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Das Aufreißmekka

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Besuchern der Olympischen Spiele in München wurde einmal mehr die peinliche Konzeptlosigkeit der Wiener Stadtverwaltung mit besonderer Deutlichkeit vor Augen geführt. War es nicht gerade München, das mit ähnlichen verkehrstechnischen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, wo mit Straßenbahnen nicht mehr das Auslangen gefunden werden konnte und schließlich der Bau einer U-Bahn beschlossen wurde?

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Besuchern der Olympischen Spiele in München wurde einmal mehr die peinliche Konzeptlosigkeit der Wiener Stadtverwaltung mit besonderer Deutlichkeit vor Augen geführt. War es nicht gerade München, das mit ähnlichen verkehrstechnischen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, wo mit Straßenbahnen nicht mehr das Auslangen gefunden werden konnte und schließlich der Bau einer U-Bahn beschlossen wurde?

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Verkehrstechnische Notwendigkeiten, die in anderen Großstädten schon vor Jahren als Selbstverständlichkeiten angesehen wurden, werden in Wien entweder als interessante Experimente totdiskutiert oder aber als Zukunftsmusik abqualifiziert.

Nur so ist es verständlich, daß sich das Verkehrsgeschehen in Wien heute immer noch grundsätzlich nur auf einer Ebene abspielen muß. Untergrund (beziehungsweise Hoch-) bahnpläne wurden erst viel zu spät „in Erwägung gezogen“; Tiefgaragen, Unterführungen, Parkhäuser usw. sind unseren Stadtvätern immer noch suspekt. Nicht zuletzt auch deshalb, da es für die Bundeshauptstadt noch immer kein umfassendes Verkehrsplanungskonzept gibt. Es fehlt die Abstimmung der verschiedenen Verkehrsbetriebe untereinander (Wiener Verkehrsbetriebe, ÖBB, Post, private Linien); ein umfassendes Ausbauprogramm für ein Verkehrswegesystem ist noch immer ausständig.

Überdies sind auch noch die Verkehrskompetenzen im Bereich der Wiener Stadtverwaltung auf vier Geschäftsgruppen verteilt. Kein Wunder, daß der Verkehrsfleckerlteppich von Tag zu Tag um einige „Gustostückerln“ bereichert wird.

Daß Wien die Stadt mit dem umfangreichsten Straßenbahnbetrieb der Welt ist, ist wohl der traurigste Rekord unserer Stadtväter. Nicht nur, daß mit der Planung für eine U-Bahn zu spät begonnen wurde, gleichzeitig wurde auch die Straßenbahn zur extremen Unattraktivität herunteradministriert.

Mit zunehmendem Chaos konnte sich auch die SPÖ im Wiener Gemeinderat nicht mehr länger einem U-Bahn-Projekt widersetzen. Die ehemalige U-Bahn-Feindlichkeit schlug in konfuse Betriebsamkeit um; die Folge waren teure Fehlplanungen, Fehlinvestitionen (z. B. im Bereich Karlsplatz und Praterstern) sowie Verzögerungen (während im Ausland 2,5 bis 4,5 km Bauleistung pro Jahr normal sind, schafft Wien nur zirka 1 km U-Bahn-Strecke im Jahr).

Die Schnellbahn, die sich zunehmender Beliebtheit erfreut, wird nicht weiter ausgebaut, obwohl eine Erweiterung nach Schwechat sowie ein Ast nach Stadlau von höchster Dringlichkeit sind. Anstatt die Linienführung über die Stadtgrenzen zu erweitern, werden Linien gekappt. Die Unterversorgung des 21. und 22. Bezirks mit Massenverkehrsmitteln zwingt die Bewohner geradezu zur Anschaffung eines eigenen Pkw.

Im Bereich Individualverkehr findet sich jedoch leider die gleiche Konzeptlosigkeit und Vernachlässigung wie bei den Massenverkehrsmitteln.

Wichtige Regionalverbindungen (z. B. Flughafenautobahn) fehlen, mangelhafte Bauausführungen und schlecht koordinierte Aufgrabungs-arbeiten machen Wien zum Umleitungsmekka (schadhafte Fahrbahnbeläge z. B. auf Teilen der Nordautobahn und der Gürtelautobahn), Einrichtung inkonsequenter und oft unüberlegter Einbahnsysteme, nicht synchron geschaltete Ampelsteuerung, zu wenige Vorrangstraßen, widersprüchliche Planungsabsichten (z. B. Gürtelautobahn und Donaukanalschnellstraße) runden das Bild ab.

Daß alle diese Unzulänglichkeiten jedoch nicht in fehlenden finanziielien Mitteln ihre Ursache haben, beweisen die Einnahmen Wiens aus der Mineralölsteuer (siehe Tabelle). Die Tatsache, daß seit Jahren zweckgebundene Mittel „umgewidmet“ werden, läßt die Wiener Straßenplanung als ausgewachsenen Skandal erscheinen. Geradezu grotesk wird es aber, wenn man bedenkt, daß der Bund seit 1964 der Stadt Wien steigende Zusicherungen für Autobahnen und Bundesstnaßen einräumte; von diesen Mitteln ließ man im Rathaus einfach 22,88 Prozent, das sind 450,2 Millionen Schilling unausge-nützt — sie sind daher verfallen!

Vergleicht man, was deutsche schweizerische und österreichische Städte pro Kopf ihrer Einwohner für den Straßenbau ausgeben, so ergeben sich deprimierende Zahlen:

Villach: 1359, Düsseldorf: 1088, Zürich: 1072, Hamburg: 1051, München: 732, Klagenfurt: 563, Linz: 293, Innsbruck: 279, Wien: 218 Schilling.

Das sind alles andere als europareife Zahlen für eine Stadt, die immerhin schon 1980 die Vollmotorisierung (ein Pkw auf drei Einwohner) erreicht haben wird.

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