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Das Brautkleid, nicht die Braut

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Im Rahmen einer Enquete am 9. November in Graz präsentierte eine Expertengruppe ihren Entwurf für eine neue steirische Landesverfassung. Grundtenor: Mehr Bürgerrechte.

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Im Rahmen einer Enquete am 9. November in Graz präsentierte eine Expertengruppe ihren Entwurf für eine neue steirische Landesverfassung. Grundtenor: Mehr Bürgerrechte.

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Theaterdonner ist nicht die rechte Begleitmusik für Reformarbeit. Ich kann mich auch nicht mit dem so drastischen Reden von Verfassungen als „Ruinen“ anfreunden, wie es Hans R. Klečats- ky bezüglich der Bundesverfassung und der — von durchaus anderen politischen Präferenzen als der ehemalige Justizminister der

ÖVP-Alleinregierung ausgehende — Berliner Politik-Professor Wolf-Dieter Narr ganz allgemein gegen die Verfassung der parlamentarischen Demokratie gerichtet (FURCHE 44/1983) getan haben.

Eine Verfassung muß — bildhaft gesprochen — ein der historischpolitischen Lage angepaßtes „Volumen“ haben, um den vorhandenen soziopolitischen Kräften Anteil an den gemeinsamen Entscheidungen zu geben. Es darf zu keinen „Gefäßstörungen“ des politischen Systems kommen.

Wenn Parteien Konflikte, Themen und Personen „übersehen“, dann laden sich die anderen Bereiche der Gesellschaft wieder mit Konflikt und Politik auf, melden sich neue Konflikt- und Politikbeteiligte zu Wort. Im letzten Vierteljahr hundert ist dies nun zunehmend auch in Österreich und in der Steiermark der Fall gewesen.

Die 1960 Wiederverlautbarte Steiermärkische Landesverfassung von 1926 ist mit Licht- und Schattenseiten der liberalen Systemkonstruktion verpflichtet und weist zum Beispiel keinerlei direktdemokratische Einrichtungen auf. Auch sie wurde vom Reformdruck der letzten Jahre erfaßt, der gerade in den österreichischen Ländern zu oft mutigen Neuschöpfungen führte (Kärnten, 1974, Niederösterreich, 1979, Burgenland, 1981).

All diese Verfassungsreformen der österreichischen Länder können auch im europäischen Vergleich durchaus bestehen. Neues föderalistisches Selbstbewußtsein ermunterte dazu, den Raum der „relativen Verfassungsautonomie“ der Bundesländer inhaltlich auszuschöpfen.

So kamen in den siebziger Jahren auch in der Steiermark Reformarbeiten in Gang, die im Amt der Steiermärkischen Landesregierung zum Entwurf vom 29. August 1982 zusammengefaßt wurden. Auf diesen Entwurf stützt sich auch die von „außen“ — also nicht aus Politik und Landesverwaltung — kommende Expertengruppe Christian Brünner/Wolf- gang Mantl/Dietmar Pauger/ Reinhard Rack.

Es gibt zwei Bereiche im offenen Spielraum der relativen Verfassungsautonomie, in denen weitergehende Innovationen möglich sind; hier haben auch die österreichischen Länder und der vorliegende Expertenentwurf neue Wege beschriften:

1. Einrichtungen der direkten Demokratie in der Gesetzgebung und der Partizipation in der Verwaltung, einschließlich und ganz besonders in der Gemeinde;

2. Kontrolleinrichtungen, namentlich auf dem Gebiete politi scher und finanzieller Kontrolle — es sei bei dieser Gelegenheit an die steirische Initialzündung der Installierung des Landesrechnungshofes (1982) erinnert.

Stehen in der Verfassungstradition heißt in Österreich, daß der Expertenentwurf sich einem juristischen Verfassungsverständnis verpflichtet weiß, das Verfassung in nüchterner Technizität als oberste Rechtserzeugungsregel, als Prozeßordnung, als formale und stabile Handlungsschranke zur Bändigung der Macht, als Organisationsstatut des Staates begreift.

Das bedeutet in liberaler österreichischer Rechtstradition: Absage an eine politische Verfassung als Programm und Auftrag zur Herstellung einer bestimmten materialen Ordnung auch der Gesellschaft. Die materiale Ordnung läßt sich nicht ein für allemal in der Verfassung festschreiben. Sie hängt von der Selbstverständigung urtd Einigung der Bürger, überwiegend über Parteien und Repräsentanten in Parlament und Regierung, ab — freilich in (verfassungs-)rechtlich geordneten Verfahrensformen.

Was die politische Kultur nicht an personalen Qualitäten, Tugenden und akzeptierten Gerechtigkeitsvorstellungen 'enthält, kann keine Verfassung „herbeinormieren“. Verfassungsreform muß sich auf das Mögliche und Machbare beschränken und kann nur so Enttäuschungen der Bürger vermeiden. Wir fertigen das Brautkleid, nicht die Braut.

Eine unserer Hauptintentionen war, den Bürgern ein breites Feld differenzierter Initiative und Meinungsbildung zu eröffnen, das dem nach dem Mehrheitsprinzip vor gehenden Willensbildungsprozeß vorgelagert ist'. Es ging uns also um ein zahlreiche Impulse, Meinungen, Ideen von verschiedensten Bürgern, Wissenschaftern, Intellektuellen und Künstlern pulsierend bergendes System eines offenen Blutkreislaufes, nicht um Betonierung politischer Aktionsströme in kaltschnäuziger Wildbachverbauung.

So haben also die Autoren einen Entwurf ausgearbeitet, der vier Säulen in die bisherige Landesverfassungsreform eingezogen hat:

• Verbesserung der Landtagsarbeit und des Wahlrechts;

• Einbau der direkten Demokratie in die Gesetzgebung und die Partizipation in die Vollziehung des Landes;

• Förderung der Regierbarkeit;

• Ausbau und Vertiefung der Kontrolle.

Der Autor ist Vorstand des Instituts für öffentliches Recht, Politikwissenschaft und ,Verwaltungslehre der Universität Graz.

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