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Das Alter als Aufgabe

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Einerseits beklagen wir es, wenn ein Mensch relativ jung stirbt, meinen, er habe Wesentliches im Leben versäumt. Andererseits erleben sehr viele Menschen gerade die Pensionierung als ein beinahe traumatisches Ereignis. Plötzlich wird man nicht mehr gebraucht, geht keiner „bedeutungsvollen“ Aktivität mehr nach, verliert den Kontakt zu den Kollegen. So mancher Jungpensionist stürzt sich hektisch in neue Aktivitäten, um zu zeigen: „Seht, ich gehöre nicht zum alten Eisen.“

Warum bereitet vielen heute das Altern solche Probleme? Hängt es nicht damit zusammen, daß unsere Gesellschaft in besonderem Maße den Kult der Jugendlichkeit betreibt? Typisch dafür sind Werbung und Medien (siehe Kasten). Der gutaussehende, sportliche, erfolgreiche junge Erwachsene ist das Leitbild. Mit seiner Verwirklichung kommt man mit zunehmendem Alter schwerer zurecht. Da hilft auch keine noch so jugendliche Kleidung. Selbst das Fitneß-Training kann Abbau-Prozesse nicht verhindern, sondern höchstens verzögern.

Ebenfalls typisch ist die Vorstellung, daß die eigentlich wichtigen Dinge in der organisierten Arbeitswelt geschehen. Von kleinauf bekommt jedermit, daß sein „Lebensglück“ vom beruflichen Erfolg bestimmt wird.

Was bleibt den alten Menschen im modernen Vorstellungsbild

von erfülltem Leben? Der Konsum. Er wird uns als Glück schlechthin verkauft. Die Werbung hämmert es uns pausenlos ein: „Geld macht glücklich“, „Shopping macht hap-py“, „Ich genieße, also bin ich“, so lachen uns die Slogans von der Plakatwand entgegen.

Also stürzen sichvieleältete Menschen - soweit es die Ruhensbezüge erlauben - in das „Konsumglück“.

Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, daß das Nutzen dieser Möglichkeiten abzulehnen sei. Erfreulich, daß viele ältere Menschen heute selbständig und unternehmungslustig sein können.

Es erscheint mir nur bedenklich, wenn die Bedeutsamkeit des Alters für die Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit durch krampfhaftes Festhalten an den bisherigen Lebensprioritäten nicht zum Tragen kommt.

Wer sollte denn unseren hektischen Aktivismus, unsere Fixierung auf mehr und mehr Konsum, unser Hängen an Äußerlichkeiten relativieren, wenn nicht die alten Mitbürger? Denn das Alter bleibt jener Lebensabschnitt, in dem spätestens der moderne Lebensentwurf unbarmherzig auf die Probe seiner Tauglichkeit gestellt wird. In unserem Denken, das alles einer Kosten-Nutzen-Rechnung unterwirft, stellt sich unweigerlich einmal die

Frage nach dem Wert des verbleibenden Lebens. Und die Antwort ist negativ und grausam, wenn man die Pensions- und Gesundheitskosten, dem „gesellschaftlichen Nutzen „gegenüberstellt, wenn Hilfsbedürftigkeit die Umgebung „belastet“, wenn Lebenserhaltung nicht zur Wiederherstellung der Gesundheit führt, wenn sich die Frage nach dem Tod nicht mehr verdrängen läßt.

Dann gilt es Farbe zu bekennen. Hat das Leben jedes Menschen einen unbedingten Wert ? Die vielen Diskussionen über Sterbehilfe beweisen, wie anfällig wir bereits für menschenfeindliche Antworten geworden sind.

Alte Menschen hätten die wichtige Aufgabe, erfahrbar zu machen, daß der Sinn des Lebens jenseits jeder Nützlichkeit, jenseits jeder Aktivität, vielmehr in der Dankbarkeit für das Geschenk des Lebens liegt, in der Gelassenheit gegenüber der Aussicht des Todes, wohl wissend, daß unser gesamtes Leben - im Diesseits wie im Jenseits - in Gottes Hand liegt.

Zu einer solchen Haltung zu finden, wäre eigentlich nicht nur Aufgabe der alten Menschen. Im Grund genommen ist jeder dazu herausgefordert. So gesehen sollte man möglichst früh damit beginnen, sich auf die Pension vorzubereiten. Am besten heute.

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