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Das Budget ist kein Naturgesetz

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Alljährlich werden wir mit Horrordefiziten, enormen Zinslasten oder dramatischen Budgetreden in Sachen Staatsfinanzen konfrontiert. Was tut sich hinter den Kulissen?

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Alljährlich werden wir mit Horrordefiziten, enormen Zinslasten oder dramatischen Budgetreden in Sachen Staatsfinanzen konfrontiert. Was tut sich hinter den Kulissen?

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„Der Haushalt ist der Nerv des Staates. Daher muß er den profanen Augen des Untertanen entzogen werden.” Diese Worte, dem berühmten französischen Staatsmann Kardinal Richelieu in den Mund gelegt, sind zwar schon gute 350 Jahre alt, aber zeitlos gültig. Auch heute, im Zeichen der Demokratisierung und Forderung nach mehr Transparenz bei politischen Entscheidungen, liegt über dem Budget noch immer der Schleier des Mysteriösen. Es lohnt sich daher, einen Blick hinter die Kulissen zu tun und so manche „Budget-Legende” zu enttarnen.

Die derzeit geltenden einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen sehen keine mehrjährige staatliche Planung und Budgetie-rungzwingend vor. Die Haushaltsperiode wird durch die Verfassung (Art. 51, Abs. 1 BVG) auf ein Jahr begrenzt, d. h., für den Finanzminister besteht die gesetzliche Verpflichtung, jedes Jahr ein Budget zu erstellen.

Die Durchführung schreibt die Bundeshaushaltsverordnung aus dem Jahr 1926 vor. Auch die anderen, für den Staatshaushalt relevanten Bestimmungen sind älteren Datums, wie etwa das Verwal-tungsentlastungsgesetz von 1925. Damals hatten Planungsprobleme noch keine so große Bedeutung.

Im Verlauf der letzten Jahre hat es daher mehrere Gesetzesinitiativen zu einem Haushaltsrecht gegeben, das einen besseren gesetzlichen Rahmen schaffen soll. In verschiedenen Bereichen des Staatshaushaltes behilft man sich noch immer mit „krückenhaften” Bestimmungen und operiert teilweise ohne geltendes Recht. Im Herbst soll es nach Auskunft des Finanzministeriums neuerlich einen Vorstoß geben, die bestehende Praxis in ein vollständigeres Recht zu gießen.

Die jetzt geltende Bestimmung sieht jedenfalls vor, daß der Bundesminister für Finanzen (im Endeffekt seine Beamten) Budgetrichtlinien festsetzt. Dieser grobe Finanzplan geht im Frühjahr an die jeweiligen Ressorts und die zuständigen Beamten des Finanzministeriums. Auf dieser Basis bringen die einzelnen Ressorts ihre Vorschläge, und Wünsche vor.

Uber den Sommer, also jetzt, wird auf Beamtenebene zwischen den jeweiligen Ressort-Vertretern und den Beamten des Finanzministeriums verhandelt. Damit beginnt mehr oder weniger das Feilschen um die einzelnen Budgetposten, wobei es auf beiden Seiten naturgemäß zu Abstrichen kommt. Kritiker sehen in diesen Beamtenrunden eher nur einen „Tummelplatz” von Interessenkämpfen. Denn die Beamten sind keine „neutralen” Institutionen. Sie haben persönliche Präferenzen, die das Verhalten bestimmen. „Je mehr ausgegeben wird bzw. veranschlagt wird, desto wichtiger erscheint das Ressort” (Joachim Lamel, Geschäftsführer des Beirates für Wirtschafts- und Sozialfragen).

In diesem Zusammenhang gibt es eine relativ neue Budgetie-rungstechnik: „zero base budge-ting” (Nullbudgetierung). Dieser Begriff wurde von der amerikanischen Wissenschaft geboren und sollte eine rationale Zuteilung der finanziellen Mittel bringen. Der Grundgedanke des „zero base budgeting” besteht darin, sämtliche Ausgaben jeweils neu zu begründen, also von Null zu beginnen. Diese „Durchforstung” wird bei den Beamtenverhandlungen durchgeführt. Kritisiert wird, daß diese Nullbudgetierung von keiner umfassenden Politikplanung ausgeht, sondern „nur” auf das subjektive Urteilsvermögen der Beamten abzielt.

Was nach dieser Beamtenrunde noch an größeren, bis dahin nicht gelösten Wunschvorstellungen übrigbleibt, geht in die Ministerrunden im Herbst. In einem persönlichen Gespräch zwischen dem Finanzminister und den Ressortchefs werden noch offene Probleme abgeklärt.

Aufgrund dieser Ubereinkünfte wird der Budgetentwurf im Herbst dem Ministerrat vorgelegt und muß einstimmig genehmigt werden. Der letzte Stichtag ist der 22. Oktober. Bis dahin muß laut Verfassung dem Nationalrat von der Bundesregierung ein Voranschlag über die Einnahmen und Ausgaben des Bundes für das folgende Finanzjahr vorgelegt werden. Falls sich die Minister bis zu diesem Zeitpunkt nicht einigen können, bedeutet das die Demission der Regierung.

Eines wird somit klar: Von der Erstellung der Budgetrichtlinien an bis zum Ministerratsbeschluß zielen die bestehenden Bestimmungen auf eine klare Verantwortlichkeit des Finanzministers ab. Was diesem auf der anderen Seite natürlich auch einen relativ großen Handlungsspielraum läßt. „Ab diesem Zeitpunkt kommt es auf die jeweilige Persönlichkeit des Finanzministers an”, faßt es der inzwischen schon legendär gewordene Hanns Meyer, langjähriger Ministerialrat im Finanzministerium, zusammen Tricks oder — positiv gesehen — Ideen, Überredungskunst, Initiative und politischer Weitblick können in diesem Zeitrahmen ausgespielt werden, um sich der „Beamten als Diener des Staates” zu bedienen bzw. die einzelnen Minister von budgetären Notwendigkeiten (Einsparungen) zu überzeugen.

Auch Finanzminister Franz Vranitzky erklärte bei seinem ersten Budgetvoranschlag im Vorjahr, daß ihm trotzdem durch die weitgehende „Starrheit des Budgets Grenzen gesetzt sind”. Mehr als 86 Prozent der Haushaltsausgaben seien „unantastbar”, weil bereits verplant. Gerhard Lehner, Referent der Budgetabteilung des Wirtschaftsforschungsinstitutes, sieht das Problem anders: „Es ist falsch zu sagen, daß 86 Prozent des Budgets starr sind. Teilweise sind gerade diese Posten sogar recht gestaltungsfähig.” Ein Beispiel dafür: Zu diesen 86 Prozent wird auch der Personalaufwand für die Beamtenschaft gezählt.

Dieser ist vor den Gehaltsverhandlungen durchaus gestaltungsfähig. „Es ist eben schon vorher entscheidend”, so Lehner, „in welchem Ausmaß die Regierung als Arbeitgeber eine Gehaltserhöhung zugesteht. Und ein Prozent weniger Erhöhung bedeuten schon Millionenbeträge.” Wirklich starre Budgetposten sind lediglich z. B. Zinsaufwendungen, Tilgungsraten oder Kredite für die OIAG.

Umgekehrt wären beispielsweise Preisstützungen in der Landwirtschaft flexible Kosten. Im Rahmen der Marktordnungsgesetze werden bestimmte Zuschüsse für Milch oder Schlachtvieh gewährt. Wenn diese zugestanden sind und es werden während des Jahres mehr Subventionen benötigt, ermächtigt der Nationalrat den Finanzminister, gewisse Budgetüberschreitungen zu tätigen.

Wer verschätzt sich?

Dazu kommt, daß das Finanzministerium laufend mit den neuesten Wirtschaftsdaten des Wirtschaftsforschungsinstitutes, des Instituts für Höhere Studien bzw. mit Langzeitstudien über wirtschaftliche Entwicklungen des Beirates für Wirtschafts- und Sozialfragen versorgt wird. Warum es trotzdem zu oft sensationellen Verschätzungen und „Traumzahlen” über kalkulierte Einnahmen und Ausgaben kommt, die in die Milliarden gehen? Im Finanzministerium sieht man's pragmatisch: In den wirtschaftlich stabilen Zeiten der sechziger und frühen siebziger Jahre sei es eben leichter gewesen, vorausschauend zu budgetieren. In unruhigen Zeiten wie heute sei das nicht mehr möglich, auch nicht mit Hilfe von Computerdaten.

Die rechtliche Rahmenbedingung sieht jedenfalls für solche wirtschaftliche Schwankungen ein sogenanntes Konjunkturausgleichsbudget vor. Seit 1976 braucht der Finanzminister für die Freigabe keine gesonderte Zustimmung durch das Parlament.

Eines ist jedenfalls offensichtlich: Auch die großen starren Negativposten im Budget, wie das Defizit der Bundesbahnen, die Subventionen, die Kosten für das Sozialnetz, können manövrierfähig gemacht werden. Nicht von heute auf morgen — die Frage ist nur, ob der jeweilige Finanzminister, ausgestattet mit dem nötigen Spielraum, und das Parlament bereit sind, Änderungen ernsthaft durchzuführen. Und diese Entscheidungen sind zutiefst politisch.

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