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Das Budgetlodi wächst

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Steuer- und Gebührenerhöhungen sowie Ausgabenminderungen sollten ein „erster Schritt zur Konsolidierung des Budgets sein“. So sprach Minister Dr. Androsch nach dem Ministerrat vom 14. September 1976. Weshalb blüht uns aber trotzdem im Budget des Jahres 1977 ein 45-Milliarden-Defizit, das man nur allmählich, sozusagen im Schneckentempo, konsolidieren kann.

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Steuer- und Gebührenerhöhungen sowie Ausgabenminderungen sollten ein „erster Schritt zur Konsolidierung des Budgets sein“. So sprach Minister Dr. Androsch nach dem Ministerrat vom 14. September 1976. Weshalb blüht uns aber trotzdem im Budget des Jahres 1977 ein 45-Milliarden-Defizit, das man nur allmählich, sozusagen im Schneckentempo, konsolidieren kann.

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Im Jahre 1975 verzeichnete nicht nur Osterreich den schwersten wirtschaftlichen Wachstumsrückgang. Das reale Bruttonationalprodukt fiel um zwei Prozent unter das Niveau des Jahres 1974. So wie in vielen anderen Staaten versuchte auch die österreichische Regierung, durch zusätzliche Staatsausgaben einen noch stärkeren wirtschaftlichen Rückschlag und eine höhere Arbeitslosigkeit zu verhindern. Allein 1975 stiegen die Finanzschulden der Republik Österreich um netto 37 Milliarden Schilling.

Diese Zunahme um 37 Milliarden in einem Jahr entspricht dem Betrag nach den FinanzschiuMen, wie sie die sechs ÖVP-Finanzminister in 22 Jahren aufgenommen haben. Von 1945 (damals, im Jahre Null der Zweiten Republik, waren auch die Finanzschulden des Staates praktisch null) bis 1967 stiegen die Finanzschülden insgesamt um 34,6 Milliarden Schilling. Sicher kann man einwenden, daß eine Milliarde an Finanzschulden in diesen Jahren ein viel höheres Gewicht hatte als heute. Doch bei der letzten großen Rezession des Jahres 1967 nahm die Finanzschuld nur um 5,3 Milliarden zu, und trotzdem wuchs das reale Bruttonationalprodukt noch um 2,4 Prozent. Von 1967 bis 1975 haben sich die wirtschaftlichen Daten nicht im Verhältnis 1:7 aufgebläht, außer beim Budgetdefizit.

Rechnet man aber zusammen, was der Herr Finanzminister so lückenhaft über die Entwicklung des Budgetdefizits in diesen und im kommenden Jahr verlauten läßt, dann wird das Nettodefizit in den drei Jahren 1975, 1976 und 1977 etwa 108 bis 110 Milliarden Schilling erreichen. Um diesen Betrag werden die Finanzschülden steigen. Teilt man diese Schuldenlast auf die gesamte österreichische Bevölkerung auf, so hat sich jeder Österreicher, vom Baby bis-zur Großmama, in den drei Jahren um 14.774 Schilling — also rund 5000 pro Jahr — verschuldet.

Erst wenn man diese Zahlen vor Augen hat, versteht man, daß die Steuer- und Gebührenerhöhungen, die nun in kurzen Intervallen, alle drei Monate etwa, kommen werden, nur ein Anfang der kommenden Steuerlawine sein können.

Ab Oktober die doppelte KFZ-Steuer, ab 1. Jänner 1977 die Ver-teuerung von Telephon und Strom um 10 bis 15 Prozent, ab 1. April höhere Stempelgebühren, eine neue Beförderungssteuer, die Erhöhung der Vermögenssteuer usw. Trotz dieser Teuerungswelle wird das Budgetdefizit 1977, auch wenn man die Schuldentilgungen berücksichtigt, nur knapp unter dem Nettobudget-defizit des Jahres 1976 liegen.

Angesichts dieser Situation ist es gar nicht verwunderlich, daß nun eine neue ökonomische Theorie vom Finarnzminister in der Wiener Zeitung vom 14. September verkündet wurde. Die Theorie von den positiven Auswirkungen des Budgetdefizits auf die Geldkapitalversorgung der österreichischen Wirtschaft. Wörtlich steht in der amtlichen Zeitung zu lesen: „Eine drastische Reduktion des Nettobudgetdefizits 1977 um die Hälfta (was sowieso nicht möglich wäre) hält Dr. Androsch im Hinblick auf die negativen Auswirkunigen für die Geldversorgung der österreichischen Wirtschaft für nicht zielführ end.“

Wenn diese Aussage oder Theorie stimmen sollte, dann müßten bei einem größeren Budgetdefizit die Spar-, Termin- und Sichteinlagen — sie zusammen bilden bekanntlich das Geldkapital — stärker wachsen und damit den Finanzierungsspielraum für die Wirtschaft vergrößern.

Diese grobe Vereinfachung ist aber falsch. Es stimmt zwar, daß in der Krise mehr gespart wird und daß wegen des gleichzeitigen wirtschaftlichen Rückganges das Büdgetdefizit größer wird. Nur nimmt in der Krise die Kreditnachfrage der Wirtschaft auch ab.

Wenn aber, wie in der gegenwärtigen Situation, ein wirtschaftlicher Aufschwung einsetzt, dann konkurrenzieren einander die Kreditnachfrage des Staates und der Wirtschaft. Es bedarf sehr eigenwilliger Theorien, um zu beweisen, daß es in Österreich in Zukunft anders sein sollte. Es waren immer der Staat und die verstaatlichte Wirtschaft, die in Perioden der Kreditrestriktion und der Entliberalisierung der Kapitalimporte dennoch Kredite eingeräumt und AuslandSkredite bewilligt bekamen. Es waren die mittleren und kleineren Betriebe, deren Kreditnachfrage immer zuerst beschnitten wurde, die in die Iiiliquidität getrieben wurden.

Alle neuen Theorien können eines nicht verdecken: Es gibt ein fundamentales Ungleichgewicht zwischen Auagaben und Einnahmen des Staates, und trotzdem wird keines der drängenden Probleme des Staatshaushaltes gelöst, weder die Verwaltungsreform und die Bürokratieexpansion nooh die Krise des Gesundheitswesens und der Pensionsversi-cherung, noch die Mängel in der Landesverteidigung, um nur einige der Probleme zu nennen.

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