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Das Beste aus Elb-Florenz

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Unter den Ausstellungssensationen, die Europa zur Zeit zu bieten hat, gibt es sicher Spektakuläreres. Da werden keine Steinkolosse und keine „größten Bilder der Welt“ gezeigt, da prunken keine Goldschätze und Edelsteine. Da überwältigt auch nicht die Masse der Objekte. „Nur“ 188 Zeichnungen und Aquarelle, penibel Ausgeführtes und mit lockerem Strich Skizziertes, füllen die Säle der Wiener Albertina. Oft nicht sehr große Blätter, manches auf den ersten Blick fast unscheinbar. Und doch wird man Vergleichbares nicht häufig finden. Denn das Dresdner Kupferstichkabinett hat da seine kostbarsten Zeichnungen und Aquarelle, Meisterwerke des 15. bis 20. Jahrhunderts, aus den Tresoren geholt und nach Wien geschickt. Und die Wiener Albertina stellte diesen zum Teil einzigartigen Schätzen ebenso-viele Kostbarkeiten aus ihren Beständen gegenüber. Das Ergebnis: Einige der kostbarsten Zeichnungen, die es gibt, hängen da nebeneinander. Unvergleichliche Arbeiten von Jan van Eyck, Lucas Cranach, Dürer, Brue-ghel, Raffael, Michelangelo, Rem-brandt bis herauf zu Klimt, Schiele, Kokoschka, Kubin.

Die Ausstellung „Das Dresdner Kupferstichkabinett und die Wiener Albertina“ ist also eine Schau der Superlative. Und sie ist es unter vielen Blickwinkeln. Denn bisher war es im internationalen Ausstellungsbetrieb üblich, bloß zu dokumentieren, was bei einem Zuhause gut und teuer ist. Hier wird ein neuer Weg versucht. Das Sammelgebiet der beiden einander sehr ähnlichen, ja sogar miteinander verwandten Kollektionen machte direkte Gegenüberstellungen möglich: Raffaels Aktstudien für die „Seeschlacht bei Ostia“ in der Albertina kann zum Beispiel die Dresdner Sammlung Lefebvres prächtige Kopie dieses Raffael-Blattes entgegenstellen. Bei manchen Zeichnungen konnte man überhaupt erst durch die Gegenüberstellung der verwandten Dresdner und Wiener Blätter da oder dort die Echtheit bestätigen. Oder auch die Unechtheit wie im Fall eines Wiener „Salute“-Blattes Guardis, das sich neben der zeitlich und stilistisch eng verwandten Dresdner Skizze doch als Kopie erwies. Das heißt, nicht bloß der Betrachter hat seine Freude dran, einmal den Werdegang eines Gemäldes von der Skizze her verfolgen zu können, auch die Wissenschaft hat ihren Profit: Blatt gegen Blatt lassen sich leichter Schlüsse ziehen, Zuschrei-bungen prüfen, Kopien erkennen. Ganz abgesehen davon, daß hier erstmals „getrennte“ Kunstwerke wieder zusammenkamen: wie etwa Eycks und Cranachs Zeichnung von Luthers Vater (und das zugehörige Wartburg-Bild).

Zentrum dieser gewaltigen Bilanz europäischer Zeichenkunst ist allerdings doch Jan van Eycks „Kardinal Albergati“-Silberstiftzeichnung: Vermutlich 1431 abgenommen (1432 muß das Wiener Gemälde entstanden sein), ist dies die einzige gesicherte van-Eyck-Zeichnung und die einzige der Vor-Dürer-Zeit, zu der auch das zugehörige Gemälde erhalten ist. Ein Schlüsselwerk europäischer Porträte zeichenkunst also.

Abgesehen von den bald subtilen, ungemein zarten, dann wieder aggressiv hingeworfenen Blättern, den zum Teil penibel ausgeführten Aquarellen der Italiener, Franzosen, Deutschen und Niederländer, abgesehen von der erlesenen Qualität jedes einzelnen dieser Werke, von den großen Entdek-kungen, die man da allein fürs 19. Jahrhundert machen kann (Caspar David Friedrich, Ferdinand Olivier, Carl Philipp Fohr), sollte man nicht die engen Bande zwischen der Dresdner und Wiener Sammlung vergessen. Denn Herzog Albert von Sachsen-Te-schen, der die Wiener Albertina gründete und sicher zu den größten Kunstkennern nicht nur seines Jahrhunderts zu rechnen ist, ist der Sohn des sächsischen Kurfürsten Friedrich August II. Das heißt aber, als Kunstsammler und -kenner setzte er fort, was in Dresden seit August dem Starken bereits Tradition geworden war. Wobei 1738 in Dresden das erste umfassende Inventar des Salon d'Estam-pes mit seinen Zeichnungen und Druckwerken angelegt wurde: Raffael, Michelangelo, Dürer, Brueghel, Rembrandt, Rubens sind in diesem Katalog bereits vertreten. Der Sammelbazillus ist jedenfalls in Alberts Denken von Kindheit an wirksam gewesen. Und als er auf der Flucht vor der anstürmenden preußischen Armee aus Sachsen floh, in österreichischen Militärdienst trat und schließlich Kaiserin Maria Theresias Tochter Erzherzogin Christine heiratete, war der Gedanke an eine solche Sammlung wie die Albertina längst in seinem Kopf geboren - auch dank Christines Einfluß!

Nur mit einem Unterschied zu Alberts großen, kunstbesessenen Vorfahren: Förderten jene noch die Künste aus barockem Repräsentationsbedürfnis der Feudalaristokratie, so ging es ihm bereits um eine wissenschaftlich orientierte Sammlung, die entsprechend dem aufklärerischen Denken seiner Zeit dem Bürger zur geistigen Weiterbildung und Veredelung seines Denkens zugänglich sein sollte.

Daß die Austauschausstellung zwischen Dresden und Wien, die anschließend ins einstige Elb-Florenz der Sachsenkönige übersiedelt, einen neuen Ausstellungsstil demonstriert, wird hier jedenfalls allen klar. Vielleicht ließe sich mit mancher bedeutenden europäischen Sammlung ein ähnlich lebendiges und aussageträchtiges Zusammenspiel eröffnen.

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