6978017-1986_01_04.jpg
Digital In Arbeit

Das Antlitz des Bruders

Werbung
Werbung
Werbung

Slowenen, so lautet die allgemeine Annahme, sind in Kärnten eine nationale Splittergruppe, kleine Bauern, ländliche Kleinbürger, sangesfreudig, arbeitsam und gelegentlich wegen ihres Selbstbehauptungswillens auch eine lästige Verlegenheit, wenn nicht sogar mehr.

Daß sie auch—und schon von alter sher! — Maler, Musiker und Dichter sind, und dies alles von hohen Graden, wird durch die eben erschienene Anthologie „Slovenska beseda na Koroskem" („Das slowenische Wort in Kärnten") jedermann zugänglich dokumentiert.

Die slowenische Literatur hat es schwer, überhaupt und besonders in Kärnten. Uberhaupt, weil die Teilrepublik Slowenien in der Jugoslawischen Föderation nur rund 2,2 Millionen Einwohner hat. Buchauflagen in slowenischer Sprache sind daher auf ein geringes Verbreitungsgebiet und in aller Regel auf große finanzielle Förderung angewiesen.

In Kärnten, weil die seit Beginn des 20. Jahrhunderts durch stillen Assimilationsdruck, durch Gewalt und anderes klein gewordene Volksgruppe im Grunde überhaupt keine kommerzielle Basis hergibt.

Stellt man dies in Rechnung, so ist das Ergebnis des vorliegenden Bandes geradezu üppig. Ganz besonders, was etwa die jüngsten dreißig bis vierzig Jahre betrifft, wo sich dank des Slowenischen Gymnasiums in Klagenfurt eine eigene Intelligenzia entwickelt hat, die zusammen mit anderen Keimlingen eine reichhaltige, moderne Literatur (Lyrik, Essay, epische Werke) hervorbringt, die jeden Vergleich besteht.

Unvergleichlich hingegen ist die sehr ernste, von mannigfaltigen Schicksalsschlägen gezeichnete Stimmung dieser Literatur, die den deutschsprachigen Kärntner (und Österreicher) wahrscheinlich besser über Charakter, Erfahrung und das Leben auf der „anderen Seite" unterrichtet, als es die in dieser Hinsicht ohnedies äußerst schweigsamen Geschichtsbücher je könnten.

Auffallend — und in seiner Not-Wendigkeit wohl ein Vorteil - der Umstand, daß slowenische Dichter slowenische Dichtung in die deutsche Sprache übersetzen; alle Beiträge zu diesem Almanach sind zweisprachig wiedergegeben.

Informativ und mit großem Bemühen, die Sache wissenschaft-

lich-objektiv darzustellen, die Einleitung der drei Kapitel „Vom frühen Mittelalter bis zur Barockzeit", „Vom Ende der Gegenreformation bis zum Ende des Ersten Weltkrieges", „Die Literatur der Kärntner Slowenen von 1918 bis zur Gegenwart".

Der aufmerksame und aufgeschlossene Leser wird hellsichtig erkennen, daß das slowenische Wort aus dem literarischen Wortschatz Kärntens ebensowenig wegzudenken ist wie das deutsche. Fehlt eines von beiden, sinkt Kärnten zusammen, weil dessen literarische Kultur stets zwei Dimensionen hat: eine deutsche und eine slowenische, darin ganz nahe verwandt der aus Kärnten stammenden Musik, die es in ihrer Eigenheit nicht mehr gäbe, zöge man einen der beiden Ströme ab.

Ganz besonders möchte man allen jenen den Band zur Lektüre empfehlen, die jetzt wieder einmal über die Schulsprachen-Verordnung zu entscheiden haben. Es könnte ihnen dabei helfen, das Antlitz des Bruders zu erkennen.

SLOVENSKA BESEDA NA KOROSKEM. Das slowenische Wort in Kärnten. Schrifttum und Dichtung von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hrsg. von Reginald Vospernik, Pavle Zablatnik und Florjan Lipuä. Österreichischer Bundesverlag, Wien 1985.576 Seiten, Ln., öS 350,-.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung