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Das Alte im Neuen

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Das Grenzland des nördlichen Waldviertels gilt als wirtschaftliches Notstandsgebiet und dennoch wird man von diesem Problemkind durch erstaunliche Initiativen kultur- und umweltbewußter Einwohner überrascht.

Sei es nun die Revitalisierung eines geschichtsträchtigen Schlosses wie im Falle Drosendorf, dessen altes Gebäude nun zum Teil eine Stätte für Bildungshungrige und einfache Sommerfrischler geworden ist oder die Restaurierung eines dem Verfall preisgegebenen und häufig schon von Abbruchplänen bedrohten Stiftes, wie jene Propstei in der Marktgemeinde Eisgarn (Bezirkshauptmannschaft Gmünd).

Seit drei Jahren bemüht sich Propst Ulrich Küchl dieses Gebäude aus dem Jahre 1330 mit einem liebevoll erarbeiteten Konzep"t zu restaurieren. Der Gebäudekomplex, der den Chor der Ma-riae Himmelfahrtskirche umfängt, eine dreischiffige gotische Pfeilerbasilika, besteht aus drei einstöckigen Trakten mit Arkadenresten aus dem 17. Jahrhundert, die 1680 und 1760 erweitert und umgebaut wurden.

Zum 650. Jahrestag der Gründung des Stiftes Eisgarn und dem mit diesem Datum zusammenfallenden 300 Jahr-Gedenken an die barocke Umgestaltung hat im Juli eine große Feierlichkeit stattgefunden. Um diesem Fest den würdigen Rahmen zu verleihen, wurden die Innenhoffassaden nach alten Baurissen in Altrosa und Weiß renoviert und der Stiegenaufgang und der Vorraum vor dem Konzertsaal neu gestaltet.

Etwa sechs Konzerte sind jährlich ge-

plant - einige wurden bereits vom berühmten Küchl-Quartett gestaltet (Rainer Küchl ist der Bruder des Propstes). Man spielte eine Uraufführung eines Werkes Gottfried von Einems und am Jubiläumstage, dem 13. Juli, die Welturaufführung von Einems Horn-Quartett „Laudes Eisgarnensis".

Mit Professor Arnulf Neuwirth, dem im nahegelegenen Radschin ansässigen Maler wurde für den Raum vor dem Konzertsaal das Konzept der Wandmalereien in Kalkkaseintechnik erstellt, Arnulf Neuwirth, der passionierte Aquarellist und Collagist (er führte die aus Stoffresten genähten Riesenflaggen des österreichischen Pavillons in Montreal zur Weltausstellung aus!) hat es wie selten ein zeitgenössischer österreichischer Künstler vermocht, den eigenen Stil ohne Bruch in das Ambiente des Stiftes überzuführen. (In diesem Sinne ist daher zweifellos auch an Boek-kels Arbeiten in Seckau zu erinnern).

Neuwirth, der den vorzimmerlichen Festlichkeitscharakter betonen wollte, verwendete daher in seiner Farbpalette vor allem gelb, rosa und hellen Ocker. Die zarten Medaillons erinnern bewußt an pompejanische Grotesken und heraldisch barocken Geist.

Drei Themenkreise bilden die Schwerpunkte: Religion, Kunst und Geschichte der Propstei - sowie ein Stammbaum mit den Herren des Stiftes und beziehungsvolle Szenen, soweit sie aus den historischen Dokumenten bekannt waren. Im Zentrum des. Themas „Religion" findet sich die Bergpredigt Christi, als Gegenstück dazu schuf der Künstler die Vogel- und Fischpredigt des hl. Franz von Assisi auf der gegenüberliegenden Wand, wohl nicht von ungefähr die eigene Tierliebe und Naturverbundenheit spiegelnd!

In dieses historische Sujet wurde freilich die Waldviertler Fauna eingeflochten, mit Ausnahme des Pelikans, der in früher Zeit als Symbol Christi galt, weil er sich, wie man damals meinte, die Brust aufreißt, um mit seinem Blut die Jungen zu nähren! Auf dieser den Tieren gewidmeten Seite sind auch zwei Propheten aus dem Alten Testament dargestellt: Noah mit der einen Ölzweig tragenden. Taube und Daniel in der Löwengrube, weiters zwei Heilige: Aegydius, Patron der Pfarre Eggern (sie wird von Propst Küchl betreut), der eine Hirschkuh pflegt und der hl. Antonius in der Wüste.

In Beziehung zu dem angrenzenden Konzertsaal wählte man für die Wand nächst dem Eingang die Darstellung von Orpheus, jenem griechischen Künstler, der durch die Macht der Mu-

sik wilde Tiere zähmte - korrespondierend mit Christus, der durch sein Wort die Sünder zu einem besseren Leben führt. Auf der Seite gegenüber das Abbild des Sonnengottes Apoll mit den neun Musen auf dem Parnaß. Es ist nötig, bibelfest und mythologiebewandert zu sein, um sich in dem „Bilderbuch" zurechtzufinden. Diese hochstilisierte „biblia pauperum" will erarbeitet sein!

Zwei gegenüberliegenden Seiten des Raumes sind der Geschichte des Stiftes Eisgarn gewidmet. Der Gang der Historie wurde zum Weg von „Denkwürdigkeiten": aus den Zeiten der Brandrodung (übersetzt aus dem slawischen Wort „Isgorije" - „Eisgarn!) durch die Hussiten, vorbei an den Plünderungen und Brandschatzungen des Dreißigjährigen Krieges bis zur Propstei des Jahres 1672: der Gekreuzigte, in einem für das Waldviertel typischen Steinkreuz, als Ziel von dunklen heidnischen Epochen zum Licht des Christentums. Der bereits erwähnte Stammbaum zeigt in kleinen Medaillons Porträts der Pröpste, soweit man sie urkundlich und bildnerisch zurückverfolgen konnte.

Und schließlich weisen die Wandmalereien neben ihrem Reichtum an Geschichte und formaler Delikatesse eine doppelte Struktur auf: Arnulf Neuwirth hat die Unterwelten mitgemalt. Unter einem dunklen Strich finden sich jeweils in den Segmenten Themen wie „Jonas im Walfisch", ein im Erdreich liegendes menschliches Skelett unter dem Lebensbaum, archäologische Fundgegenstände und als speziell origineller Einfall einer Signatur: die Darstellung des von Dädalus erbauten Labyrinths. Diesem Ur-Künstler war die Frage gestellt worden, ob man den Verlauf eines Schneckengehäuses messen könne, worauf Dädalus eine mit einem Faden umwundene Ameise in den Spiralgang schickte. Im Falle Eisgarns sind es die fadenförmigen Namenszüge des Künstlers, der sich von dem mythologischen Insekt in das Labyrinth tragen läßt.

Dem Reisenden, der sich in diesem einsamen, aber bezaubernden Teil des Waldviertels bewegt, wird in Eisgarn gewissermaßen ein Juwel zueigen. Er betritt ein wiedererstandenes, strahlendes Stift, fühlt sich vom musischen Geist in der Propstei beflügelt, bewundert die altmeisterlichen und dennoch modern wirkenden Fresken Arnulf Neuwirths und kann, wenn das Glück es will, Zeuge eines Stiftkonzertes werden, das es wieder aufleben läßt: das Alte im Neuen.

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