere Weise die Schneid abgekauft wird“, auf eine Weise, die mit Schul-demokratie gar nichts mehr zu tun hätte. Auch hier ist noch kein Stein der Weisen gefunden.

Trotzdem wird es an den österreichischen Schulen einen turbulenten Herbst geben. Alle warten mit Spannung darauf, wie sich die Theorie in der Praxis bewährt. Die heute schon bekannten Ungereimtheiten einerseits und kaum abwendbare „Geburtspannen“ lassen den Schluß zu, daß die Schuldemokratie noch lange nicht ausdiskutiert sein wird. Dem ersten Schritt ^müssen weitere folgen. Zu dieser Einsicht' ist auch Unterrichtsminister Sinowatz gelangt, der den unzufriedenen Schülern „nach Ablauf einer einjährigen Erprobungsfrist“ Novellierungen in Aussicht stellte.

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