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Das Asyl nur mit Visum

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Europa wächst zusammen. Men­schen werden nicht mehr durch Krieg und Hunger vertrieben. Die Binnengrenzen zwischen den Staa­ten der Europäischen Gemeinschaft sollen nach der Einführung des Binnenmarktes ab 1992 nicht nur für die Waren, sondern auch für die Menschen fallen.

Frankreich, die Bundesrepublik Deutschland sowie Belgien, die Nie­derlande und Luxemburg ging dieser Prozeß zu langsam. 1985 unter­zeichneten diese fünf Staaten im kleinen holländischen Ort Schen­gen ein Abkommen, das vorsah, bis 1. Jänner 1990 die Grenzkontrollen zwischen den Vertragspartnern abzubauen. Doch die nationalen Polizeien, insbesondere die bundes­deutsche, konnten sich damit nicht anfreunden. Ein „Sicherheitsver­lust" wurde beklagt, das Europa der offenen Grenzen werde zum „Mekka der Kriminellen".

„Ausgleichsmaßnahmen" wur­den urgiert. Die Öffnung der Bin­nengrenzen wurde verschoben, um in einem Zusatzabkommen die Probleme zu lösen. Heuer war es im Juni soweit. In Schengen wurde das Zusatzabkommen doch noch un­terzeichnet, nachdem die Vereini­gung Deutschlands für weitere Verzögerungen sorgte.

Wenn die Binnengrenzen fallen, können sich zwischen den „Schen-gener-Staaten" alle Menschen frei bewegen. Dies läßt sich auch für jene Menschen nicht verhindern, die von außen einreisen, sei es als Besucher oder als Asyl- und Ar­beitssuchende. Deshalb schreibt das Abkommen eine gemeinsame Visa-und Asylpolitik vor. Den Schenge­ner Staaten wäre es recht, schloße sich die EG ihrem Vorbild an. In diesem Sinne sei nun als Szenario dargestellt, was das Schengener-Abkommen auf ganz Europa ange­wandt für jene Menschen bedeuten könnte, die im Europa der Zukunft Asyl und Arbeit suchen.

• Flüchtlinge können nur noch in einem einzigen Land einen Asylan­trag stellen. Wird ihr Antrag abge­lehnt, so gilt diese Ablehnung gleich für ganz Europa. Das Schengener-Abkommen regelt genau, welches Land für den Asylantrag zuständig ist: Zuständig ist jenes Land, das als erstes eine Einreisegenehmigung gegeben hat oder, im Falle einer illegalen Einreise, jenes Land, durch dessen Grenzkontrolle der Flücht­ling geschlüpft ist.

• Die Visapflicht wird vereinheit­licht und muß von allen Staaten des Abkommens angewandt werden. Die Liste der Länder", deren Bürger ein Visum brauchen, umfaßt der­zeit schon über 100 Staaten. •Wird ein Asylansuchen abgelehnt oder ein illegal Einreisender aufge­griffen, so „trägt der Staat, auf dessen Gebiet er angetroffen wor­den ist, die Verantwortung für die Entfernung".

• Transportunternehmen werden verpflichtet, nur noch Menschen mit gültigen Einreisepapieren zu be­fördern. Flüchtlinge ohne gültige Einreisepapiere müssen vom Trans­portunternehmen auf eigene Ko­sten in das Ursprungsland der Flüchtenden zurückgebracht wer­den. So werden Transportunterneh­men, insbesondere Fluglinien, ge­zwungen, sozusagen als Vorposten der europäischen Grenzbehörden die Einreisepapiere der Flüchtlin­ge zu prüfen.

• Intensiver automatisierter Da­tenaustausch soll alle Schlupflö­cher stopfen. Das Schengener In­formationssystem speichert zentral die Daten aller Flüchtlinge und Asylsuchenden. Diese Daten kön­nen in Sekundenschnelle von den Behörden in ganz Europa abgeru­fen werden. Zur leichteren Kon­trolle werden Asylsuchende mit einem einheitlichen, maschinenles­baren Ausweis ausgestattet.

• Der Asylsuchende muß sich Eu­ropa-würdig erweisen: „Der Ausänder darf nicht im Verdacht ste­hen, eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die nationale Sicherheit oder die internationalen Beziehun­gen eines der Vertragsstaten zu sein." Da keine Beweise nötig sind, läßt sich bald ein Ablehnungsgrund finden. Wenn die Türkei EG-Mit­glied ist, haben Kurden keine Chan­ce mehr, auch wenn sie daheim zu Tausenden niedergemetzelt wer­den.

Die Genfer Flüchtlingskonven­tion und Resolutionen der UNO werden ignoriert. Das Recht des Flüchtlings, sich das Land auszu­suchen, in dem er seinen Asylan­trag stellt, wird ebenso verleugnet, wie das Recht, mehrere Anträge zu stellen. Das Recht, im potentiellen Auf nahmeland einen Asylantrag zu stellen, besteht formal noch. Was nützt es aber, wenn der Flüchtling ein gültiges Visum braucht, bevor er nach Europa flüchten darf? In Ländern, die ihre Bürger/Minder­heiten unterdrücken und nicht aus­reisen lassen, ist dies unmöglich bis lebensgefährlich. Wer in akuter Not

flüchtet, hat weder Zeit noch Geld, in die Hauptstadt seines Landes zu reisen, um sich mit den Bürokra­tien der Botschaften herumzuschla­gen.

Die Kontrolle der Außengrenzen wird verstärkt werden, um nicht für illegal Einreisende zuständig ' sein zu müssen. Jene Staaten, die an der Außengrenze liegen (Spa­nien, Italien, Türkei - falls sie EG-Mitglied wird), werden die größte Last tragen.

Ungarn, das EG-Mitglied wer­den will, macht neuerdings vorsorg­lich schon „Aktion scharf" gegen Flüchtlinge und Einwanderer. Auch Österreich zieht mit und hat mit der restriktiven Regelung gegen Flugunternehmen erreicht, daß über Schwechat keine Flüchtlinge mehr Österreich erreichen.

Das Schengener Abkommen auf ganz Europa angewandt würde ein Abschotten des reichen Europa gegen den armen Süden bedeuten. Bürokraten erfüllen bloß ihre Pflicht, Millionen von Menschen bleiben auf der Strecke.

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