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Das Ballett als Dialog

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Ab Herbst 1993 wird die Engländerin Anne Woolliams (gemeinsam mit ihrem Gatten Jan Strip-ling) für das Wiener Staatsopernballett verantwortlich sein. 55 Abende sollen für Choreographien Arrivierter und begabter Nachwuchskünstler zur Verfügung stehen.

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Ab Herbst 1993 wird die Engländerin Anne Woolliams (gemeinsam mit ihrem Gatten Jan Strip-ling) für das Wiener Staatsopernballett verantwortlich sein. 55 Abende sollen für Choreographien Arrivierter und begabter Nachwuchskünstler zur Verfügung stehen.

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FURCHE: Mrs. Woolliams, mit welchem Gefühl sind Sie nach Österreich gegangen?

ANNE WOOLLIAMS: Ich würde sagen, erwartungsvoll. Ich habe schon zweimal an diesem Haus gearbeitet. Die Zukunft ist immer etwas Aufregendes! Man hofft das Beste. Ich bin nicht so naiv zu glauben, daß es ohne kleinere Probleme abgehen wird. So ist eben das Leben und ich bin gerüstet um diese Probleme zu meistern. Ich freue mich schon sehr, hier ab September mit der Arbeit beginnen zu können.

FURCHE: Viele berühmte Tänzer der Gegenwart kamen aus der Sowjetunion. Glauben Sie, daß - da Tanz auch Ausdruck des Inneren ist - solche Begabungen etwas mit der nationalen Herkunft zu tun haben?

WOOLLIAMS: Sicher. Ich meine, niemand wiederholt sich. Keiner wird mehr ein Nurejew oder ein Bary-schnikow werden, dies waren oder sind weltberühmte Tänzer. Aber warum sollte es nicht auch in Zukunft berühmte Tänzer geben? Ich bin persönlich nicht davon überzeugt, daß die Russen die besten Tänzer sind. Nicht, daß sie nicht gut wären - sie sind phantastische Tänzer - aber es gibt sehr gute Tänzer auch in anderen Ländern; etwa die Dänen, die Australier, die Amerikaner, die Engländer und die Deutschen. Überall in der Welt gibt es ausgezeichnete Tänzer. Ich habe eine These: Der Tanz gehört der Welt und so sollte man es auch sehen.

In Rußland hatte man eine gute Ausbildung an den Ballettschulen. Jetzt ist in Rußland eine schwere Zeit und natürlich ist es auch für die Tänzer nicht einfach. Aber ich glaube nicht, daß der Tanz den Russen gehört. Ballett, wie wir es kennen, ist aus Italien über Frankreich nach Dänemark gekommen und danach nach Rußland und zurück in den Westen nach Amerika. Ballett war immer Bewegung und sollte es auch sein und bleiben. Es sollte nie nur auf ein Land konzentriert sein.

FURCHE: Das Staatsopernballett hat eine lange tänzerische Tradition hinter sich. Werden Sie der klassischen Linie treu bleiben oder werden Sie neue Wege gehen?

WOLLIAMS: Ich werde immer dem klassischen Ballett treu bleiben, weil ich glaube, daß es unser Ursprung ist. Aber klassisches Ballett sollte nicht museumsreif werden, an einem Punkt stehen bleiben. Ich bin sehr an neuen Choreographien interessiert und auch an der Weiterentwicklung, aber das klassische Ballett sollte im Grunde klassisch bleiben.

FURCHE: Die Österreicher sind dem Neuen gegenüber oft kritisch eingestellt. Was halten Sie von modernem Tanztheater und käme solch eine Veränderung für Wien in Frage?

WOOLLIAMS: Wir müssen unterscheiden: Es gibt gutes und schlechtes Tanztheater. Tanztheater ist relativ und jeder hat eine andere Idee, was Tanztheater überhaupt bedeutet. Ich habe das Gefühl, wenn man klassisches Ballett bringt, sollte man nicht daran herumfeilen und dieses oder jenes ändern. Man sollte es belassen, wie es ist. Jedes Stück spielt in einer gewissen Zeit und das hat man zu respektieren.

Ich finde, es kommt auf die Tänzer an. Tänzer müssen glauben was sie tanzen. Die Rollen müssen gelebt werden. Das klassische Ballett wird unter meiner Führung weiterhin ein wichtiger Bestandteil an der Wiener Staatsoper sein, aber ich bin Neuem gegenüber selbstverständlich aufgeschlossen. Für meine Begriffe ist die Bühne der Wiener Staatsoper möglicherweise für Tanztheater nicht geeignet. Ich bin überzeugt, daß man andere Häuser in Wien finden kann, die eher dafür passen. Tanztheater sollte man aus der Nähe erleben, dies wäre von der Größe der Bühnen an der Oper schon nicht möglich. Außerdem, warum sollte unser Ballett nur an der Staatsoper tanzen? Ich könnte mir beispielsweise die Wiener Seces-sion gut als Spielort vorstellen.

FURCHE: Welche persönlichen Wünsche haben Sie für Ihre Zeit in Wien?

WOOLLIAMS: Daß es eine erfolgreiche Zeit wird, daß alles funktioniert. Ich möchte, daß die Vorstellungen am Theater als Dialog mit dem Publikum und vom Publikum zurück mit dem Ballett gesehen werden. Das bringt nicht einseitiges Geben, sondern auch kritisches Nehmen mit sich. Ohne Publikum kann das nicht funktionieren. Es gibt beim Ballett ebensolche feinen Details wie beispielsweise in der Malerei. Und diese Details möchte ich dem Publikum verständlich machen. Außerdem möchte ich eine Einheit in der Kompanie herstellen, nicht der einzelne Tänzer ist wichtig, sondern wirklich eine interne Einheit. Tänzer müssen hart arbeiten und sie sollen das Gefühl haben, zu einem Team zu gehören und in der Sache eine Zukunft sehen. Wenn intern

Einheit besteht, geht diese positive Ausstrahlung auf das Publikum über und ich hoffe auch auf die Medien.

Mit Anne Woolliams sprach Doris Schleifer-Höderl.

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