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Das Altern vorbereiten

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In der Mitte des Lebens sollte sich der Mensch die A ufgabe stellen, sich der einerseits gewachsenen, andererseits geschwundenen Kräfte bewußt zu werden und Lebensziele neu zu bestimmen. Bilanzierung auf der Basis von Selbstkritik ist fundamental für den Menschen der zweiten Lebenshälfte, besonders dann, wenn Wandlungsprozesse die Gesellschaft, ihre Strukturen und Werte einschneidend verändern.

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In der Mitte des Lebens sollte sich der Mensch die A ufgabe stellen, sich der einerseits gewachsenen, andererseits geschwundenen Kräfte bewußt zu werden und Lebensziele neu zu bestimmen. Bilanzierung auf der Basis von Selbstkritik ist fundamental für den Menschen der zweiten Lebenshälfte, besonders dann, wenn Wandlungsprozesse die Gesellschaft, ihre Strukturen und Werte einschneidend verändern.

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Daß der einzelne sich Tür eine solche „Bestandsaufnahme” in den Blick bekommen kann, ist die heikle, noch wenig grundlegend durchdachte Aufgabe mancher Initiativen heute, die sich „Altersvorbereitung” nennen. In einer Gesellschaft, in der Altern Massenschicksal geworden ist, haben solche Bemühungen jedoch auch bedeutende soziale Aufgaben anzupeilen.

Für die „Vorbereitung auf die Problembewältigung im fortgeschrittenen Alter” (wie ich statt Vorbereitung auf das Alter formulieren möchte) erachte ich auch eine Verstärkung und Verfeinerung der von der Gesellschaft angebotenen Chancen, der Dienste und Hil-

„Für eine humane Entwicklungstheorie in der , zweiten Lebenshälfte ist entscheidend, daß sie . . .zu Wandlungen . . . befähigt. Leben heißt nämlich, sich erneuern zu können.”' fen, als notwendig. Dies müßte allerdings so erfolgen, daß jeder seinen eigenen Stil des Älterwerdens erstens entdecken und auch prinzipiell mitbestimmen kann.

„Altersvorbereitung” sollte nicht, wie viele andere Initiativen, darin münden, daß aus einem unspezifischen Angebot von human- und sozialwissenschaftlichen Akademikern rasch eine neue professionalisierte Sparte von „Altersvorbereitern” mit fixen Programmen entsteht, statt daß Herausforderungen1 und Chancen zur Selbstgestaltung geschaffen werden.

Damit Hilfe nicht Bevormundung bedeutet, Kurse und Seminare nicht Altersstereotypen durch psychologische Fließbandarbeit produzieren, ist die innere Problematik der Bemühungen um „Altersvorbereitung” kritisch aufzurollen, bis zu den Fragen der Durchführung der Lehrgänge und Seminare und der Qualifikation derer, die daran arbeiten.

Neue Modelle der Aiternstheorie werden sehr komplexer Art sein müssen und über die Alternative: entweder sozialer Rückzug („Disengagement”) oder „Aktivität” hinauszugehen haben.

Denn aktiv zu sein und sich ändern zu können, ist mitnichten identisch. Wandlungsfähigkeit ist aber wichtig, weil sie eine Voraussetzung für soziale und kulturelle Teilnahme ist.

Aktivität ist nur eine von mehreren notwendigen, keine zureichende Bedingung für Änderungsfähigkeit. Im Gegenteil: Änderung setzt Reflexion und damit auch Distanz und Aktivitätspausen voraus. Aktivität kann eine unbewußte Strategie zur Vermeidung notwendiger Änderungen sein.

Für eine humane Entwicklungstheorie in der zweiten Lebenshälfte ist entscheidend, daß sie sowohl auf Kriterien der Selbstbestimmung beruht, als auch zu Wandlungen, das heißt zu neuen Lösungsversuchen, befähigt. Leben heißt nämlich, sich erneuern zu können.

Grundsätzlich muß auch gelten: Was die Gesellschaft nicht generell und dem Menschen im Verlauf des ganzen Lebens bietet, kann nur schwer durch spezielle Institutionalisierung für die Alten kompensiert werden. Auch insofern ist das Altersproblem eines des gesamtgesellschaftlichen Bewußtseins und allgemeiner gesellschaftspolitischer Verantwortung.

Für die Vorbereitung auf die Problembewältigung im höheren Alter möchte ich drei Aufgabenbereiche unterscheiden:

1. Die Einleitung einer Auseinandersetzung mit sich selbst,

2. die Entfaltung eines gesellschaftlichen Bewußtseins von den Aiternsprozessen,

3. den Ausbau spezieller und konkreter Lebenshilfen.

1. Die Auseinandersetzung mit sich selber: Sie ist eine existentielle Aufgabe, darf jedoch nicht rein individualistisch mißverstanden werden. Die Bearbeitung der Probleme des bewußten und handelnden Subjekts schließt die' Auseinandersetzung mit den Schlüsselproblemen in den Beziehungen zu den eigenen Eltern, zu Kindern oder Enkelkindern, also zu mehreren Generationen, ein.

Vieles, was man im mittleren Lebensalter an Beziehungsbearbeitung mit den eigenen, oft schon hochbetagten Eltern gegenüber leistet, kann man für die Einstellungen den eigenen Kindern gegenüber gewinnen.

Wenn eine Frau im vorgeschrittenen mittleren Alter von ihrer hochbetagten Mutter abhängig bleibt, so ist es zweifelhaft, ob und wie sie ihren erwachsenen und etwa selber schon verheirateten Kindern die Möglichkeit geben kann, ein neues „nachkindliches” Verhältnis zu ihr zu gewinnen. Auseinandersetzung mit sich selbst muß also stets in einem sozialen Rahmen gesehen werden.

Die Forderung nach einer existentiellen Auseinandersetzung mit sich selber muß sich jedoch auch auf einen durchdachten Selbstbegriff stützen können, was aber hier nicht ausgeführt werden kann.

Zu ihm gehören die Selbstgestaltung und deren Revision, die Auseinandersetzung mit Anerkennung und Ablehnung in Beruf und Arbeitswelt. Zum Selbst gehört die Gestaltungsfähigkeit von Beziehungen. Liebesfähigkeit und moralische Kapazität sind Kräfte einer „Auseinandersetzung mit sich selbst”.

2. Die Entfaltung eines gesellschaftlichen Bewußtseins von den Aiternsprozessen: Während die Auseinandersetzung mit den eigenen existentiellen Fragen des höheren Alters vorwiegend in der zweiten Lebenshälfte vor sich gehen muß, ist für die Schaffung eines gesellschaftlichen Bewußtseins der ganze Lebenslauf in Betracht zu ziehen.

Hier haben Schule und Familie die wichtigen Aufgaben, Stereotype und Vorurteile über das Alter aufzulösen, Erwachsenenbildung und Medien müßten von verschiedenen Ausgangspunkten her ein Bewußtsein davon schaffen, daß es individuell sehr verschieden sich ausformende allgemeine Probleme ökonomischer, medizinischer und rechtlicher Art sind, in die der einzelne gerät. Die persönliche Bewältigung muß dann nicht bloß in der Einsamkeit einer Auseinandersetzung mit sich selbst vor sich gehen, sondern ist gesellschaftlich abgestützt.

3. Der Ausbau von Lebenshilfen: Spezielle und konkrete Lebenshilfe kann sich in Selbsterfahrungsgruppen heranbilden, in Lebensgemeinschaften, im Freundeskreis und in festeren Gruppen, die in Religionsgemeinschaften auf tiefer wechselseitiger Anteilnahme beruhen.

Lebenshilfe kann aber auch durch

Hinweise und Anregungen in Seminaren und Kursen verschiedener Art vermittelt oder zumindest eingeleitet werden. Schon aus der Verschiedenartigkeit der angedeuteten sozialen Netzwerke wird deutlich, daß es sich hier um ein Konglomerat von Bedürfnissen handelt, denen Angebote zur Erfüllung in nur sehr verschiedenartig institutionalisierbarer Form gegenübergestellt werden können.

Gemeinsam dürfte für diese Angebote jedoch zutreffen, daß sie nicht erst wenige Wochen oder Monate vor der Pensionierung erfolgen sollten. Grundsätzlich dürfte gelten: je früher sie einsetzen, je mehr sie in das Selbst integrierbar sind, also persönliche Motivation herausfordern, Verdrängungen aufheben, je mehr sie durch emotionale Gruppenbeziehungen gestützt sind, desto eher können diese Angebote wirksam werden.

Inhaltlich gesehen sind folgende Fragenkreise zu behandeln: rechtliche, die sich auf Pensions- und Sozialversicherungsprobleme beziehen; Probleme der

,,Dabei ist. . . zu bedenken, daß keineswegs immer der Begriff der

.Altersvorbereitung'. . . wünschenswert ist, weil er Negativreaktionen hervorruft.”

Wohnungswahl und -gestaltung, für die einerseits die Sozialbeziehungen, besonders Verwandtschafts- und Freundschaftshetzwerke zu berücksichtigen wären, und die zum anderen auf sich ändernde gesundheitliche Kapazitäten und Bedürfnisse hin zu orientieren sind.

Dazu zählen Fragen der Alltagsbewältigung wie die der Beheizung, der sanitären Einrichtungen, aber auch der Neudimensionierung der Wohnungsgröße. Zentrale Stellung gebührt dem Bereich der gesundheitlichen Prophylaxe und Rehabilitation. Hiezu gehören entsprechende Formen von Gymnastik, gezielte Änderung von Ernährungsgewohnheiten usw. Zur Prophylaxe gehört auch, sich in Auseinandersetzung mit dem Arzt und mit den eigenen Lebensgewohnheiten eine genaue Kenntnis seiner eigenen Probleme anzueignen. Eine große Gefahr liegt im Abschieben eines realistischen Verhältnisses zum eigenen Körper, das Verdrängen der Einsicht in dessen Veränderungen. Verschiedene Arten von Kuren, von Urlaubs- und Freizeitplanung und -gestaltung können die Neuorientierung von bloß kurativer zu prophylaktischer und rehabilitativer Medizin unterstützen.

Aus all dem ergibt sich, daß - von den Problemen der „Altersvorbereitung” her gesehen - die Grenzen zwischen Gesundheits-, Sozial- und Bildungspolitik flexibler gezogen werden müssen bzw. die wechselseitige Unterstützung von Maßnahmen und Einrichtungen dringend nötig ist.

Eine einzige, allumfassende Antwort auf die Frage: „Was ist eigentlich die Altersvorbereitung?” kann es allerdings nicht geben. Es sind qualitativ verschiedene Themen, denen auch verschiedene Methoden und Vermittlungsformen entsprechen müssen.

Dabei ist schließlich zu bedenken, daß keineswegs immer der Begriff der „Altersvorbereitung” in wenn auch kritisch differenzierter Form wünschenswert ist, weil er Negativreaktionen bei vielen Menschen hervorruft. Ehe sie sich noch damit beschäftigt haben, mag bei ihnen das Gefühl vorherrschen, sie seien vom Alter noch viel zu weit entfernt .'..

(Univ.-Prof. Dr. Leopold Rosenmayr ist Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Sozialgerontologie und Lebenslaufforschung und Professor für Soziologie an der Universität Wien.)

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